siRNA zur Gewebe- und Nervenregeneration
In der Regenerativen Medizin wird zunehmend auf siRNA gesetzt, um im Körper des Patienten lokal Proteine auszuschalten, die der Therapie entgegenstehen. Am NMI Reutlingen werden Technologien entwickelt, um mit siRNA Fibrosen und Implantatverkapselungen zu verhindern und um die Nervenregeneration zu verbessern.
Dr. Hanna Hartmann koordiniert am NMI Projekte, bei denen es um den Einsatz von siRNA in der Regenerativen Medizin geht.
© privat
Das Forscherteam Regenerative Medizin I des NMI Reutlingen entwickelt Technologien für den klinischen Einsatz von siRNA zur Geweberegeneration. Die kleinen, spezifischen RNA-Moleküle können in der Zelle durch Wechselwirkung (Interferenz) mit komplementärer mRNA die Translation hemmen. Die Erbinformation der DNA zur Produktion eines bestimmten Proteins wird dann zwar noch abgelesen und auf mRNA übertragen. Da diese jedoch durch siRNA blockiert und schließlich zerstört wird, geht die Botschaft verloren und die Proteinsynthesemaschinerie der Zelle kann das betreffende Protein nicht mehr herstellen. Mit diesem Prinzip will das NMI einerseits Proteine ausschalten, die neuroregenerative Verfahren behindern. Das zweite Anwendungsgebiet sind unerwünschte fibrotische Veränderungen im Bindegewebe, die als Reaktion auf das Einbringen von Implantaten entstehen können.
Periphere Nerven können nach einer Verletzung prinzipiell wieder nachwachsen. Dafür muss „nur“ die Wachstumsbremse wieder gelöst werden, die der Körper nach der frühkindlichen Ausbildung des Nervensystems in Form von blockierenden Proteinen anlegt, damit die Nerven nicht unnötig weiterwachsen. Wenn die Zellen im Bereich der Verletzung nun unter Einwirkung von siRNA nicht mehr durch diese Proteine gehemmt würden, wäre eine wichtige Voraussetzung zur medizinisch gesteuerten Nervenregeneration geschaffen. Es lauert jedoch noch ein weiteres Problem: Der nachwachsende Nerv braucht Richtung und Ziel, damit er die verloren gegangene Verbindung wieder herstellen kann. Um ihm beides zu geben, werden am NMI Nervenleitschienen und Röhrenimplantate getestet, in denen der nachwachsende Nerv zu seinem Ziel geleitet wird. Hier bietet sich nun eine ideale Kombinationsmöglichkeit, die das NMI mit seinen Partnern in einem groß angelegten EU-Projekt aufgreift: Die Forscher wollen siRNA-Nanopartikel an die Implantate koppeln, um diesen gleich das Mittel mitzugeben, um lokal die Wachstumsbremse aufzuheben.
Mit siRNA Nervenwachstum regenerieren
Dr. Hanna Hartmann koordiniert unter Leitung von Prof. Dr. Burkhard Schlosshauer die Arbeiten vonseiten des NMI und erklärt das Konzept: „Eines unserer Zielproteine ist RhoA, das in den Axonen zur Wachstumshemmung führt. Wir verwenden verschiedene kommerzielle siRNAs, die komplementär zur mRNA des Proteins sind, und testen dann verschiedene Sequenzen in Zellkultur darauf, ob es zu einer Reduktion an RhoA kommt.“ Inzwischen, nach rund zwei Drittel der dreijährigen Projektlaufzeit, hat das Team Sequenzen identifiziert, die tatsächlich zu einem Auswachsen von Neuriten führen. Nun gilt es, die siRNA so in Nanopartikel zu verpacken, dass eine verzögerte Freigabe erreicht wird, denn die Neurone müssen erst in Richtung siRNA wachsen, was eine gewisse Zeit benötigt. Dazu kooperieren die Forscher mit Nanopartikel-Experten in Dänemark und französischen Pharmakologen. Die Entwicklung geeigneter Polymere zur Verpackung erfolgt wiederum in der Region: Das ITV Denkendorf steuert seine Expertise zu diesem EU-Projekt bei. Das klinische Know-how für die spätere Anwendung liefern schließlich Neurochirurgen aus Schweden.
Neuronale Modell-Zelllinie PC12: Zellen, die mit dem Wachstumsfaktor NGF stimuliert wurden, zeigen ein deutliches Auswachsen von Neuriten. Inhibitorische Myelinproteine, die im Bereich von Verletzungen auftreten, verhindern dieses Wachstum. Die Behandlung der Zellen mit siRNA-Nanopartikeln ermöglicht trotz Myelin ein Auswachsen von Neuriten (siehe Pfeile).
