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Inwertsetzung biologischer Materialien

ValBio-Urban bringt bioökonomische Forschung zu den Anwendenden

Nicht nur die Reduktion von Kohlenstoffdioxid-Emissionen, sondern auch die Inwertsetzung von CO2 sind wichtige Schritte zu einer klimaneutralen, nachhaltigen Wirtschaftsweise. Im Rahmen des Forschungsvorhabens ValBio-Urban erarbeitet ein interdisziplinäres Team der Universität Stuttgart bioökonomische Lösungsansätze, die mit Unternehmen aus Baden-Württemberg umgesetzt werden sollen.

Um die globale Erderwärmung - wie im Pariser Klimaschutzabkommen von 2015 vereinbart1) - auf deutlich unter 2 °C im Vergleich zum vorindustriellen Zeitalter zu beschränken, müssen Wirtschaft, Gesellschaft und Politik zusammen an einem Strang ziehen. Mit der Landesstrategie „Nachhaltige Bioökonomie für Baden-Württemberg”2) unterstützt die Landesregierung deshalb seit 2019 die Entwicklung innovativer Konzepte zur Nutzung erneuerbarer und recyclingfähiger Rohstoffquellen und fördert die branchenübergreifende Zusammenarbeit zwischen Forschenden und Anwendenden. Ziel ist es, sowohl den Einsatz fossiler Ressourcen als auch die Emission von Treibhausgasen deutlich zu senken und dabei die Wettbewerbsfähigkeit des Wirtschaftsstandortes Baden-Württemberg zu erhalten bzw. zu stärken.

ValBio-Urban will anthropogene Stoffströme inwertsetzen

Links die Porträtaufnahme eines blonden Mannes in weißem Hemd vor einer grünen Hecke und rechts daneben die Porträtaufnahme einer Frau mit langen blonden Haaren in einem schwarzen Blazer.
Prof. Dr. Ralf Takors und Dr. Dinah Henritzi leiten und koordinieren das Vorhaben ValBio-Urban an der Universität Stuttgart. © IBVT Uni Stuttgart

Vor diesem Hintergrund gründeten mehrere Forschende der Universität Stuttgart die interdisziplinäre Stuttgart Research Initiative - Valorization of Bioresources (SRI ValBio), die auf die Inwertsetzung biologischer Materialien abzielt. „Die 13 teilnehmenden Institute aus sechs Fakultäten haben sich zusammengefunden, um das Thema Bioökonomie mit all den verschiedenen Facetten, in denen es gelebt wird, durch Aktivitäten an der Universität Stuttgart widerzuspiegeln“, erläutert Prof. Dr. Ralf Takors vom Institut für Bioverfahrenstechnik (IBVT). Dies beinhaltet die Nutzung biotechnologischer Prinzipien für die Herstellung von Chemikalien, die Entwicklung nachhaltiger Kreisläufe oder auch neue Ansätze in der Architektur. Während der regelmäßigen Treffen werden aktuelle Fragestellungen diskutiert und dank der unterschiedlichen Kompetenzen vielseitig beleuchtet.

Als erstes gemeinsames Vorhaben entstand ValBio-Urban, das seit April 2022 vom Ministerium für Umwelt, Klima und Energiewirtschaft Baden-Württemberg gefördert wird. „Der Fokus liegt hier auf der Nutzung anthropogener Stoffströme, um diese letztendlich sinnvoll zu verwerten bzw. aufzuwerten“, führt Takors aus, der das Projekt leitet. „Alle Aktivitäten finden zudem unter dem Gesichtspunkt der Translation statt, also der Umsetzung in die konkrete Anwendung, vorzugsweise im Land Baden-Württemberg.“ Unterstützt werden die beteiligten Institute von der wissenschaftlichen Koordinationsmanagerin Dr. Dinah Henritzi, deren Stelle eigens für SRI ValBio geschaffen wurde. Ihre Aufgabe ist es, Kontakte zu lokalen Anwendenden zu knüpfen und die Protagonisten von ValBio-Urban als bioökonomische Problemlösende sichtbar zu machen. In diesem Sinne erfolgt gezielt eine breite Kooperation mit anderen Netzwerken des Landes.

