Von der Biomasse zum Diesel
Die Kraft der Mikroben nutzen: Biochemiker aus Leipzig und Tübingen kombinieren die Kraft der Mikroben mit einer Elektrolyse, um aus organischem Material Kraftstoffe zu gewinnen. Das neue Verfahren kann, unter Einsatz von Strom aus erneuerbaren Quellen, aus Abfallstoffen wie Biomüll oder Grünschnitt Diesel machen und damit auch zur Speicherung von Wind- und Solarenergie genutzt werden.
Der Biochemiker Dr. Falk Harnisch verbindet die Kraft der Mikroben mit elektrotechnischen Verfahren.
© UFZ / Tobias Hametner
Mikroorganismen sind destruktiv. Sie zerlegen, zerhacken und zerstückeln komplexe organische Materie in kleinere Verbindungen und schließlich zu anorganischen Stoffen. Das passiert jeden Tag in Kläranlagen, Biogasanlagen und vielerorts in der Natur. Aber Bakterien können auch aufbauend tätig sein, etwa indem sie aus kürzeren Bruchstücken längerkettige Fettsäuren produzieren. Ein Prozess, den die Biochemiker „mikrobielle Kettenverlängerung“ nennen.
Ein elegantes Verfahren, das diese konstruktive Fähigkeit der Bakterien ausnutzt um Kraftstoff herzustellen, haben Forscher um Dr. Falk Harnisch vom Helmholtz-Zentrum für Umweltforschung GmbH - UFZ in Leipzig in Zusammenarbeit mit Prof. Dr. Lars Angenent von der Universität Tübingen und der US-amerikanischen Cornell-Universität entwickelt. Man nehme einen Gärtank (Bioreaktor) wie in einer Biogasanlage, schalte dahinter eine Filterung und eine Elektrolyse und stelle damit aus verschiedensten organischen Materialen einen biobasierten Kraftstoff her. Im Bioreaktor verarbeiten die Mikroben die Biomasse zu Säuren, die über einen Filterungsprozess (Flüssig-Flüssig-Extraktion) angereichert werden, bevor daraus in einer Kolbe-Elektrolyse durch die Zufuhr von elektrischem Strom langkettige Alkane, sprich dieselähnliche Kraftstoffe, synthetisiert werden.
Der gekoppelte Ablauf von Mikrobiologie und Elektrochemie hat dabei gleich mehrere Vorteile: Im Gegensatz zur konventionellen Produktion von Kraftstoffen aus Erdöl oder Biomasse laufen die Prozesse bei der bioelektrochemischen Synthese unter lebensfreundlichen Bedingungen ab, also bei Raumtemperatur, Umgebungsdruck und neutralem pH. Das minimiert den Energieeinsatz, die Kosten und das Risiko für die Arbeitssicherheit. Im Laborexperiment verwendeten die Chemiker aus praktischen Gründen „corn beer“ (Maisbier, ein Abfallprodukt aus der Bioethanolherstellung) und Maissilage als Ausgangsstoffe. Aber Falk Harnisch ist sich sicher, dass eine Vielzahl von weiteren Stoffen für das Verfahren infrage kommen: „Wir sind da zu hundert Prozent anschlussfähig an andere Studien, die sich mit der Herstellung von Säuren aus Biomüll, Gras oder Grünschnitt beschäftigen.“ Und Lars Angenent, der seit April 2017 als Humboldt-Professor an der Universität Tübingen forscht, ergänzt: "Mit dem corn beer haben wir in diesem Experiment einen relativ hochwertigen Ausgangsstoff genutzt. In dem Verfahren steckt aber großes Potenzial – sowohl im Hinblick auf die mögliche Vielfalt der Ausgangsstoffe und der erhaltenen Produkte als auch im Hinblick auf den gekoppelten Ablauf von Mikrobiologie und Elektrochemie."
