Und der Haifisch, der hat Sehnen - die Evolution des Schwimmapparates
Zoologen der Universität Tübingen erforschen die Biomechanik des Schwimmens und die Evolution des Muskel- und Sehnenapparates, der dafür nötig ist. Details zu Anpassungen an spezielle Lebensweisen können bei der Entwicklung von Robot-Fischen helfen.
Ein schmackhaftes Forschungsobjekt: Prof. Dr. Sven Gemballa mit einem stattlichen Bonito [Sarda sarda (Bloch, 1793)] beim meeresbiologischen Kurs 2007 in Katalonien. (Foto: Uni Tübingen)
Die Natur hat schon oft als Vorlage für künstliche Konstrukte gedient. Auch die Lebensformen im Meer inspirieren die Ingenieurkunst, zum Beispiel wenn es um die Entwicklung von Schwimmrobotern zur Erkundung der Ozeane geht. Schließlich haben Fische viele Millionen Jahre Erfahrung mit der Bewegung durch ihr nasses Element und sie haben ihre körpereigenen Schwimmapparate im Laufe der Evolution mannigfaltig perfektioniert. Prof. Dr. Sven Gemballa hat zukünftige Anwendungen zwar im Blick, konzentriert sich jedoch auf die Grundlagenforschung, um erst einmal eine tragfähige Wissensbasis zu schaffen.
Gemballa erforscht seit vielen Jahren die Ansatzflächen für Muskelfasern des Schwimmapparates und hat zutage gefördert, was zuvor noch niemand bemerkt hatte: „Lange Zeit war es die Lehrmeinung, dass die komplex gefalteten Ansatzflächen nur eine homogene Bindegewebsstruktur, eine Art Kitt zwischen den Muskelsegmenten darstellen“, so Gemballa. Mithilfe einer neuen, selbst entwickelten Präparationstechnik fand er heraus, dass viel mehr dahinter steckt.
Überraschende Entdeckung: Sehnenapparat ist wichtig für die Schwimmfunktion„Mitte der 90er Jahre habe ich gezeigt, dass die Ansatzflächen ein komplexes System von Sehnen sind und dass es eine Vorzugstextur gibt. Die extrem zugstabilen, parallelen Fasern sind in der Lage, Kräfte entlang der Verlaufsrichtung zu transportieren“, erklärt Gemballa und ist zu Recht stolz auf seine Entdeckung: „Es ist heutzutage schon sehr ungewöhnlich, dass man so etwas Grundlegendes entdeckt“, so der Forscher. Nachdem klar war, dass die Strukturen wichtig sind für die Schwimmfunktion, begann Gemballa mit vergleichenden Untersuchungen.
Er geht der Frage nach, wie sich das Sehnensystem im Laufe der Evolution verändert hat. Noch in seiner Dissertation hat Gemballa vergleichende Untersuchungen zwischen basalen Fischgruppen wie den Flössel- sowie den Knochenhechten und abgeleiteten Gruppen wie Schlangenkopffischen durchgeführt. Die drei Gruppen haben gemeinsam, dass sie ähnliche ökologische Nischen besetzten, sie sind Lauerjäger des Süßwassers. Gemballa konnte zeigen, dass sie sehr ähnliche Sehnenstrukturen aufweisen. An diese ersten Untersuchungen schlossen sich weitere Untersuchungen des Sehnensystems bei Vertretern aller Großgruppen der Knorpel- und Knochenfische an.
Wie haben sich die Strukturen diversifiziert?
Stand der Forschung ist heute, dass es sich bei dem von Gemballa entdeckten Sehnenapparat um ein sehr konservatives System handelt, um ein Grundplanmerkmal, das alle Gnathostomata (Kiefermäuler) vereint, also bei Knochenfischen im weiteren Sinne ebenso zu finden ist wie bei Knorpelfischen wie zum Beispiel Haien. Gemballa ging als Nächstes der Frage nach, wie sich die Strukturen auf dem Weg zum Landwirbeltier entwickelt haben. Er hat sie unter anderem beim berühmten Quastenflosser (Latimeria) untersucht, einem urtümlichen Fisch, der als lebendes Fossil und Bindeglied zu den vierfüßigen Landbewohnern gilt.
