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Timo Enderle: Die energetische Nutzung der Mikroalge ist möglich

Timo Enderle von der Unternehmensberatung cofactor sieht bei der effizienten Kultivierung von Mikroalgen noch so viel Optimierungspotenzial, dass er ihre energetische Nutzung schon bald für möglich hält. Er ist Spezialist für Biotechnologie und berät Unternehmen und Forschungsreinrichtungen. Im Gespräch mit Martin Follmann von der BIOPRO Baden-Württemberg erläutert er die Perspektiven der Algenbiotechnologie.

Herr Enderle, gegenwärtig erleben wir – wieder – einen echten Hype um die Algenbiotechnologie. Wieso ist das so?

Timo Enderle und Martin Follmann im Gespräch. Herr Enderle (rechts) sieht beim Reaktordesign, bei der Kulturführung und beim Downstream-Prozess noch viel Optimierungspotenzial. © BIOPRO / Jonischkeit

Hier spielen mehrere Faktoren eine Rolle: Zum einen sind die steigenden Ölpreise und das Bewusstsein um die Endlichkeit der Ölreserven ein Faktor, zum anderen befinden wir uns aktuell in einer Debatte um Einsparpotenziale für CO2. Daher steigt der Bedarf an einem sauberen Rohstoff zum Ersatz des Öls als Kraftstoff - aber auch im Plastiksektor. Hier bietet sich die Alge als sauberer Ölproduzent an, insbesondere da sie nicht in Konkurrenz zur Nahrungsmittelerzeugung steht.

Der Hype selbst kommt hauptsächlich aus den USA, und hier spielt neben den genannten noch ein weiterer Punkt eine wichtige Rolle – die Energieunabhängigkeit: Man will dort – gerade vor dem Hintergrund der aktuellen politischen Umbrüche im Nahen Osten – unabhängig werden von den Öl produzierenden Staaten, und ein nicht unwesentlicher Teil der gewährten Mittel für die Förderung der Algenbiotechnologie stammt tatsächlich aus dem Verteidigungsministerium.

In Deutschland erlebe ich den Hype deutlich gedämpfter. Hier geht man in den Firmen und Forschungseinrichtungen meist sehr sachlich an diese Technologie heran und hat ein sehr realistisches Bild von den Nutzungsmöglichkeiten, aber auch vom Forschungsbedarf.

Können Sie uns die wichtigsten Nutzungsmöglichkeiten nennen und auch gleich eine Einordnung vornehmen: Was ist bereits etabliert, was könnte bald erreicht werden und was ist Utopie?

"In den USA ist man bereit, viel Geld in die Hand zu nehmen - auch wenn nur eine gute Idee vorhanden ist..." © BIOPRO / Jonischkeit

Bereits heute etabliert ist der Einsatz als Nahrungsergänzung vor allem im asiatischen Raum sowie der Einsatz als Futtermittelzusatz – etwa in der Aquakultur zur Anzucht von Fischlarven. Dies sind zwar kleine, aber dennoch wichtige Märkte. Darüber hinaus ist die Produktion von hochpreisigen Produkten für die Lebensmitteltechnologie wie Beta-Carotin und Omega-3-Fettsäuren bereits heute profitabel.

Als Utopie würde ich in diesem Zusammenhang von den aktuell in der Diskussion befindlichen Themen zunächst einmal keine bezeichnen. Ich selbst bin Optimist, und es gab in der Vergangenheit ja einige Beispiele für erfolgreiche Entwicklungen, die niemand für möglich gehalten hätte – denken Sie an die Luftfahrt. Allerdings sind die unterschiedlichen Nutzungsszenarien mit unterschiedlich hohem Forschungs- und Entwicklungsaufwand verbunden.

Als Bereich, in dem wir auf einem guten Weg sind, aber auch noch etwas Arbeit vor uns haben, würde ich die energetische Nutzung von Algen bezeichnen. In diesem Zusammenhang ist auch die Nutzung der Restbiomasse als Futter für Nutztiere zu nennen. Zu bedenken ist, dass eine großtechnische Nutzung von Algenbiomasse erst bei positiven ökonomischen und ökologischen Bilanzen und bestehenden Märkten erfolgen kann.

"...allerdings etwas mehr Mut würde ich mir hier auch für Deutschland wünschen" © BIOPRO / Jonischkeit

Hinsichtlich der energetischen Nutzung gibt es ja sehr unterschiedliche, sowohl sehr optimistische als auch sehr skeptische Einschätzungen. Halten Sie die energetische Nutzung von Mikroalgen für möglich?

Definitiv ja! Technisch und biologisch ist gezeigt, dass Energieträger mit Hilfe von Mikroalgen effizient erzeugt werden können. Allerdings ist es tatsächlich bis heute nicht gelungen, eine kommerzielle Anlage zu entwickeln, bei der der Energie-Input dauerhaft niedriger ist als der Energie-Output...

