Von Wildreben lernen
Weinreben werden häufiger gespritzt als jede andere Kulturpflanze. Prof. Dr. Peter Nick vom Botanischen Institut des KIT verfolgt ein ehrgeiziges Ziel: weg vom Gift, hin zu einem nachhaltigen Weinbau, der sich auf die natürliche Widerstandsfähigkeit der Pflanzen zurückbesinnt. Die Europäische Wildrebe, die Stammmutter der Kulturrebe, dient ihm als Grundlage: Die Pflanze setzt sich gegen viele Schädlinge erfolgreich zur Wehr.
Prof. Dr. Peter Nick
© privat
Die Wiege des Weinbaus liegt vermutlich in Georgien, wo der Mensch vor etwa 8.000 Jahren begann, Reben zu züchten. Die Beeren wurden nach und nach immer größer und süßer, die Pflanze wuchs immer schneller. Die Züchtungserfolge hatten ihren Preis: Die Kulturreben verloren ihre natürlichen Abwehrkräfte. Gleichzeitig wurde die Weinrebe zu einem der ersten Opfer der Globalisierung. Mitte des 19. Jahrhunderts aus Nordamerika eingeschleppte Krankheitserreger trafen auf die evolutionär völlig unvorbereitete Kulturrebe. Heute sind die Reben vielen Schädlingen schutzlos ausgeliefert. Um ernten zu können, sind Weinbauern meist auf Gift angewiesen. Langfristig ist das teuer und belastet die Umwelt, weswegen Wissenschaftler nach Wegen suchen, die Pflanzen widerstandsfähiger zu machen.
Peter Nick, Leiter der Abteilung Molekulare Zellbiologie am Botanischen Institut des Karlsruher Instituts für Technologie (KIT),setzt dabei auf Wildreben. Im Gegensatz zu ihren hochgezüchteten Verwandten verteidigen sie sich meist erfolgreich gegen Schädlinge. „Die Evolution hat das Problem also schon gelöst. Wir müssen nur verstehen, wie“, sagt Nick.
Wehrhafte Wildreben
Zu Beginn ließ sich der Biologe Wildreben aus aller Welt schicken, um zu sehen „was die so auf dem Kasten haben.“ Dazu infizierte Nick sie mit dem Erreger des Falschen Mehltaus, Plasmopara viticola. Plasmopara ist ein gefürchteter Schädling, der vor rund 150 Jahren aus Nordamerika nach Bordeaux eingeschleppt wurde und sich von dort über ganz Europa verbreitete, denn die Weinstöcke waren allesamt wehrlos. Jahrelang glaubte man, dass es sich um einen Pilz handelt, wie das beim Echten Mehltau der Fall ist. In Wahrheit handelt es sich um eine Alge, die im Inneren der Weinblätter lebt und damit für Pflanzenschutzmittel meist unerreichbar ist. Ihren Wirt verlassen die Erreger nur zur Vermehrung, und da Winzer den Zeitpunkt nicht kennen, müssen sie in regelmäßigen Abständen Gift spritzen.
Plasmopara sucht eine Spaltöffnung auf der Blattunterseite einer asiatischen Weinrebe.
© Peter Nick
Wildreben haben vielfältige Abwehrmechanismen gegen Plasmopara entwickelt: Die Zellen der amerikanischen Weinrebe etwa begehen Selbstmord, wenn der Erreger in sie eindringt, wodurch sie ihm die Lebensgrundlage entziehen. Die asiatischen Wildreben hingegen parfümieren sich ein: Plasmopara dringt über die Spaltöffnungen in das Blatt ein. Diese Öffnungen sondern einen Duftstoff ab, der den Erregern den Weg weist. Ist aber das ganze Blatt parfümiert, verwirrt das den Erreger und er findet den Eingang nicht.
Über ein Artenschutzprojekt stieß Nick auf die Europäische Wildrebe (Vitis sylvestris). Als Institutsleiter ist er auch für den Botanischen Garten verantwortlich, der unter anderem die Funktion einer modernen Arche Noah hat, wo bedrohte Arten nachgezüchtet werden. Die Europäische Wildrebe kommt nur in Auwäldern vor, die es kaum mehr gibt, weswegen die Pflanze fast ausgestorben ist. „Es ging um die Frage, ob sich die Pflanze züchten und wieder auswildern lässt“, erinnert sich Nick.