Ausformung der Sehne beim Makohai. (Abbildung: Sven Gemballa, verändert nach Journal of Experimental Biology Vol. 208, 2005)
„Bei Latimeria haben wir noch den kompletten Satz und leicht abgewandelt auch bei den Lungenfischen. Beim Salamander fanden wir deutliche Abwandlungen. Wir sind schließlich zu dem Ergebnis gekommen, dass das bei den wasserlebenden Fischen vorhandene Sehnensystem mit dem Landgang abgeschafft wurde. Die mechanischen Beanspruchungen des Rumpfsystems sind bei vierfüßigen Landwirbeltieren ganz andere als bei schwimmenden Fischen. Die für den Landgang nötigen Umkonstruktionen schlossen auch das Sehnensystem des Rumpfes mit ein“, fasst Gemballa zusammen. Abwandlungen fand er auch bei Fischen, die sich in ihrer Lebensweise stark spezialisiert haben. Er untersuchte zum Beispiel Thunfische und Heringshaie.
Sprinter contra Dauerläufer
Die beiden sind nicht miteinander verwandt, sie sind aber beide im Gegensatz zu den zuvor untersuchten Lauerjägern Ausdauerschwimmer. „Das war ungefähr so ein Vergleich wie zwischen 100-Meter-Sprintern und Marathon-Läufern“, sagt Gemballa. Eigentlich kein Wunder also, dass der Sehnenapparat bei den Ausdauerschwimmern anders ist. „Manche Sehnen sind verstärkt, andere verlängert und wieder andere fehlen“, so Gemballa.
Über die vergleichende Arbeit hat er Einblicke in das System gewonnen. Jetzt ist es sein Ziel, die Sehnenstrukturen mit modernen bildgebenden Verfahren so gut wie möglich zu charakterisieren und die biomechanischen Zusammenhänge aufzuklären. „Mit Verfahren wie der Magnetresonanztomographie, der MRT, wollen wir das System dreidimensional darstellen. Wir arbeiten für erste Tests mit dem Max-Planck-Institut für Biologische Kybernetik zusammen, das weltweit die beste MRT-Anlage hat. Erste Test-Scans sollen in Kürze laufen“, freut sich Gemballa.
Ausschnittsvergrößerungen zeigen, was der Querschnitt verbirgt: In die Muskulatur des Makohaies sind dicke Sehnen eingebettet (oberer Ausschnitt: Sehnen erscheinen weiß; unterer Ausschnitt: histologischer Schnitt, Sehnen orange gefärbt). (Foto: Sven Gemballa, verändert nach Journal of Experimental Biology Vol. 208, 2005, und Nature Vol 429, 2004)
MRT eröffnet völlig neue Einblicke in das Sehnensystem
Magnetresonanztomographen machen Weichteilstrukturen sichtbar und sind deshalb gut geeignet, um Bindegewebe und Muskelstrukturen in guter Auflösung differenziert sichtbar zu machen. Diese Untersuchungen bieten Gemballa noch eine weitere interessante Option: „Wir können dann auch Sehnenuntersuchungen an Museumshaien machen, die für Sektionen nicht zur Verfügung stehen. Da wir komplette 3D-Datensätze erhalten, rücken auch Simulationen und Modellierungen am Computer näher.“
Um den Sehnenapparat tatsächlich als natürliche Vorlage für Robotfische zu nutzen, die selbstständig schlängeln, sind aber noch viele weitere Untersuchungen nötig. Detailkenntnis über die Kraftübertragung beim Schwimmapparat der Fische verspricht sich Gemballa aus Kooperationen mit Instituten in den USA. „Wir arbeiten mit einer Gruppe zusammen, die Muskelaktivitäten und -dehnungen bei schwimmenden Fischen misst. Außerdem benötigen wir noch genaue Daten zu Materialeigenschaften, die bei isolierten Sehnen gemessen werden, zum Beispiel aus Kraft-Dehnungs-Kurven. Hier sind Kooperationen mit Materialwissenschaftlern angestrebt“, sagt Gemballa.
leh - 28.02.08
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