Stefan Schiller – Komplexe Molekülsysteme verstehen und nachbauen
Proteine, Lipide, Kohlenhydrate und Nukleinsäuren sind wichtige Grundbausteine des Lebens – aber erst in ihrer Kombination zu makromolekularen Strukturen sind sie zu den Funktionen in der Lage, die in einer Zelle das Tagesgeschäft erledigen. Dr. Stefan Schiller vom Institut für Makromolekulare Chemie der Universität Freiburg hat sich schon in seinem Studium für die Vielfalt der molekularen Möglichkeiten in der Natur interessiert. Heute ist er Spezialist für bionische Chemie und synthetische Nanobiotechnologie. Er baut zum Beispiel komplexe Proteinmaschinen für die Signalweiterleitung, Protein-Netzwerke für die Medizin oder Arznei-Fähren für die gezielte Applikation von Medikamenten.
Dr. Stefan Schiller von der Universität Freiburg forscht im Bereich bionische Chemie und synthetische Nanobiotechnologie.
© privat
In der Kabine eines Krans sitzen und Bausteine zusammenfügen, Maschinen konstruieren, eine Kette von Fließband-Arbeitsabläufen aufbauen – und das alles in der Welt der Moleküle und Zellen. Moderne Chemiker haben längst Prinzipien der Polymerwissenschaften auf lebende Systeme übertragen und schauen sich umgekehrt von der Natur neue Prinzipien für den Nano-Maschinenbau ab, der heute als Synthetische Biologie in aller Munde ist.
„Ich habe mich schon immer für komplexe Systeme interessiert“, sagt Dr. Stefan Schiller vom Institut für Makromolekulare Chemie der Universität Freiburg, Junior Fellow des Freiburg Institute for Advanced Studies (FRIAS) und Mitglied des Zentrums für biologische Signalstudien (BIOSS). Wie eines seiner Vorbilder, der Nobelpreisträger Hermann Staudinger, ist er fasziniert von der Vielfalt der Möglichkeiten, die sich aus der Kombination von Molekülen zu übergeordneten Strukturen ergeben. Er hat in den letzten Jahren immer besser gelernt, die Möglichkeiten gezielt für verschiedene Anwendungen einzusetzen.
Baukasten aus chemischen und biotechnologischen Methoden
Künstliche multifunktionale Biomembranen, biomimetische Materialien für die Klinik oder neuartige Energieumwandler auf Solarzellenelektroden nach dem Vorbild des pflanzlichen Photosynthese-Apparats? Alles fing für Schiller schon im Studium an, bei einem Austauschaufenthalt an der Universität von Massachusetts/Amherst. Dort lernte der 1971 in Wiesbaden geborene Chemiestudent, künstliche Membransysteme aus Proteinen und Lipiden zu bauen und aus ihnen mit Hilfe von Mikromanipulatoren röhrchenartige Nanostrukturen zu gewinnen, die ihn an Axonfortsätze von Nervenzellen erinnerten.
Zurück in Deutschland an der Universität Mainz spezialisierte er sich auf organische Chemie, Biochemie und makromolekulare Chemie und lernte in seiner Diplomarbeit, sogenannte Glycolipide zu synthetisieren, wie sie etwa auf den Oberflächen von Krebszellen für die Erkennung durch das Immunsystem wichtig sind. Bis 2003 forschte er dann im Rahmen seiner Doktorarbeit am Max-Planck-Institut für Polymerwissenschaften in Mainz. In dieser Zeit arbeitete er daran, komplexe Strukturen aus Lipiden zu synthetisieren, die biologische Membranen imitieren. „Damals gab es noch kein solches Membransystem, das die typischen biologischen Eigenschaften gehabt hätte wie etwa die richtige Mischung aus Stabilität und Fluidität, wie sie zum Beispiel für die Verankerung von Membranrezeptoren wichtig sind“, sagt Schiller.
Mögliche Einsatzgebiete der Bionischen Chemie.