Wertvolle Wildreben
Nick und seinem Team gelang es, die genetische Vielfalt der wilden Ursprungsart, etwa 100 verschiedene Genotypen, im Botanischen Garten aus Stecklingen heranzuziehen – eine europaweit einmalige Sammlung und eine überaus wertvolle genetische Ressource, wie sich herausstellte.
Die Wildrebensammlung im Botanischen Garten des KIT ist europaweit einmalig.
© Peter Nick
Denn auch einige Varianten dieser Europäischen Wildrebe sind immun gegen Plasmopara. „Das hat uns zunächst überrascht, denn die Pflanze ist ja nie mit dem Schädling in Berührung gekommen“, sagt Nick. Auch Pflanzen haben ein Abwehrsystem, das auf zwei Ebenen wirkt: Die schwächere Grundabwehr, die unspezifisch gegen viele Organismen wirkt, und eine stärkere Abwehr, die sich nur gegen bestimmte Erreger richtet. Um letztere zu entwickeln, braucht es aber eine gemeinsame Evolution von Erreger und Pflanze, also jahrhundertelange Interaktion, wie das bei der amerikanischen Weinrebe und Plasmopara der Fall ist. Was also macht die Europäische Wildrebe so widerstandsfähig?
„Sie hat eine sehr schnelle und starke Grundabwehr und bildet dabei Resveratrol, ein Art natürliches Antibiotikum“, sagt Nick. Er verwendet dazu das Bild der Wildrebe als Burgwächter: Bei der kleinsten Staubwolke am Horizont wird die Zugbrücke hochgefahren und das Pech erhitzt. Die Kulturrebe hingegen zieht die Zugbrücke erst hoch, wenn der Feind schon eingedrungen ist.
Nick und sein Team fanden auch den genetischen Unterschied: Der Kulturrebe fehlt ein Stück des Genschalters, der das Gen zur Bildung von Resveratrol anknipst. Damit eröffnen sich neue Zuchtmöglichkeiten: Seit über einem Jahrhundert kreuzt man resistente Wildarten aus Nordamerika ein, die allerdings den Nachteil haben, dass ihre Beeren nicht schmecken. Nun kann man den intakten Genschalter der deutlich aromatischeren Europäischen Wildrebe einkreuzen.
Erste Zuchtversuche mit Weißburgunder
Nick und sein Team haben dies mit einer Weißburgundersorte bereits ausprobiert. Zurzeit wachsen 300 Nachkommen heran. „Früher hätte es Jahrzehnte und viel Geld und Platz bedurft, um herauszufinden, welche Nachkommen den Schalter der Wildrebe geerbt haben“, sagt Nick, denn Reben wachsen langsam. Mithilfe der molekularen Züchtung geht es deutlich schneller: „Wir kennen die DNA-Sequenz des Schalters und können uns dazu eine Sonde bauen. Die Pflänzchen sind bereits so groß, dass sie ein Blättchen entbehren können. Daraus extrahieren wir die DNA, geben die Sonde dazu und identifizieren damit die Pflanzen, die den Schalter geerbt haben“, erklärt Nick und betont, dass es sich dabei nicht um Gentechnik handelt.
Bis zur perfekten Rebe braucht es aber auch heute noch einen langen Atem: Denn auch die Europäische Wildrebe hat unerwünschte Eigenschaften wie kleinere Früchte und ein geringeres Wachstum – Merkmale, die wieder herausgekreuzt werden müssen.
Um die Züchtungen noch nachhaltiger und stabiler zu gestalten, suchen die Forscher des KIT nach weiteren Resistenzfaktoren: „Wenn möglich, setzt man heute nicht mehr alles auf eine Karte, also nur auf ein Gen. Die Erfahrung zeigt, dass Erreger dazulernen und solche Resistenzen schnell überwinden.“ Eine Kombination aus mehreren Resistenzfaktoren sei hingegen schwieriger zu knacken, so Nick.
Die genetische Vielfalt der Europäischen Weinrebe ist und bleibt eine Schatztruhe: In Versuchen waren manche Pflanzen auch gegen Esca resistent. Esca ist eine Holzkrankheit der Reben, die sich immer weiter ausbreitet und deren Ursache noch im Dunkeln liegt. „Artenvielfalt“, sagt Nick, „hat einen ganz konkreten Nutzen.“