Vielseitige Ansatzpunkte

Die fünf im Rahmen von ValBio-Urban durchgeführten Projekte spiegeln die Bandbreite der Kompetenzen an der Universität Stuttgart wider:

Die Abbildung zeigt unterschiedlich große und teilweise aufgeschnittene zylinderförmige Teile aus Biobeton.
Die durch mikrobiologisch induzierte Calcitausfällung hergestellten Probekörper aus Biobeton besitzen bereits eine hohe Druckfestigkeit. © ILEK, Universität Stuttgart

Im Projekt „Biobeton“ sollen großformatige Bauteile mithilfe einer umweltfreundlichen Alternative zum gängigen Bindemittel Zement angefertigt werden. Dieser wird durch Brennen von Kalkstein und Ton hergestellt, ein Prozess der jährlich für sechs bis acht Prozent des globalen CO2-Ausstoßes verantwortlich ist. Konventioneller Beton entsteht dann durch das Vermischen von Zement mit Wasser und Gesteinskörnern. Im Biobeton hingegen führen natürliche biologische Prozesse zur Bindung und Verfestigung der Gesteinskörner. Für diese Biomineralisation werden spezielle Bakterien eingesetzt, die Harnstoff mithilfe des Enzyms Urease zu Ammoniak und Kohlensäure spalten. In Gegenwart von Calcium entstehen so Calciumcarbonatkristalle (CaCO3), durch die die Gesteinskörner gebunden werden.

Der auf diese Weise produzierte Biobeton wird bereits zum Verschließen von Rissen in Beton, bei der Befestigung sandiger Böden und bei der Herstellung von Ziegelsteinen genutzt. Im Rahmen von ValBio-Urban wollen die Forschenden das Verfahren der mikrobiologisch induzierten Calcitausfällung (MICP, Microbiology Induced Calcite Production) jetzt weiterentwickeln und die Anfertigung tragender Bauteile ermöglichen, um eine CO2-neutrale Alternative für die Bauindustrie zu bieten. Durch die Zusammenarbeit des Instituts für Leichtbau, Entwerfen und Konstruieren (ILEK), des Instituts für Mikrobiologie (IMB) und der Materialprüfungsanstalt der Universität Stuttgart konnten bereits erste Probekörper mit einer Druckfestigkeit von bis zu 50 Megapascal hergestellt werden.

Das Vorhaben „Extraktion organischer Verbindungen aus Abfällen“ zielt auf die Gewinnung wertvoller Rohstoffe ab, wie beispielsweise organischer Säuren, Aminosäuren oder Zuckern aus biologischen Abfällen. „Hier konzentrieren wir uns auf die Abfallprodukte der Lebensmittelindustrie“, konkretisiert Henritzi. „Der erste Teil des Projekts beschäftigt sich vor allem mit der Identifizierung von sinnvollen Quellenfirmen und der Frage, welche Stoffe aus den jeweiligen Abfällen extrahiert werden können.“ Anschließend wollen das Institut für Energiewirtschaft und Rationelle Energieanwendung (IER) und das Institut für Feuerungs- und Kraftwerkstechnik (IFK) an konkreten Beispielen das technische und ökonomische Potenzial der Bioabfälle aufzeigen und Nutzungskonzepte erarbeiten. Zu diesem Zweck stehen sie bereits in engem Kontakt mit diversen Entsorgungsfirmen.

