zum Inhalt springen
Powered by

Weniger Chemikalieneinsatz und frischer auf den Tisch

Am Bodensee haben die Erwerbsobstbauern andere Probleme als ideologische Auseinandersetzungen über Biotechnologie und Gentechnik zu führen. Sie benötigen methodische Lösungen gegen vernichtende Pflanzenkrankheiten und für weniger Chemikalieneinsatz.

Wer Obst isst, um gesund und schön zu sein, will nicht an Cellulitis erinnert werden: „Orangenhaut“ bei Alexander Lucas-Birnen © Josef Streif

”Ernteschwund” heißt im Jargon der Erwerbsobstbauern der Anteil, der nicht verkauft wird. In der Saison 2007/08 waren dies immerhin 5% der Gesamternte oder rund 70.000 Tonnen Obst. Einer der Faktoren für den Schwund ist die begrenzte Lagerfähigkeit der Früchte. So kommt es denn, dass auch eine ”Rekordernte” nicht unbedingt einträglich ist. Diese Erfahrung machten Obstbauern der Bodenseeregion 2004 bei den Birnen. Pro Zentner „Alexander Lucas“, einer der wichtigsten Birnensorten in Deutschland, erlösten die Erzeuger im Schnitt 20 Euro weniger als im Vorjahr. Der Preisverfall lag weniger am Überangebot in der EU. Beim Tafelobst geht es mehr um Qualität als bei der Fruchtverarbeitung. Die Birnen im Laden entsprachen nicht dem Anforderungsprofil der Käufer. Sie hatten Cellulitis, eine unansehnliche „Orangenhaut“. Diese entsteht durch eine übermäßige Nachreifung des geernteten Obstes.

Schematische Darstellung des Reifungs-Mechanismus
Reifungs-Mechanismus © Höhne et al. 2007

Weniger Chemie und frischer auf den Tisch

Verteilung des Feuerbrands in Baden-Württemberg © Esther Moltmann

Da Äpfel und Birnen sehr schnell überreifen, behandelt man die geernteten Früchte seit Mitte des Jahrzehnts nach einem patentierten Verfahren der North Carolina State University mit Cyclopropenderivaten. Dazu gehört vor allem 1-Methylcyclopropen (1-MCP), welches das fruchteigene Hormon Ethylen sowie Reifeenzyme (s. Schaubild) blockiert und so Lagerverlusten entgegenwirkt, die durch zu schnelle Reife entstehen. Allerdings ist die Wirkung sortenspezifisch und abhängig vom Reifestadium, in dem der chemische Wirkstoff eingesetzt wird. Bei rund fünfprozentigen Mehrkosten, die voll zulasten des Lagerbetriebs gehen, rentiert sich eine 1-MCP-Behandlung so allenfalls für Premiumobst. Heute weiß man, dass die Schlüsselenzyme (für Pektinabbau, Aromabildung etc.) durch mehrere Genfamilien kodiert sind (Höhn et al. 2007). Die biotechnologischen Herausforderungen bestehen in der genotypischen Bestimmung des Reifestadiums sowie der sortenspezifischen Wirkmechanismen.

Bei der Stiftung Kompetenzzentrum Obstbau-Bodensee (KOB) bei Ravensburg verbindet man die Entwicklung von molekulargenetischen Sortenbestimmungstests mit der Forschung zu optimalen Anwendungskonzentrationen und -stadien chemischer Wirkstoffe (vgl. Kittermann/Streif 2007) wie 1-MCP. Das ist zwar kein Wundermittel, denn der Wasserverlust der Früchte und damit einhergehende Qualitätseinbußen lassen sich auch dadurch nicht vermeiden, gleichwohl unterstützt 1-MCP die Erzeuger und Transporteure dem Verbraucherwunsch nach erntefrischem Obst möglichst nahe zu kommen – vorausgesetzt, man besitzt das entsprechende technologische Know-how.

Karte mit Verteilung Feuerbrand in der Schweiz
Verteilung Feuerbrand in der Schweiz © Agroscope Changins-Wädenswil

