Wie ein Pilz bei der Produktion von Füllfederhaltern hilft
Bei technischen Problemen kann sich ein Blick in die Natur lohnen. Prof. Dr. Peter M. Kunz von der Hochschule Mannheim hat genau hingeschaut und konnte der Firma LAMY dadurch die Herstellung ihrer Füllfederhalter erleichtern. Das Heidelberger Unternehmen spart nun Zeit und Geld.
Ein Blick in den Kunzschen Pappkarton...
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Prof. Dr. Peter M. Kunz legt einen Pappkarton in der Größe eines Federmäppchens vor sich auf den Tisch. Er nimmt den Deckel ab und schiebt das Kästchen in die Mitte. Dann blickt er auf und schmunzelt. Das Kästchen enthält stecknadelkopfgroße Körnchen in verschiedenen Brauntönen - von fast schwarz bis rotbraun. Auf den Körnchen liegen mehrere Schreibfedern. Ihre Oberfläche ist glatt und glänzt, so wie man es von Schreibfedern kennt.
Die Federn hat das Heidelberger Unternehmen LAMY hergestellt. Mehr als 20 Arbeitsschritte sind nötig, um solch ein Herzstück eines Füllfederhalters zu fertigen. Zuerst werden die Rohform und das sogenannte Herzloch ausgestanzt - meist aus rostfreiem Stahl. Sobald das Firmenlogo aufgeprägt ist, erhält die Feder ihre typische Krümmung. Dann wird an der Spitze eine kleine Kugel, das sogenannte Federkorn, angeschweißt. Sie besteht aus einer extrem harten platinhaltigen Legierung und bringt die Tinte aufs Papier. Nun wird die Feder noch aufgeschlitzt, von der Spitze bis zum Herzloch.
Prof. Dr. Peter M. Kunz vom Institut für Biologische Verfahrenstechnik an der Hochschule Mannheim
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„Das ist Walnussschalengranulat“, erklärt Kunz und lässt die braunen Körnchen durch die Finger zurück in die Pappschachtel rieseln. „Darin werden die Schreibfedern während des Herstellungsprozesses gewälzt.“ Das Ganze passiert in einem sich drehenden Topf. „Der erinnert an diese Behälter, in denen auf dem Weihnachtsmarkt heiße Mandeln zubereitet werden“, beschreibt Kunz. Im Topf befindet sich außerdem noch Polierpaste. Die zieht sich über das Granulat und bringt die Federn schonend zum Glänzen. Früher polierte man mit organischen Lösungsmitteln. Walnussgranulat und Polierpaste sind viel umweltfreundlicher.
Nachdem LAMY das neue Verfahren eingeführt hatte, trat allerdings ein Problem auf: Winzige Walnussschalenpartikel verklemmten sich in den Zwischenräumen der Federn. LAMY war ihnen schon mit verschiedenen Reinigern und Ultraschall zu Leibe gerückt - aber ohne Erfolg. Nun wurden die Federn - betrachtet durch ein Okular wie man es vom Uhrmacher kennt - per Hand mit Reinigungsseide von den Körnchen befreit. Teilweise waren damit bis zu vier Mitarbeiter beschäftigt.
Als Bioniker suchte Kunz Analogien in der Natur
Ursprünglich waren es aber nicht die Walnusskörnchen, die Kunz zu LAMY brachte. Auf sie wurde er erst aufmerksam, als er die Produktion besichtigte. „Ich finde es immer spannend zu sehen, wie alltägliche Dinge hergestellt werden“, sagt Kunz. Im Vorbeigehen beobachtete er, wie die Federn mühevoll von den Wallnusskörnchen befreit wurden. Das muss doch auch anders gehen, dachte er sich und machte sich als Bioniker daran, in der Natur nach Analogien zu suchen. „Die erste Überlegung war, dass es in der Natur verschiedene Organismen gibt, die Walnussschalenholz abbauen“, erzählt Kunz, während er mit dem Zeigefinger durch das Wallnussgranulat streicht. Vor allem Pilze sind dafür bekannt Holz zu zersetzen. Sie beziehen ihre Nährstoffe aus dem Holz, indem sie verwertbare Stoffe durch spezifische Enzyme abbauen. Kunz suchte nun aber nicht im Lehrbuch nach dem passenden Pilz, sondern an abgestorbenen Walnussbäumen. „Es ist doch geschickter zu einem Walnussbaum zu gehen, an dem ein Pilz sitzt und sein Werk verrichtet“, findet er.
Und er wurde fündig: Ein Pilz, der in unseren Breiten bei unseren Temperaturen Walnussholz abbaut. Ein Pilzexperte gab Auskunft über Art und Gattung des Fundstücks und Kunz recherchierte dann in Laborkatalogen, welche Enzyme dieses Pilzes erhältlich sind. Daraus stellte er einen Enzymcocktail zusammen, der die Walnussschalenkörnchen in den Ritzen der Schreibfedern zersetzen sollte.
Ein Pilz, der an abgestorbenen Walnussbäumen wächst.
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Die zweite Überlegung war, dass nicht das ganze Walnusskörnchen abgebaut werden muss. Es reicht aus, wenn es ein bisschen kleiner wird. Dann kann es mechanisch etwa mit Ultraschall entfernt werden. „Das ist wie im Mund“, sagt Kunz. „Verklemmen sich Essensreste in den Zahnzwischenräumen, werden sie durch Enzyme etwas verkleinert und können dann mit dem Speichelfluss ausgeschwemmt werden.“
Das Prinzip funktioniert. In der Schreibfederproduktion bei LAMY durchwandern die Federn heute, nachdem sie mit Walnussschalengranulat und Polierpaste bearbeitet wurden, zwei Tauchreinigungsstufen. Darunter eine enzymatische, die den Kunzschen Enzymcocktail enthält. Die Granulatteilchen werden von den Enzymen ein wenig kleiner gemacht und dann mit Ultraschall aus den Ritzen geschwemmt. Das dauert gerade mal acht Minuten. Und der Enzymcocktail kostet LAMY wenige Euro im Monat – das ist nichts gegenüber der Arbeitszeit, die vorher nötig war, um die Schreibfedern von Hand zu reinigen. „Der Enzymcocktail hat auf Anhieb funktioniert“, erzählt Kunz. Die Fehlerrate mit Laborenzymen liegt bei 0,01 Prozent. Bei technisch hergestellten Enzymen - die sind weniger rein und somit billiger - bei 0,02 Prozent. Damit kann Kunz leben - und LAMY auch. Bestehen die Schreibfedern nun noch die Überprüfung auf Kratzspuren und eine Schreibprobe können sie ihre Bestimmung antreten.
Und der Enzymmix? „Der kann theoretisch in allen Bereichen eingesetzt werden, wo Walnussgranulatkörnchen aus verwinkelten Bauteilen entfernt werden müssen“, sagt Kunz und schiebt den Deckel auf das Kästchen, in dem die Schreibfedern liegen, eingebettet in braunen Körnchen aus Walnussschalen.