Von Nebelkämmen und Tausammlern
Die Natur macht es vor, findige Wissenschaftler am ITV Denkendorf ahmen es nach: Wüstengräser und Wüstenkäfer weisen mit ihren effizienten Methoden zur Wassergewinnung aus der Luft den Weg zu neuen Technologien. Mithilfe von sturmsicheren, UV-beständigen Spezialtextilien soll in großem Stil das kostbare Nass aus der Luft gefiltert werden, um Trockengebiete mit Wasser zu versorgen.
Die Wüste lebt – zumindest manche Zonen, in denen noch eine gewisse Luftfeuchtigkeit auftritt. So gibt es in der afrikanischen Namib Wüstenkäfer der Spezies Onymacris, die die Feuchte aus der Luft filtern, die in der Nacht von der Küstenregion eingetragen wird. Und das afrikanische Wüstengras Stipagrostis kämmt mit seinen dafür optimierten Mikrostrukturen den Nebel regelrecht aus und leitet die Wassertröpfchen an seine Wurzeln weiter.
Projektleiter Dr. Thomas Stegmaier und Dr. Jamal Sarsour vom ITV Denkendorf beim Aufbau der Kollektoren in der Wüstenforschungsstation Gobabeb.
© ITV Denkendorf
Das Forschungsteam Umwelttechnik am Institut für Textil- und Verfahrenstechnik (ITV) Denkendorf unter der Leitung von Prof. Heinrich Planck hat diese Prinzipien erforscht und nutzt sie als Vorbild zur Entwicklung innovativer textiler Folien zur Wassergewinnung.
Dr.-Ing. Thomas Stegmaier leitet die Forschungsgruppe und erklärt die Vorteile der ITV-Entwicklung: „So wie die Gräser mit ihrer gesamten dreidimensionalen Struktur als Nebelkamm fungieren, nutzen wir die dritte Dimension eines Textils zur Wasserabscheidung. Unsere Strukturen bieten mit ihrer Tiefe von zehn bis 20 Millimetern einen extrem geringen Luftwiderstand, was zu einem sehr hohen Luftdurchsatz und damit auch Nebeldurchsatz führt. Dadurch können wir aus der Luft dreimal so viel Wasser herausfiltern wie herkömmliche Raschelnetze aus Folienbändchen.“ Diese Raschelnetze sind bereits in manchen küstennahen Wüstenregionen etabliert. Sie bestehen wie die ITV-Neuentwicklung aus Polymeren, genauer gesagt, aus dem Polyester PET (Polyethylenterephthalat), das in Fadenform auf speziellen Wirkmaschinen zu Rascheltextilien verarbeitet wird.
Hoher Nebeldurchsatz führt zu reicher Wasserernte
Eines der bionischen Vorbilder ist der Schwarzkäfer Onymacris unguicularis aus der Namib-Wüste.
© ITV Denkendorf
Außer der höheren Wasserabscheidung bietet die ITV-Variante aber noch weitere entscheidende Vorzüge. „Unser Polymer ist wesentlich UV-beständiger“, bestätigt Stegmaier. Außerdem trotzen die Denkendorfer Spezialtextilien selbst starken Stürmen, sie sind orkanbeständig bis zu einer Windgeschwindigkeit von 120 Stundenkilometern. Das haben sie vor allem der speziellen Wirktechnik zu verdanken, für die die Maschinen entsprechend modifiziert wurden. „Beim Wirken werden im Gegensatz zum Stricken viele Fäden gleichzeitig verarbeitet und vermascht. Je nach Fasermaterial und Entwicklungsziel können wir die Bindungstechnik und diverse Parameter variieren“, erklärt Stegmaier.
Zunächst musste er mit seinem Team die relevanten Parameter definieren. „Wir haben Modelloberflächen erstellt, um die Physik besser zu verstehen“, sagt Stegmaier. Um auszuloten, worauf es ankommt, schaut die Forschungsgruppe immer wieder auf das biologische Vorbild. „Unsere biologischen Partner von der Universität Tübingen und dem Staatlichen Museum für Naturkunde in Stuttgart haben das Wüstengras sehr genau analysiert. Wir orientieren uns auch an weiteren biologischen Vorbildern. Auf den Kanaren gibt es zum Beispiel Koniferen, die mit den Mikrostrukturen auf ihren Nadeln ebenfalls den Nebel auskämmen. Vielleicht können wir den Wirkungsgrad in Zukunft noch erhöhen“, so Stegmaier.
Alle ariden Klimazonen könnten profitieren
Dieses faserbasierte 3-D-Abstandsgewirk dient zur Wassergewinnung.
© ITV Denkendorf
Die ersten Materialien sind in der Namib bereits im Außeneinsatz. „Hier gewinnen wir pro Quadratmeter Textilfläche und Nacht bis zu drei Liter Wasser aus dem Nebel“, sagt Stegmaier. Eine andere Versuchsanlage steht in Südafrika und dient hier zur Wasserversorgung einer Schule. Da in diesen Gefilden deutlich mehr Nebel auftritt, werden sogar bis zu 55 Liter Wasser pro Quadratmeter und Nacht gewonnen. Auch Kreta ist für Stegmaier ein lohnender Standort für die Wasserernte aus der Luft. „Hier haben wir ebenfalls eine Versuchsstation aufgebaut. Auf Kreta fällt im Sommer so gut wie kein Regen, mit unserer Technologie wollen wir trotzdem Wasser für die Landwirtschaft gewinnen“, sagt Stegmaier.
Um die Technologie im Mittelmeer-Raum zu vermarkten, arbeitet das ITV mit einer Solarfirma aus Mainz zusammen, die entsprechende Kontakte hat. Auch bei den Ausgangsfasern kooperiert das ITV mit Industriepartnern. „Das PET-Textil erhalten wir entsprechend unseren Anforderungen von einem Spezialwirker“, so Stegmaier. Die Entwicklung des Textils am ITV hat er gemeinsam mit Dr. Jamal Sarsour und Michael Linke betrieben.
„Das Textil-Produkt steht. Wir arbeiten zurzeit aber noch an der Aufhängung, um es materialgerecht so zu spannen, dass es nicht flattert“, sagt Stegmaier zum aktuellen Stand. Bisherige Modelle werden mit vielen Drahtseilen verspannt. Das Team am ITV sucht jedoch eine einfachere und zugleich stabilere Konstruktion. Dazu bedient es sich der Ideen aus dem textilen Bauen. „Es gibt zum Beispiel bei Stadien textile Bedachungen, die doppelt gekrümmt sind, das heißt, die vier Seiten einer Fläche sind in der Tiefe gekrümmt und stabilisieren das Dach dadurch. Ähnlich wollen wir nun auch verfahren“, so Stegmaier.