Dass Bioabfälle genutzt werden können und damit keine Konkurrenz zur Nahrungsmittelproduktion entsteht, ist ein weiterer wichtiger Aspekt. Außerdem lassen sich die verschiedenen Geschwindigkeiten von mikrobiellen und elektrochemischen Vorgängen clever kombinieren: Während die Arbeit der Mikroben im Gärtank kontinuierlich und langsam abläuft, geht die Elektrolyse relativ schnell und zeitlich flexibel vonstatten. Der dafür benötigte Strom kann also optimal von regenerativen Stromerzeugern wie Windkraftanlagen oder Solarmodulen kommen. Falk Harnisch sagt dazu augenzwinkernd: „Eigentlich müssten wir neben jede Biogasanlage eine Windkraftanlage stellen. Und statt Methan produzieren wir dann Kraftstoff.“
Tatsächlich könnte das Verfahren genutzt werden, um mit relativ geringem Aufwand bestehende Biogasanlagen für die Kraftstoffproduktion umzurüsten. Oder das Verfahren kann zur Speicherung „überschüssiger“ regenerativer Energie in Form von Kraftstoffen eingesetzt werden. Carolin Urban, Harnischs Doktorandin und Erstautorin der im renommierten Fachjournal Energy & Environmental Science publizierten Studie hat den Prozess über wenige Wochen im Labor laufen lassen, schließlich 50 ml Kraftstoff „geerntet“ und diesen dann auf Herz und Nieren geprüft. Die Testergebnisse bescheinigen dem Diesel eine hohe Qualität, und auch wenn die Menge von 50 ml nicht für Motorentests reichte, erklärt Harnisch: „Ich behaupte, dass Sie das, was wir hergestellt haben, in Ihren Tank kippen und damit fahren können.“ Man braucht also weder neue Motoren noch neue Zapfsäulen, um den bioelektrisch hergestellten Kraftstoff zu verwenden.
Die Zukunft der Kraftstoffe
Hochspannung im Maisfeld: Die Zukunft regenerativer Kraftstoffe hängt auch von den politischen Rahmenbedingungen ab.
© UFZ / André Künzelmann
Aber ist es überhaupt sinnvoll, weiter in Technologien zu investieren, die dieselähnliche Kraftstoffe als Endprodukt haben; in einer Zeit, in der Dieselabgase unsere Städte verpesten und alle Welt über das Ende des Verbrennungsmotors spricht? Falk Harnisch sieht das so: „Wir müssen sicher über neue Mobilitätskonzepte insbesondere in den Städten nachdenken. Aber in der Luftfahrt oder auch für den Lastentransport auf der Straße, da wäre ich sehr, sehr skeptisch, ob wir das mit Batterietechnologie erreichen können – einfach aufgrund der hohen Energiedichte, die wir da benötigen.“ Wenn wir also Kohle, Öl und Gas im Boden lassen und dafür Kraftstoffe und andere Produkte aus organischem Abfall herstellen, trägt das alleine zwar noch nicht zu weniger Luftverschmutzung bei, aber doch zur Erreichung der Klimaziele und zum Wandel von der Petro- zur Bioökonomie.
Die Koppelung von Mikrobiologie und Elektrochemie hat das Potenzial, die Petrochemie durch die Nutzung regenerativer, organischer Grundstoffe zu ersetzen, aber von alleine wird dieser Umbruch nicht geschehen, denn momentan ist die Herstellung von Biokraftstoffen noch deutlich teurer als die konventionelle Petrochemie. „Die Frage ist, ‚Was sind wir bereit für erneuerbaren Kraftstoff zu zahlen?’“, betont Falk Harnisch und führt aus: „Wenn man sich z.B. mal überlegen würde, erneuerbar hergestelltem Kraftstoff einen Teil der Energiesteuer zu erlassen oder wie es das in Australien mal gab, eine CO2-Steuer auf nicht erneuerbare Quellen zu erheben, das wären aus meiner Sicht Maßnahmen, die sich zur Förderung von alternativen Kraftstoffkonzepten eignen würden.“
Harnisch und sein Team haben gezeigt, dass eine Umstellung auf regenerative Kraftstoffe technisch machbar ist. Jetzt sind Politik und Industrie am Zug, um dem Verfahren eine Zukunft zu geben. Falk Harnisch drückt das so aus: „Also mir wäre es am liebsten, wenn jetzt ein Unternehmer oder ein Ingenieur anklopfen würde, der sagt ‚Wir bauen mit euch eine Pilotanlage’, aber klar, sie müssen hinterher auch einen sinnvollen Absatzmarkt dafür haben. Und auch wenn wir im Gegensatz zu anderen Biokraftstoffen die bestehende Infrastruktur nutzen könnten: Wenn das Öl so billig bleibt und sich die politischen Rahmenbedingungen nicht ändern, werden wir wahrscheinlich auch in den nächsten 20 bis 30 Jahren niemals so günstig sein, dass wir rein marktwirtschaftlich kompetitiv sind.“