In grün gehaltenes, rundes Logo des ValBio Urban Projektes, das schematisch die Produktion zeigt
Im Vorhaben ValBio-Urban sollen Technologien für eine Inwertsetzung biologischer Materialien entwickelt und mit lokalen Anwendenden umgesetzt werden. © Dinah Henritzi, IBVT, Universität Stuttgart

Das Zentrum für interdisziplinäre Risiko- und Innovationsforschung (ZIRIUS) untersucht im Projekt „Gesellschaftliche Wahrnehmung“, wie Produziernde und Endverbrauchende die bioökonomischen Produkte bewerten: Werden Substanzen, die auf der Nutzung von Abfall basieren, genauso akzeptiert wie herkömmlich hergestellte Stoffe? Gibt es eine Bevorzugung bestimmter Ausgangsmaterialien oder Technologien? Die Analyse dieser Fragestellungen bildet die Basis für eine erfolgreiche Translation der bioökonomischen Forschung in den urbanen Raum.

Im Vorhaben „Mikrobielle Inwertsetzung von Punktemissionen“ sollen CO2-haltige Abgase, wie sie beispielsweise bei der Zementherstellung anfallen, verwendet werden, um mithilfe von Mikroorganismen wertvolle organische Substanzen wie kurzkettige Alkohole oder organische Säuren herzustellen. Die eingesetzten acetogenen Bakterien wandeln dabei das CO2 unter Sauerstoffausschluss in die Basischemikalie Essigsäure um, die dann weiterverarbeitet wird. Da die Bakterien aber sehr sensibel auf die Anwesenheit von O2 reagieren, muss der Restsauerstoff vollständig aus der Abluft entfernt werden. In Zusammenarbeit mit einer Zementfirma, die konkrete Daten zur Verfügung stellt, wollen Forschende des IBVT und des IFK gemeinsam ein praktikables Verfahren entwickeln, das dem Unternehmen eine bioökonomische Nutzung der Abgase ermöglicht und so zu einer klimafreundlicheren Zementproduktion beiträgt.

Im ebenfalls vom IBVT und IFK durchgeführten fünften Projekt „Thermisch-biologisches Abfallrecycling“ beschäftigen sich die Institute mit der Inwertsetzung von CO2 aus Abluftströmen, die bei der sorptionsgestützten Vergasung (SEG) von Haushaltsabfällen entstehen. Bei Temperaturen von 1.000 - 1.600 °C und Drücken bis zu 60 bar sowie limitierter Sauerstoffzufuhr entstehen die Grundmoleküle CO2, Wasserstoff (H2), Kohlenmonoxid (CO) und Wasserdampf (H2O). Durch Veränderung der Temperatur kann die Zusammensetzung des Synthesegases gesteuert werden. Im Rahmen des Projektes soll die Technologie verbessert werden, sodass das Synthesegas für die mikrobielle Inwertsetzung nutzbar ist.

Alle Projekte im Rahmen von ValBio-Urban zielen auf eine kohlenstoffneutrale, nachhaltige Wirtschaftsweise ab, die zudem die lokale Versorgung stärken soll. Denn: „Eigene Quellen und die Unabhängigkeit von internationalen Netzwerken sind auch ein wichtiger Bestandteil der Bioökonomie“, stellt Takors fest. In diesem Sinne haben die Forschenden großes Interesse an weiteren, in Baden-Württemberg ansässigen Kooperationspartnern.

Literatur:

1) Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz: Abkommen von Paris". https://www.bmwk.de/Redaktion/DE/Artikel/Industrie/klimaschutz-abkommen-von-paris.html

2) Ministerium für Umwelt, Klima und Energiewirtschaft Baden-Württemberg: Landesstrategie Nachhaltige Bioökonomie für Baden-Württemberg" (04.08.2021). https://um.baden-wuerttemberg.de/de/umwelt-natur/umwelt-wirtschaft/biooekonomie/landesstrategie-nachhaltige-biooekonomie/

Seiten-Adresse: https://www.biooekonomie-bw.de/fachbeitrag/aktuell/valbio-urban-bringt-die-biooekonomische-forschung-zu-den-anwendern