...was aber eine Mindestvoraussetzung für die energetische Nutzung darstellt...

Richtig! Allerdings gibt es sowohl beim Reaktordesign und der Kulturführung als auch bei der Auswahl der geeigneten Mikroalgen noch so viel Optimierungspotenzial, dass ich davon ausgehe, dass hier eine positive Energiebilanz durchaus erreicht werden kann.

Welche Energieträger lassen sich denn herstellen?

Zunächst hat man ja die Algenbiomasse selbst, die gepresst und verbrannt werden kann. Dies ist energetisch und ökonomisch aber nicht sinnvoll. Des Weiteren lässt sich die Biomasse auch anaerob zu Biogas vergären. Dies ist zwar energetisch sinnvoll, lohnt sich aber nicht, weil die Produktionskosten pro Kilogramm Algen zurzeit noch zu hoch sind, um daraus „nur“ Biogas zu machen.

Außerdem lässt sich das Algenöl nutzen, das einige Arten in großen Mengen bilden: Es lässt sich zu Biodiesel verestern oder zu synthetischen Kraftstoffen (z.B. Flugtreibstoff) hydrieren. Es gibt sogar Algen, die diese Alkane direkt herstellen und zum Teil ins Medium separieren. Diese Kraftstoffe sind für die Flugindustrie von großem Interesse, da sie wegen ihrer hohen Energiedichte prinzipiell als Flugtreibstoff geeignet sind.

Die Algenstärke lässt sich zu Bioethanol fermentieren. Außerdem bilden einige Arten unter bestimmten Bedingungen Wasserstoff, der ja ebenfalls als sauberer Energieträger verwendet werden kann.

Können Sie sagen, für welchen Energieträger Sie in nächster Zeit das größte Potenzial sehen? Sind es die Öle? Und wo sehen Sie die größten Schwierigkeiten?

Diese Frage ist schwierig. In der Tat sehe ich aktuell die meisten und auch die vielversprechendsten Ansätze im Bereich der hydrierten Öle. Allerdings ist hier der Downstream-Prozess – also die Aufarbeitung – nicht trivial, vor allem unter ökonomischen Gesichtspunkten. Zu bedenken ist auch, dass eine großtechnische Umsetzung biotechnologischer Prozesse üblicherweise nicht einfach zu realisieren ist. Der Scaling-up-Prozess birgt hier sicherlich noch die eine oder andere Herausforderung.

Man kann aber wohl mit Sicherheit sagen, dass es bis zur industriellen Produktion von Wasserstoff noch ein sehr weiter Weg ist. Hier befindet man sich erst in einem frühen Forschungsstadium. Ganz allgemein für alle Energieträger gilt: Die Kosten bis zum fertigen Endprodukt müssen deutlich gesenkt werden.

Wie kann das gelingen? Wo liegen die wichtigen Ansatzpunkte zur Kostensenkung? In der Biologie oder eher in der Verfahrenstechnik?

Es geht stets darum, möglichst viel Algenbiomasse auf möglichst kleinem Raum möglichst günstig herzustellen, das Sonnenlicht also optimal auszunutzen. Hierbei liegen die Ansatzpunkte zur Effizienzsteigerung sowohl in der Biologie als auch in der Verfahrenstechnik. Das beginnt bei der Auswahl der richtigen Mikroalge sowie ihrer molekularbiologischen Zugänglichkeit, geht über die Auswahl des geeigneten Reaktors sowie die Reaktorführung und endet beim Downstream-Prozess mit Separation und gegebenenfalls aufwändiger Trocknung. Optimierungspotenzial besteht tatsächlich bei allen Arbeitsschritten der Produktion.

Ihre Prognose: Wann wird die erste wirtschaftliche Anlage zur energetischen Nutzung von Mikroalgen in Betrieb genommen?

Nach meiner Einschätzung des Marktes in fünf bis zehn Jahren. Wobei in den ersten Anlagen wohl noch eine Doppelnutzung stattfinden wird: Es wird ein hochpreisiges Produkt produziert, der Rest der Biomasse wird energetisch verwendet, und beides zusammen ist dann wirtschaftlich.

Für die Algenbiotechnologie ist die Energiefrage der eine Treiber, der zweite ist die CO<sub>2</sub>-Problematik. Broschüren einiger Energieversorger suggerieren manchmal, dass mit Hilfe von Mikroalgen ein signifikanter Anteil des Kohlendioxids aus den Kraftwerksabgasen entfernt werden kann. Geht das wirklich?

Mikroalgen binden zum Wachstum CO2, pro Kilogramm Algenmasse ungefähr zwei Kilogramm CO2. Dies kann man sich zunutze machen und Algen im Abgas eines Kraftwerks kultivieren. Der Kraftwerksbetreiber kann über den Zertifikatehandel Geld hierfür bekommen. Allerdings ist der Preis für eine eingesparte Tonne CO2 gegenwärtig noch so gering, dass sich das wirtschaftlich nicht lohnt. Wenn dieser Preis allerdings steigt, könnte der Emissionshandel durchaus einen Beitrag zur Kofinanzierung einer Algenanlage leisten.