Kampf dem Pflanzen-Aids

”Pflanzen-Aids” nannte der Thurgauer Kantonsrat Tony Müller einmal den Feuerbrand (Erwinia amylovora) - ein Bakterium, das zwar nicht den Menschen, wohl aber das Kernobst befällt. 1962 war die vernichtende Pflanzenkrankheit zum ersten Mal in den USA aufgetreten, dann nach Europa eingeschleppt worden, wo es sich seuchenartig verbreitete. Im Unterschied zur Schweiz und zu Österreich interessiert sich in Deutschland die Bevölkerung wenig für eine der verheerendsten Obstkrankheiten, den Feuerbrand. Betroffen sind nicht allein Obstbauern, auch Imker. Wenn die Obstanlage mit dem Antibiotikum Streptomycinsulfat behandelt wird, kann Honig aus Bienenständen im Umkreis von drei Kilometern mehr als die erlaubte Rückstandsmenge von 0,01 mg/kg Antibiotikum enthalten. Der Honig darf nicht in den Verkehr gebracht werden. ”Den meisten Leuten – außer vielleicht einige, die Öko-Obst kaufen – ist es egal, wie die Obstbauern ihr Obst produzieren”, beobachtet Stefan Kunz. Er ist Entwicklungsleiter bei der Konstanzer Bio-Protect, einem biotechnologischen Forschungsunternehmen, das den Hefepilz Aureobasidium pullulans für den Einsatz gegen Feuerbrand entwickelt hat.

Doch trotz seiner Wirksamkeit hat das Bio-Protect Produkt auch Nachteile. Vor allem bei Tafelobst und hier den Apfelsorten Golden Delicious und Jonagold sehen die Früchte nach der Behandlung mit Aureobasidium pullulans unappetitlich rostig aus. Wenn es Bio-Äpfel sind, lassen sie sich allenfalls noch im Naturkostladen verkaufen, wie ein Obsterzeuger meinte. Stefan Kunz empfiehlt den zusätzlichen Einsatz einer Fertigmischung auf der Basis von schwefelsaurer Tonerde. Blossom Protect wirkt nur auf die Blüten nicht die Triebe.

Der Einsatz von Antibiotika und Plantagenrodungen kann so lange nicht verhindert werden, wie es keine feuerbrandresistenten Obstsorten gibt, die man heute zum Beispiel am schweizerischen Agroscope in Wädenswil mit Hilfe molekularer Diagnostik (vgl. Khan et al. 2007) zu züchten versucht. Man kennt noch nicht den Infektionsmechanismus von Erwinia amylovora. Weitere wissenschaftliche Grundlagenforschung ist nötig, wie sie etwa der Phytopathologe Prof. Kurt Mendgen an der Universität Konstanz betreibt.

Vergleich Pflanze mit Feuerbrandsymptom, Infektion mit dem Pilz Nectria und mit dem Bakterium Pseudomonas syringae. Zum Nachweis des Bakteriums ist nach Esther Moltmann vom Landwirtschaftliches Technologiezentrum Augustenberg eine Laboruntersuchung zwingend.
Feuerbrandsymptom ist nicht immer Feuerbrand (li). Anzeichen können leicht mit anderen Infektionen verwechselt werden, etwa mit dem Pilz Nectria (Mitte) oder mit dem Bakterium Pseudomonas syringae (re). Zum Nachweis des Bakteriums ist nach Esther Moltmann vom Landwirtschaftliches Technologiezentrum Augustenberg eine Laboruntersuchung zwingend. © Moltmann E (2005): Feuerbrandbekämpfung in Baden-Württemberg; LTZ Augustenberg

Vielleicht kann die wissenschaftliche Ursachenaufklärung auch dazu führen, irrationale Verhaltensweisen von Obstbauern zu verhindern. So entstand 2007 allein in Baden-Württemberg ein Feuerbrandschaden von mehr als drei Mio. Euro (BMELV 2008a) trotz amtlicher Infektionswarnung. Allein am Bodensee wurden 500 Hektar Obstplantagen vernichtet, wovon 20 Hektar komplett gerodet werden mussten. Die Bauern wollten sich das Geld und die Mühe sparen, Streptomycin bzw. das Bio-Protect Produkt einzusetzen: Der Wunsch war der Vater des Gedankens. Unter den Bauern kursierte das Gerücht, dass Infektionen nur in Verbindung mit Niederschlägen möglich seien.
Glücklicherweise – so dachten sich die Landwirte – gab es im fraglichen Infektionszeitraum keine Niederschläge. Biotechnologen stört freilich solche Widerborstigkeit der Anwender wenig. Sie können sich andere und vielleicht lukrativere Anwendungsfelder für ihre Entwicklungen suchen. Der Hefepilz Aureobasidium pullulans produziert Pullulan, ein extrazelluläres Glukan mit einem breiten Einsatzspektrum: von Lebensmittelzusätzen, farblosem Kleber, der Papierbleiche, dem Zementadditiv, der Bodenreinigung von Ölkontaminationen bis hin zum Ersatz von Blutplasma.

