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Stefan Rensing erforscht evolutionären Übergang von Algen zu Landpflanzen

Wie schafften Pflanzen den Sprung aus dem Ozean aufs Land? Wie entstand die Vielfalt der Blütenpflanzen? Die vergleichende Genomik kann Verwandtschaftsbeziehungen zwischen verschiedenen Arten oder Artengruppen aufklären und damit die großen Fragen der Evolutionsbiologie beantworten helfen. Aber dazu ist sie auf die Bioinformatik angewiesen. Der Biologe Apl. Prof. Dr. Stefan Rensing von der Universität Freiburg hat den Einzug des Computers in die Lebenswissenschaften von Anfang an mitgestaltet. Mit seinen Genomanalysen in Moosen hilft er heute zum Beispiel, eine wichtige Lücke zu schließen: Wie wurde aus einer Alge eine Landpflanze?

Prof. Dr. Stefan Rensing © privat

Moose sind gewissermaßen Mischwesen. Ihre Morphologie ist eher wenig komplex, was sie in die verwandtschaftliche Nähe mit Grünalgen bringt, die im Wasser leben. Physiologisch gesehen sind sie auf der anderen Seite gut an verschiedene Stresssituationen angepasst, die nur an Land herrschen, wie etwa an die Austrocknung. Damit markieren Moose eine evolutionäre Übergangsphase. „Etwa eine Milliarde Jahre liegen in der Evolution zwischen den Algen und den Blütenpflanzen“, sagt Dr. Stefan Rensing, außerplanmäßiger Professor an der Fakultät für Biologie der Universität Freiburg.

„Auf halber Strecke dazwischen sind die Moose entstanden, ihnen ähnliche grüne Organismen haben als erste das Land besiedelt.“ Rensing erforscht heute unter anderem die evolutionären Prozesse, die zwischen der Entstehung urtümlicher und eher moderner Grünlinge stattgefunden haben müssen, und das geht nicht ohne die stammesgeschichtlichen Bindeglieder. Und nicht ohne die Bioinformatik, die Vergleiche von DNA-Sequenzen, Genfamilien oder Proteinen ermöglicht. Und damit überhaupt erst phylogenetische Aussagen erlaubt.

Als wichtiger Modellorganismus anerkannt

Das Kleine Blasenmützenmoos (Physcomitrella patens) ist inzwischen ein wichtiger Modellorganismus fürs Labor. © Stefan Rensing

Der 1967 in Freiburg geborene Rensing hat beim Einzug der Computerwissenschaften in die Biologie mitgeholfen. Zwischen 1986 und 1993 studierte er Biologie in Freiburg. Schon während seiner Doktorarbeit, die er 1995 abschloss, wendete er erste Methoden der Bioinformatik an. Er verglich die Sequenzdaten von Genfamilien verschiedener Algenarten untereinander und versuchte, phylogenetische Beziehungen zwischen ihnen zu finden. 2004 gründete er mit sieben weiteren Kollegen (unter anderem dem Freiburger Prof. Dr. Ralf Reski) das Internationale Moosgenom-Konsortium. Und half zwischen 2005 und 2008 mit, das erste Genom einer Moospflanze zu entschlüsseln. Das Kleine Blasenmützenmoos (Physcomitrella patens) ist heute weltweit als ein wichtiger Modellorganismus anerkannt. Bis dahin hatten sich Forscher entweder auf die Gensequenzen von Blütenpflanzen wie der Ackerschmalwand (Arabidopsis thaliana) oder dem wirtschaftlich interessanten Reis konzentriert. Oder auf das Erbgut von einzelligen grünen Algen, weil diese das Studium der molekularen Lebensprozesse auf laborhandliche Weise erlauben. Damit klaffte für Evolutionsbiologen eine Lücke im Stammbaum.

Das Bärlappgewächs Selaginella moellendorffii © Purdue Genomics

2007 habilitierte sich Rensing im Gebiet der vergleichenden Genomik. Inzwischen haben er und sein Team aus acht Mitarbeitern bei zahlreichen Genomsequenzanalysen mitgeholfen. Zuletzt veröffentlichten sie zusammen mit rund vierzig Kooperationspartnern aus aller Welt die entschlüsselte Sequenz des Bärlappgewächses Selaginella moellendorffii im renommierten Fachjournal Science. Bei diesem Projekt steuerten die Freiburger zum einen eine Analyse bei, die Kontaminationen im verwendeten Erbgutmaterial ausschließen sollte. Zum anderen entwarfen sie ein Regelwerk, das im Genom Proteine aufspürt, die im Zusammenhang mit der Transkription stehen. Anhand von Sequenzdaten sucht ein dazugehöriges Computerprogramm im Erbgut nach Domänen, die typisch sind für Transkriptionsfaktoren oder für Proteine, die die Transkription regulieren. Solche Daten stellen Rensing und Co. anschließend der Forschungscommunity zur Verfügung. „Ein Projekt wie die Analyse eines Genoms kommt nicht ohne Arbeitsteilung aus“, sagt Rensing. Forschung ist ein Gruppenprozess.

Komplexes Signalgeschehen bei der Entwicklung

Rensing und sein Team untersuchen nicht nur Moose; von Alge bis Blütenpflanze ist in ihrem Labor alles zu finden. Sie haben es auf die evolutionären Zusammenhänge abgesehen und dazu muss man das Ganze im Blick behalten. Welche Gene mussten neu entstehen, um den Pflanzen ein Landleben zu ermöglichen? Ein Vergleich zwischen den Gensequenzen von Alge, Moos und Blütenpflanze führte die Forscher zum Beispiel zu den Stresstoleranzgenen, die vor Austrocknung schützen und bei Algen nicht zu finden sind. Als Mitglied der Freiburger Initiative für Systembiologie (FRISYS) interessiert sich Rensing außerdem für die Regulation von Genen. Ein Beispiel hierfür ist ein gemeinsames Projekt mit Dr. Hauke Busch vom Zentrum für Biosystemanalyse (ZBSA) in Freiburg, bei dem es um das komplexe Signalgeschehen bei der Entwicklung pflanzlicher Stammzellen geht. Nur mithilfe der Werkzeuge der Bioinformatik sind die dynamischen Prozesse auf der molekularen Ebene in einer Zelle zu erfassen.

1997 gründete Rensing mit einem Studienfreund die Firma dnaX. Die Biologen isolierten die DNA von interessierten Kunden, färbten sie und gossen sie in durchsichtiges Epoxid, damit jeder sein Erbgut als Anhänger um den Hals hängen konnte. Die Resonanz war groß, so groß, dass man hätte investieren und expandieren müssen. Rensing entschied sich gegen den Vollzeitjob Unternehmer und für den Vollzeitjob Wissenschaftler. Und die Forschung geht immer weiter. In Kürze werden die Genomsequenzen von weiteren Organismen publiziert, an deren Entschlüsselung er und sein Team mitgewirkt haben. „In der vergleichenden Genomik geht es darum, die Bandbreite der bekannten Gensequenzen möglichst groß zu machen und damit so viele Zeitpunkte in der Evolution wie möglich abzudecken“, sagt der Biologe. Eine solche Forschung ist übrigens nicht nur aus der Sicht des Grundlagenforschers interessant, der sich die großen Fragen zur Evolution stellt. Das Beispiel der Stresstoleranzgene zeigt, wie wichtig Moos und Co. auch im wirtschaftlichen Sinne sind, denn das Verständnis der Regulation von abiotischem Stress kann helfen, landwirtschaftliche Nutzpflanzen stressresistenter und damit ertragreicher zu machen.

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