© Dr. Stefan Schiller
Nach der Doktorarbeit und diesen ersten Schritten in Richtung biomimetische Synthese hatte Schiller bereits einen Baukasten an chemischen und biotechnologischen Methoden, um wie ein Ingenieur mit den chemischen Bausteinen des Lebens umzugehen. Ihm fehlte aber noch die Erfahrung auf dem Gebiet der Proteine. Als Postdoc ging er deshalb nach Kalifornien, ans Scripps Research Institute in La Jolla. Sein dortiger Betreuer Prof. Dr. Pete Schultz hatte ein System entwickelt, um Aminosäuren, die von den 20 natürlichen abweichen, definiert in Proteine einzuführen. Solche Manipulationen sind wichtig, um die Funktionen von Proteinen auf gewünschte Weise modifizieren zu können. Denn sogenannte „unnatürliche“ Proteinbausteine verändern zum Beispiel die Arbeitsweise eines Enzyms oder ermöglichen neue Bindungseigenschaften eines Strukturelements in der Zelle. Schiller gelang es, die Methode derart weiterzuentwickeln, dass er neue unnatürliche Aminosäuren nun auch gezielt an ganz bestimmte Stellen in einem Protein einfügen konnte. Mit diesem Know-how kam er schließlich 2008 nach Freiburg, wo er Junior Fellow am FRIAS wurde.
Lipid-Code entschlüsseln? Photosynthese nachmachen?
„Unser Hauptgebiet ist heute eine Mischung aus Bionischer Chemie und Synthetischer Biotechnologie“, sagt Schiller. Konkret geht es der Arbeitsgruppe des Forschers darum, molekulare Bausteine aus der Natur zu verstehen, zu komplexen/supramolekularen Systemen zu kombinieren, diese zu kontrollieren und so umzubauen, dass sie gewünschte Funktionen im Bereich der biologischen Signalforschung, der Biomedizin oder der Biomaterialforschung haben. Ein Beispiel für eine solche Anwendung stellt ein Projekt dar, in dem Schiller und Kooperationspartner aus der Entwicklungsbiologie durch Modifikation bestimmter Signalmoleküle in Entwicklungsvorgänge der Zelle eingreifen lernen.
Für ein anderes Projekt hat die Schiller-Gruppe kürzlich eine satte Förderung erhalten: Zuerst bekam der neue Ansatz Forschungsmittel aus dem Innovationsfonds der Uni Freiburg sowie im Rahmen des Programms „Research Seed Capital (RiSC)“ des Landesministeriums für Wissenschaft und Kunst. Dies war die Grundlage dafür, dass die Idee als Teil eines Projekts im Rahmen des Schwerpunktprogramms 1623 „Chemoselektive Reaktionen für die Synthese und Anwendung funktionaler Proteine“ der Deutschen Forschungsgemeinschaft gefördert wird.
Den Lipid-Code entschlüsseln: Lipide, die an Proteine angeheftet sind, haben in der Zelle wichtige Funktionen, wie etwa die Verankerung in der Zellmembran oder in den Membranen anderer Organellen und damit die Kontrolle der räumlichen und zeitlichen Verteilung von Enzymen oder Signalmolekülen.
© Dr. Stefan Schiller
In dem Projekt untersuchen die Forscher die Rolle von Lipidbausteinen, die in der Zelle an Proteine gebunden vorliegen. Lipide sind für verschiedene Funktionen der Proteine wichtig. Etwa insofern, als dass sie ihre Bindung an die Membranen in der Zelle vermitteln und so für eine räumliche und zeitliche Verteilung der Proteine unabdingbar sind. Sie helfen also gewissermaßen, das Geschehen in einer Zelle zu dirigieren. „Um den Lipid-Code in der Proteinchemie der Zelle gezielt einsetzen zu können, muss man ihn zunächst entschlüsseln“, sagt Schiller und beschreibt damit das Vorhaben für die nächsten Jahre.
Zwei weitere Beispiele zeigen, wie vielseitig die Arbeitsgruppe ist. So experimentieren Schiller und sein Team derzeit zum einen mit Donut-artigen Strukturen aus Protein-Polymeren, die sie auf die Oberfläche von Solarzellen-Elektroden auftragen können. Im Zentrum eines Donuts können verschiedene Metall-Nanopartikel eingesetzt werden, die ähnlich wie die reaktiven Zentren von Photosynthesemaschinen in Pflanzenzellen Sonnenlichtenergie in Strom umwandeln – eine gute Perspektive für die Solartechnologie.
Mit Hilfe eines patentierten biotechnologischen Verfahrens auf Basis eines Plasmids sind Schiller und sein Team heute zum anderen in der Lage, Strukturen aus modifizierten Bausteinen des Proteins Elastin zu bauen, das normalerweise in der Haut vorkommt. Auf diese Weise gewinnen sie neuartige Polymere, die für alle Bereiche der Materialwissenschaften oder der Biomedizin Anwendungen erlauben. Dabei ist die Herstellung in E. coli billiger als chemische Verfahren und leicht auf große Maßstäbe hochskalierbar. Alles in allem also wird in Freiburg rege gebaut, auch wenn vieles höchstens in einem Mikroskop zu sehen ist.