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Sensoren im Dienste der Bioökonomie

Ein Schlüssel zur Digitalisierung der Bioökonomie sind Sensornetzwerke. Diese sind gerade dabei, sich zu einem wichtigen Analyse- und Steuerungsinstrument energieeffizienter und nachhaltiger Stoffkreisläufe zu entwickeln. Dieter Hertweck, Professor für Wirtschaftsinformatik an der Hochschule Reutlingen, zeigt auf, was in der digitalen Landwirtschaft und Abfallverwertung heute schon möglich ist und was machbar wird.

„Die Digitalisierung ist ein kommender, stark wachsender Bereich in der Bioökonomie. Diese wird stark davon profitieren“, ist Prof. Dr. Dieter Hertweck überzeugt. Er setzt auf Sensornetzwerke, um Stoffkreisläufe in allen denkbaren Größenordnungen besser verstehen und steuern zu können – ganz im Sinne der Nachhaltigkeit. Der Wirtschaftsinformatiker forscht und lehrt an der Hochschule Reutlingen, genauer gesagt am Herman Hollerith Zentrum (HHZ) in der Böblinger Dependance der Hochschule. Hier hat er sich dem Thema Bioökonomie durch seinen Forschungsschwerpunkt Energieeffizienz genähert. „Wir suchen nach neuen Lösungen, um die Energieeffizienz in urbanen Lebensräumen zu verbessern und analysieren dafür den gesamten Metabolismus einer Stadt. Abfallverwertung ist dabei ein zentrales Thema. Wie kann die Kommune zum Beispiel nachhaltig mit Nahrungsmittelabfällen und Grünschnitt umgehen? Ist es sinnvoll, diese Substanzen zu Biomasse zu vergären und Biogas daraus herzustellen? Und kann so die Energieeffizienz gesteigert werden? Unter anderem gehen wir solchen Fragen auf den Grund“, sagt Hertweck.

Sensornetzwerke in der Landwirtschaft

Prof. Dr. Dieter Hertweck (stehend im Hintergrund) beim Brainstorming mit vier Studierenden, die sitzend von hinten zu sehen sind.
Prof. Dr. Dieter Hertweck von der Hochschule Reutlingen ist Wirtschaftsinformatiker mit den Forschungsschwerpunkten Service Science, IT-Management sowie Prozess- und Wissensmanagement. © privat

Auch die Nahrungsmittelversorgung ist für Hertweck ein geeignetes Anwendungsfeld für Sensornetzwerke. „Wir wollen damit verstärkt Supply Chains bei Nahrungsmitteln betrachten. Beispiel Gemüse: Mit den eigentlichen Stoffströmen vom Feld bis auf den Teller wollen wir Energie- und Düngungsszenarien verknüpfen, die mit dem Anbau verbunden sind“, erklärt Hertweck. Direkt auf dem Feld kommen zum Beispiel Feuchte- und Temperatursensoren zum Einsatz, die Aufschluss über den Bodenzustand geben. Über ein Sensornetzwerk kann dann automatisch der passende Zeitpunkt für landwirtschaftliche Aktivitäten wie Säen und Düngen angezeigt werden. Die Meldung kann ganz einfach auf das Smartphone erfolgen. Besonders innovativ ist der zusätzliche Einsatz von Insektensensoren. „In einem Kooperationsprojekt setzen wir Sensoren mit Kamera und Mikrofon ein. Jede Insektenart hat einen eigenen Polygonzug, quasi ein Umriss-Muster, sodass man eine dicke von einer dünnen Biene und einem Maikäfer unterscheiden kann. Erkennt der Sensor den Umriss von Schädlingen, wird eine Meldung gesendet“, erklärt Hertweck. Durch frühzeitiges Eingreifen soll dann der Aufwand zur Schädlingsbekämpfung minimiert werden. „Insgesamt können solche Sensornetzwerke dazu beitragen, landwirtschaftliche Flächen effizienter und mit weniger Chemie zu bewirtschaften“, fasst Hertweck zusammen.

Auf einem Computer-Screenshot ist oben und links im Bild die Navigation zu erkennen. Im Hauptsichtfeld ist eine seitlich aufgenommene Biene in Farbe zu sehen. Ihr Umriss ist mithilfe einer Punkt-zu-Punkt-Linienführung gekennzeichnet.
Mithilfe von Trainingsdaten erlernt die Software die Erkennung und Unterscheidung von Insekten – hier die Umrisse zur Bienenerkennung. © Reiner Braun, Hochschule Reutlingen, HHZ

