Pflanzenzüchtung
Tabak im Dienst der Gesundheit
Als Biofabriken können Pflanzen wertvolle Wirkstoffe wie Proteine, Antikörper, Farb- oder Impfstoffe herstellen. Das Projekt Newcotiana zielt darauf ab, die bereits vorhandene Infrastruktur rund um die Tabakindustrie neu auszurichten: Die beteiligten Wissenschaftler, darunter Prof. Dr. Holger Puchta vom Karlsruher Institut für Technologie, setzen moderne Züchtungsmethoden ein, um Tabaksorten mit neuen Fähigkeiten zu entwickeln.
Die getrockneten Blätter von Tabak (Nicotiana tabacum) sind in den westlichen Industrieländern zu Recht in Verruf geraten. Der Zigarettenkonsum geht seit Jahren zurück und damit auch der Tabakanbau. Das Projekt Newcotiana soll der Tabakindustrie den Weg in eine nachhaltige Zukunft weisen. Das Zauberwort heißt in diesem Zusammenhang „Molecular Farming“: Statt den Inhaltsstoff für Zigaretten zu liefern, soll Tabak Medikamente und Kosmetika produzieren.
Newcotiana ist ein Großprojekt, an dem 19 akademische und industrielle Partner aus acht europäischen Ländern und Australien beteiligt sind und das die EU mit 7,2 Millionen Euro im Rahmen des Horizon-2020-Programms für insgesamt viereinhalb Jahre fördert. Verschiedene Züchtungsmethoden, darunter eine moderne Form der Pfropfung, werden getestet und miteinander kombiniert. Der Pflanzenbiotechnologe Prof. Dr. Holger Puchta vom Karlsruher Institut für Technologie arbeitet an der entscheidenden Schlüsseltechnik: „Mithilfe der Genschere CRISPR/Cas wollen wir eine Technik etablieren, mit der wir das Tabakgenom gezielt und effizient verändern können. Tabak soll auf diese Weise medizinisch relevante Proteine wie Antikörper oder Wachstumsfaktoren produzieren können.“
Prof. Dr. Holger Puchta mit Tabak in In-vitro-Kultur
© KIT
„Molecular Farming“-Verfahren werden schon seit mehreren Jahren erprobt. Mit den Methoden der „alten Gentechnik“ war die Entwicklung solcher Pflanzen allerdings aufwendig und langwierig. Ein aus Pflanzen gewonnenes Medikament existiert aber bereits: Gentechnisch veränderte Karottenzellen produzieren ein Enzym, das Patienten fehlt, die an der seltenen Erbkrankheit Morbus Gaucher leiden. Elelyso ist seit 2012 in den USA, Israel und mehreren anderen Ländern zugelassen.
CRISPR/Cas rollt das Feld nun in einem ungeheuren Tempo neu auf. Wissenschaftler weltweit publizieren immer neue Ergebnisse zum Einsatz der Genschere in der Pflanzenzucht. Die ersten derart editierten Pflanzen, etwa Sojabohnen mit veränderter Fettsäurezusammensetzung, werden in den USA bereits angebaut.
Momentan wird CRISPR/Cas hauptsächlich dazu genutzt, gezielt einzelne Gene auszuschalten. So sind in den Sojabohnen zwei Gene blockiert, was zu einem höheren Fettsäuregehalt führt. Dazu reicht es, mithilfe von CRISPR einen Schnitt in die gewünschte Stelle im Erbgut zu setzen. Der verursachte Doppelstrangbruch der DNA wird durch zelleigene Reparaturmechanismen wieder repariert (nicht-homologe Rekombination). Das Zusammenfügen der DNA-Stränge verläuft oft fehlerhaft, sodass das betroffene Gen seine Funktion verliert.
Mithilfe von CRISPR/Cas lässt sich aber auch fremde DNA an spezifischen Stellen des Erbguts einfügen – eine Voraussetzung, um aus Tabak eine Biofabrik zu machen. „Diese sogenannte homologe Rekombination ist in Pflanzen bislang allerdings schwierig durchzuführen und ineffizient“, sagt Puchta. Pflanzengenome seien sehr groß und die Fähigkeit zur homologen Rekombination vermutlich herunterreguliert, um die Stabilität des Erbguts zu gewährleisten. „In unserer Versuchspflanze, der Ackerschmalwand, ist es uns aber schon gelungen, die Technik deutlich zu verbessern“, erklärt Puchta, der zuversichtlich ist, dass mittelfristig auch diese Hürde genommen wird.