Die Bedrohung durch den Feuerbrand bleibt also, denn die meisten Kultursorten des Apfels sind stark anfällig gegenüber Erwinia amylovora. Nicht alle Mittel gegen Feuerbrand sind wie ”Blossom Protect” wissenschaftlich getestet.”’Wundermittel’ bringen mancherorts gutes Geld, aber keine nachweisliche Wirkung”, resümiert denn auch kritisch Ulrich Höfert, vom Obstbauwarndienst in Vorarlberg. Im verheerenden Feuerbrandjahr 2007 hätte man in manchen Regionen Vorarlbergs jeden zweiten Apfelhochstamm roden müssen. Heute beschränkt man sich außer im Umfeld von Erwerbsobstanlagen nur noch auf Schadensbegrenzung. Die Gemeinden waren 2007 überfordert. Befallszahlen zu 2008 wurden nicht mehr überall erfasst. Vor diesem Hintergrund konzentrieren sich die Forscher auf Krankheitsresistenzgene und seltene Sorten.

Literatur:

Bundesministerium für Ernährung Landwirtschaft und Verbraucherschutz, BMELV (2008a): Bericht über die Feuerbrandsituation im Jahr 2007.

Bundesministerium für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz BMELV (2008b): Strategie zur Bekämpfung des Feuerbranderregers im Obstbau ohne Antibiotika. 19. Februar, Berlin. www.bmelv.de/nn_751176/SharedDocs/downloads/04-Landwirtschaft/Pflanzenschutz/Feuerbrand-Strategiepapier,templateId=raw,property=publicationFile.pdf/Feuerbrand-Strategiepapier.pdf.

Flachowsky H. (2009): ”Es funktioniert genauso wie in der klassischen Apfelzüchtung. Nur in kürzerer Zeit.” Interview in https://www.biooekonomie-bw.dewww.biosicherheit.de/de/gehoelze/apfel_rose/659.doku.html.

Europäisches Parlament und Rat (200%): Verordnung über Höchstgehalte an Pestizidrückstände in oder auf Lebens- und Futtermitteln pflanzlichen und tierischen ursprungs. Verordnung EG 396/2005. Amtsblatt der Europäischen union 16.März. https://www.biooekonomie-bw.deeur-lex.europa.eu/LexUriServ/LexUriServ.do?uri=OJ:L:2005:070:0001:0016:DE:PDF.

Food and Agriculture Organization, FAO o.J.: What is agrobiodiversity. ftp://ftp.fao.org/docrep/fao/007/y5609e/y5609e00.pdf.

Höhn H, Baumgartner D, Crespo P, Gasser F (2007): Reifesteuerung und Apfellagerung mit 1-Methylcyclopropen (MCP). AgrarForschung 14: 188-193. www.db-acw.admin.ch/pubs/wa_arb_07_pub_9395_d.pdf.

Julius Kühn-Institut, JKI (2008): First International Symposium on Biotechnology of Fruit Species. Dresden. www.bba.de/veroeff/mitt/pdfs/mitt416.pdf.

Khan MA, Durel C-E, Duffy B, Drouet D, Kellerhals M, Gessler C, Patocchi A (2007) Development of molecular markers linked to the ’Fiesta’ linkage group 7 major QTL for fire blight resistance and their application for marker-assisted selection. Genome 50: 568-577.

Kittermann D, Streif J (2007): Einfluss des Applikationstermins von 1-MCP auf die Erhaltung der Fruchtqualität bei Elstar. Poster Jahrestagung Deutsche Gartenbauwissenschaftliche Gesellschaft. 22. Februar, Erfurt.

Kunze S (2008): Entwicklung von Anwendungsstrategien für BlossomProtect gegen Feuerbrand. Abschlußbericht Forschungsprojekt. www.landwirtschaft-bw.info/servlet/PB/show/1223207/mlr_Entwicklung von Anwendungsstrategien fr BlossomProtect gegen Feuerbrand.pdf.

Szalatnay D, Kellerhals M (2007): Obstvielfalt beschreiben und nutzen. Schweiz. Zeit. Obst-Weinbau 1: 11-13.

Übereinkommen über die Biologische Vielfalt. Deutsche Übersetzung des Abkommens von Rio de Janeiro 1992. In Kraft getreten für die Schweiz am 19. Februar 1995. Stand 20. März 2007. www.admin.ch/ch/d/sr/i4/0.451.43.de.pdf. zitiert Biodiversitätskonvention 2007.

United Nations UN (1993): Convention on biological diversity (with annexes). Concluded ar Rio de Janeiro on 5 June 1992. Treaty Series, vol 1760: I-30619. www.cbd.int/doc/legal/cbd-un-en.pdf

Wackernagel W (2002): Fakten und Fantasien zum horizontalen Gentransfer von rekombinanter DNA. Akademie-Journal 1: 28-31. www.akademienunion.de/_files/akademiejournal/2002-1/AKJ_2002-01-S-28-31_wackernagel.pdf.

Seiten-Adresse: https://www.biooekonomie-bw.de/fachbeitrag/aktuell/weniger-chemikalieneinsatz-und-frischer-auf-den-tisch