© Mittnacht, NMI Reutlingen
Alle Arbeiten gehen Hand in Hand: Nachdem die französischen Partner die siRNA in Nanopartikeln verkapselt haben, gehen diese wieder ans NMI, wo die Funktionsfähigkeit der Partikel in Zellkultur getestet wird. Erst wenn diese Versuche zufriedenstellend abgeschlossen sind, sollen die Nanopartikel von den schwedischen Partnern im Tiermodell getestet werden. Zurzeit laufen die Zellkulturtests am NMI. „Wir entwickeln speziell für dieses Projekt Assays, mit denen wir nicht nur sehen, ob die Zellen überleben, sondern auch, ob funktionelle Effekte auftreten“, erklärt Hartmann. Diese hängen auch davon ab, wie gut es gelingt, die RNA zellgängig zu machen. Der Schlüssel dafür ist die elektrische Ladung der rund 150 bis 200 Nanometer großen Partikel, die über das Verhältnis zwischen dem „Verpackungsmaterial“ Chitosan und siRNA gesteuert werden kann. Chitosan ist ein von Chitin abgeleitetes, positiv geladenes Biopolymer, während die siRNA negativ geladen ist und deshalb eigentlich keine hydrophoben Barrieren wie die Zellmembran durchdringen kann.
Die Eigenschaften des Chitosans wiederum können durch chemische Modifikationen verändert werden. Um darüber die Nanopartikel zu optimieren, hat das NMI ein eigenes, intern gefördertes Tandem-Projekt aufgelegt. „In Zusammenarbeit mit Biomaterial-Spezialisten um Dr. Simona Margutti verändern wir den Acetylierungsgrad des Chitosans, charakterisieren dann die Ladung der Partikel und testen, ob sich die Transfektion verbessert“, so Hartmann. Für diese Tests werden spezielle Bindegewebszellen verwendet, die Fibroblasten. Die Ergebnisse kann das Forscherteam deshalb auch direkt für ein Projekt zur Vermeidung von Fibrosen nutzen.
Bio- und Materialwissenschaft ziehen an einem Strang
Fibrosen liegt eine krankhafte Vermehrung von Bindegewebe zugrunde, die zum Beispiel durch das Einbringen von Implantaten ausgelöst werden kann. Das führt unter anderem zu unerwünschten Verkapselungen, etwa bei subkutanen Implantaten. Außerdem können wirkstofffreisetzende oder sensorische Implantate durch die überschießende Gewebereaktion erheblich in ihrer Funktion gestört werden. „Wir wollen in diesem Fall siRNA dazu nutzen, die Kollagensynthese in den Fibroblasten zu reduzieren“, sagt Hartmann. Auch bei den Nervenleit-Implantaten kann es natürlich zu Fibrosen kommen. Hier könnten die Nanopartikel zusätzlich mit siRNA gegen die Kollagenproduktion beschickt werden. Oder es werden zwei Sorten Nanopartikel am Implantat verankert, solche gegen wachstumshemmende Vorgänge und solche gegen Fibrose. Hartmann findet beide Optionen interessant. Welche Vorteile die Kombination hat, wird die weitere Forschung zeigen.
Mikroskopie von Ischias-Fibroblasten: 72 h nach Inkubation der Fibroblasten mit Chitosan/siRNA-Nanoplexen ist die Aufnahme der rot markierten siRNA in die Zellen deutlich zu sehen.
© Hartmann/NMI
Ein generelles Problem der Nanopartikel ist ihre sichere Verankerung am Implantat. Das NMI-Team kam mit seinen Partnern schließlich auf eine ebenso einfache wie elegante Idee: Die Forscher geben Gefrierschutzzucker hinzu und lyophilisieren die Nanopartikel in Anwesenheit des Implantatmaterials bei minus 80 Grad Celsius. Durch das Gefriertrocknen im Vakuum heften die Partikel dem Material danach an. Erfolgreich getestet wurde die Methode bereits an Nervenleitschienen, die zusammen mit dem ITV Denkendorf entwickelt wurden. Das NMI-Team dehnt die Versuche nun auf weitere Materialien aus und hofft, damit ein passendes Werkzeug für viele Implantat-Zwecke in die Hand zu bekommen. Um das zu eruieren, würde das Team gerne die Zusammenarbeit mit Industriepartnern verstärken. „Wir freuen uns über weitere Kontakte zu Implantatherstellern, mit denen wir speziell die Fremdkörperreaktionen angehen können“, betont Hartmann.