Die Sensoren sind meistens handelsübliche und in der Regel auch kostengünstige Teile, die nur in Ausnahmefällen noch von Experten der Hochschule modifiziert werden. Die innovative Entwicklungsleistung steckt vielmehr im Gesamtsystem. Erst das ausgeklügelte Zusammenspiel der digitalen Bausteine macht die Technik so interessant. „Und natürlich soll das Ganze für den Nutzer, ob Landwirt oder Handel, so intuitiv wie möglich bedienbar sein“, ergänzt Hertweck. Bleibt die Frage, wie die Sensoren eigentlich ihre Daten senden und empfangen. Dafür werden Antennen gebraucht, die mit einer Länge unter einem Meter erstaunlich klein und unauffällig sind. „Inzwischen wurden für nahezu alle Kommunen im Landkreis Böblingen Antennen angeschafft und installiert, so zum Beispiel auf Feuerlöschtürmen. Auch unser Hochschulgebäude und das Softwarezentrum Böblingen/Sindelfingen hat eine Antenne. Mit den Antennen können wir bis Ende 2019 fast die ganze Region abdecken“, so Hertweck.

Viele Puzzleteile sorgen für ein klares Bild und erleichtern Entscheidungen

Die Infografik zeigt den Landkreis Luswigsburg mit seinen Gemarkungen und darin mit grünen Punkten markiert die Standorte des Lebensmittel-Einzelhandels. In einem Balkendiagramm ist zudem der zahlenmäßige Anteil von Supermärkten (71), Discountern (70), Spezialitätenläden (26), Bioläden (19), Hofläden (17) und Dorfläden (10) dargestellt.
Um die Supply Chains von Nahrungsmitteln zu analysieren, werden Daten von Sensornetzwerken mit diversen anderen Datenquellen, wie hier Google Maps und YELP, kombiniert. © Laura Dobisch

Damit rücken die ganz großen Ansätze näher. Hertwecks Vision für die Zukunft ist es, großflächig Sensornetzwerke mit anderen Datenquellen zu verbinden und damit datenbasiert umfassende Entscheidungsgrundlagen zu liefern. So könnte das Netzwerk diverser Sensoren auf Anbauflächen mit Satellitendaten kombiniert werden: „Luftbilder, etwa von Google Earth, können dazu genutzt werden, mithilfe einer Bilderkennung Feld, Wald, Wiese und so weiter zu katalogisieren. Wenn wir dann noch Daten von Anbauverbänden hinzuziehen, durchschnittliche Fußwege der Verbraucher zu Geschäften berücksichtigen und uns die Dichte von Lebensmittelmärkten anschauen, könnten wir zum Beispiel herausfinden, wie eine nachhaltige Versorgung mit regionalen Nahrungsmitteln gelingen kann.“

Solche Analysen können zur Entscheidungsfindung in politischen und gesellschaftlichen Debatten beitragen. Etwa wenn es darum geht, bestimmte Anreize für Landwirte zu schaffen. Auch erste, sich selbst verwaltende Ökosysteme, die Sensordaten und Block-Chain-Technologien zur Entscheidungsfindung nutzen, gibt es bereits. „Sie werden künftige, nachhaltige Wirtschaftsformen revolutionieren. Ein gutes Beispiel ist das Projekt ‚terra0’ des FZI Karlsruhe. Damit kann sich das Ökosystem Wald aufgrund von Umweltdaten, Klimaprognosen und hinterlegten ökologisch-ökonomischen Regeln selbst verwalten und quasi über seine eigene Rodungs- und Aufforstungspolitik entscheiden“, sagt Hertweck. Solche Szenarien lassen sich seiner Meinung nach in naher Zukunft auch auf die Landwirtschaft übertragen. 

Sensornetzwerke können große Datenmengen zusammentragen. Was den Umgang damit angeht, ist Hertweck ein Verfechter eines eher offenen Ansatzes. „Natürlich ist es möglich und wichtig, für sicherheitskritische Dienste den Zugriff auf Daten restriktiv und gesetzeskonform zu handhaben. Grundsätzlich verfolgen wir jedoch das Ziel, Daten von Bürgern – zur Nutzung aufbereitet – diesen wieder frei und offen zur Verfügung zu stellen. Deshalb ist auch die eingesetzte Software Open Source. Auch Schulklassen können das Netzwerk frei nutzen, um etwa ihren Schulgarten ökologisch zu bewirtschaften“, so Hertweck. Als Wissenschaftler sieht er sich dem Gemeinwohl verpflichtet und sucht zudem den Austausch, auch international, mit anderen Gleichgesinnten in Forschungseinrichtungen, Verbänden und Initiativen, um die Möglichkeiten digitaler Sensornetzwerke noch deutlich zu erweitern.

Herman Hollerith Zentrum (HHZ)

Das Herman Hollerith Zentrum (HHZ) ist das Lehr- und Forschungszentrum der Hochschule Reutlingen. Es hat seinen Sitz in Böblingen und gehört zur Fakultät Informatik. Die Forscherteams entwickeln hier unter anderem digitale Geschäftsmodelle für Unternehmen, Kommunen und Energieversorger.

Seiten-Adresse: https://www.biooekonomie-bw.de/fachbeitrag/aktuell/sensoren-im-dienste-der-biooekonomie