O.K., es ist also vorteilhaft, Algen im CO<sub>2</sub>-reichen Abgas eines Kraftwerks zu kultivieren, zumal die atmosphärische CO<sub>2</sub>-Konzentration für ein optimales Wachstum gar nicht ausreichen würde. Außerdem kann der Emissionshandel einen gewissen Beitrag zur Finanzierung leisten. Aber: CO<sub>2</sub>-frei bekommt man ein Kohlekraftwerk durch Mikroalgen doch nicht. Wir haben einmal versucht abzuschätzen: Um das gesamte CO<sub>2</sub> eines mittleren Kraftwerks zu binden, benötigte man doch auch unter sehr optimistischen Annahmen beinahe die gesamte Fläche Stuttgarts...

Das ist richtig. Zumal man hier von einer echten CO2-Sequestierung nur sprechen dürfte, wenn das gebundene CO2 nie wieder in den Kohlenstoffkreislauf käme. Hierzu müsste die Alge etwa als Baustoff verwendet werden und dürfte nicht mehr energetisch genutzt werden. Es ist günstig, die Algen bei erhöhter CO2-Konzentration – etwa im Abgas eines Kraftwerks – zu kultivieren, und auch der Emissionshandel kann einen Beitrag zur Finanzierung leisten. CO2-frei bekommt man ein Kraftwerk in absehbarer Zeit aber wohl nicht.

Dennoch: Es ist gut, dass das Energieproblem und die CO2-Problematik die Entwicklung der Algenbiotechnologie vorantreiben. Die ersten Früchte ernten wir aber jetzt erst mal in den Bereichen Nahrungsergänzung, Futtermittelzusatz, Hochwertprodukte.

Wie steht in der Entwicklung der Algenbiotechnologie eigentlich Deutschland im internationalen Vergleich da?

Deutschland hat durchaus interessante Ansätze und entwickelt vielversprechende Technologien. Die Branche verfügt aber im Vergleich zu den USA über deutlich weniger Finanzmittel. In den USA ist die Algenbiotech-Branche mit sehr viel Venture Capital ausgestattet, hinzu kommen beträchtliche Mittel aus dem Verteidigungsministerium – das Stichwort Energieunabhängigkeit habe ich hier ja bereits genannt. Es ist durchaus auch eine Mentalitätsfrage: Der Amerikaner ist hier bereit, viel Geld in die Hand zu nehmen, auch wenn nur eine gute Idee vorhanden ist. Dies ist in Deutschland anders – einmal hinsichtlich der Verfügbarkeit von Venture Capital, aber auch was die Forschungskultur betrifft. Die deutsche Wissenschaft möchte es gerne felsenfest haben, bevor sie an die Öffentlichkeit tritt. Sie tritt hier bescheidener auf. Ich selbst ermutige stets dazu, auch mal mit einer 80-Prozent-Lösung nach außen zu gehen, nur so kann man für die Entwicklung der restlichen 20 Prozent geeignete Partner finden.

Wie steht Baden-Württemberg innerhalb Deutschlands da, haben wir ein Alleinstellungsmerkmal?

Die Position Baden-Württembergs ist sehr gut. Auch wenn wir im Fall der Algenbiotechnologie ausnahmsweise nicht die Spitzenposition einnehmen – hier liegt der Fokus eher in den ostdeutschen Bundesländern, insbesondere in Brandenburg. In Baden-Württemberg gibt es aber sowohl innovative Unternehmen – etwa die Subitec oder breen biotec – als auch eine wirklich exzellente Forschung: Die Gruppe von Professor Posten vom Karlsruher Institut für Technologie setzt im Bereich der Photo-Biotechnologie international Maßstäbe.

Darüber hinaus tritt das Thema Algenbiotechnologie als echte Zukunftstechnologie in jüngster Zeit verstärkt in das Bewusstsein. Gerade das Informationsportal der BIOPRO Baden-Württemberg leistet hier durch eine realistische Darstellung der Technologie einen verdienstvollen Beitrag...

...vielen Dank! Abschließend eine Frage an Sie persönlich: Welche konkreten Pläne haben Sie selbst mit cofactor in Bezug auf die Algenbiotechnologie?

cofactor ist ja eine Unternehmensberatung aus dem Bereich Biotechnologie mit Fokus auf der Algenbiotechnologie – hier haben wir die größte Expertise. Wir arbeiten vorrangig als Vermittler zwischen Wissenschaft und Wirtschaft und hoffen, in nächster Zeit die eine oder andere Innovation erfolgreich an den Markt begleiten zu können.

Seiten-Adresse: https://www.biooekonomie-bw.de/fachbeitrag/aktuell/timo-enderle-die-energetische-nutzung-der-mikroalge-ist-moeglich