Tabakfeld (Nicotiana tabacum), Stutensee, Deutschland
© H. Zell
Tabak hätte gegenüber herkömmlichen Protein-Produktionssystemen einige Vorteile. Vor allem ließen sich schnell große Mengen auch komplexer Proteine, etwa Antikörper oder Impfstoffe, herstellen. Diese lassen sich momentan nur in Säugetier-Zellkulturen oder Hühnereiern produzieren. Im Vergleich zu Bakterien sind diese Systeme schwierig zu kultivieren und liefern nur eine geringe Ausbeute. So liefert etwa ein Hühnerei nur eine Impfdosis gegen Grippe. Das ist teuer, und im Fall einer Pandemie wäre der Vorrat rasch aufgebraucht. Ein Tabakproduktionssystem wäre leicht skalierbar und günstiger.
Bakterien wiederum scheiden als Produktionssystem aus, weil sie nicht in der Lage sind, Proteine mit Zuckerresten zu versehen. Diese sogenannte Glykosylierung findet nur in eukaryotischen Zellen statt und ist für die Funktionsweise vieler Proteine wie etwa Antikörper unerlässlich. „Allerdings versehen Tabakpflanzen Proteine mit anderen Zuckerresten als Menschen, weswegen wir die entsprechenden Enzyme verändern müssten“, sagt Puchta.
Damit Tabak als Arzneiproduzent in Frage kommt, müsste die Pflanze außerdem ausreichend Protein herstellen. Bei einer übermäßigen Proteinproduktion kommt es aber zu einer Schutzreaktion, die dazu führt, dass das Protein abgebaut wird. Auch hier könnte CRISPR Abhilfe schaffen, indem die Funktion des proteinabbauenden Enzyms gestoppt wird.
Eine solche Tabakpflanze, die komplexe menschliche Proteine produziert, trägt artfremde Geninformationen und fällt als gentechnisch veränderter Organismus (GVO) automatisch unter das Gentechnikgesetz. „Solche Pflanzen durchlaufen zahlreiche Sicherheitstests und wachsen zunächst in geschlossenen Gewächshäusern heran“, erklärt Puchta. Feldversuche seien in Spanien unter den GVO-Regularien geplant.
Tabakpflanzen im Gewächshaus
© KIT
„In Tabakpflanzen sind aber auch Biosynthesewege vorhanden, die man leicht durch Punktmutationen verändern kann. Auf diese Weise ließen sich bestimmte sekundäre Pflanzenstoffe gewinnen“, sagt Puchta, der wie viele andere Wissenschaftler gehofft hatte, dass solche Pflanzen, die kein artfremdes DNA-Material tragen und nur geringfügig und präzise verändert wurden, nicht unter die strengen GVO-Regularien fallen würden.
Doch das Urteil des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) im Juli 2018 hat klargestellt: Die neuen Pflanzenzuchtmethoden, die unter dem Begriff „Genome Editing“ zusammengefasst werden, fallen unter das Gentechnikgesetz, auch wenn es sich dabei um Punktmutationen handelt. „Mutationen sind etwas Natürliches und kommen in der Natur laufend vor. Auch unsere klassische Züchtung beruht auf Mutationen. Wir nutzen Chemie und radioaktive Strahlen, um massenhaft Mutationen auszulösen, ohne zu wissen, wie viele entstehen und wo. Solche Pflanzen gelten als sicher. Mit CRISPR rufen wir einzelne Punktmutationen an definierten Stellen hervor, die so auch auf natürliche Weise hätten entstehen können. Aber solche Pflanzen gelten als potenziell gefährlich. Es ist absurd“, sagt Puchta.
Auch auf das Newcotiana-Projekt hat das EuGH-Urteil indirekt Einfluss. Denn nun werden auch CRISPR-editierte Tabakpflanzen mit Punktmutationen das teure und zeitraubende GVO-Zulassungsverfahren durchlaufen müssen. „Die Anwendung unserer Forschung wird erschwert“, sagt Puchta, „Europa hing durch seine restriktive Gesetzgebung in der Pflanzenbiotechnologie ohnehin hinterher. Die Lage hat sich mit dem neuen Urteil weiter verschlechtert.“
Der Bioökonomierat, ein unabhängiges Beratungsgremium, hat die Regierung nach dem Urteil aufgefordert, das Gentechnikrecht zu modernisieren. „Andernfalls bleibe Deutschland bei dieser „biologischen Revolution“ außen vor und werde auch die notwendige internationale Regulierung nicht mitgestalten“, schreibt der Rat in seiner Stellungnahme. „Das wäre dringend notwendig“, bestätigt Puchta, „aber ich kann momentan keinen politischen Willen entdecken. Dabei ist die Pflanzenbiotechnologie überaus zukunftsträchtig.“