Wie Phytochrom B in den Kern transportiert wird
Pflanzen wachsen keineswegs blind – in der Evolution haben sie zahlreiche molekulare Photodetektoren wie etwa die Phytochrome „erfunden“, die Veränderungen in der Umgebungsbelichtung messen. So schafft es etwa der Bodenbewuchs in einem Wald, in Richtung der wenigen Sonnenlichtflecken zu sprießen. Die große Frage war lange, wie Phytochrome ihre Information über den Belichtungsgrad bis in den Zellkern transportieren, damit die Pflanze durch Veränderung der genetischen Aktivität reagieren kann. Die Arbeitsgruppe des emeritierten Prof. Dr. Eberhard Schäfer von der Universität Freiburg hat vor vier Jahren das Prinzip hinter dem Kerntransport von Phytochrom A aufgeklärt. Jetzt gelang den Forschern um Schäfer und seinen Laborleiter Dr. Tim Kunkel der gleiche Coup für Phytochrom B. Es könnte sich um ein neues universelles Prinzip handeln, das auch bei der Signalweiterleitung in tierischen und menschlichen Zellen von Bedeutung ist.
Kampf ums Licht: Bodennahe Pflanzen müssen sich manchmal verrenken, um an das lebensspendende Sonnenlicht zu kommen.
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Pflanzen können keinen Schritt zur Seite machen, wenn ein Nachbar sie überschattet – aber sie können zur Seite wachsen. Damit sie auf Veränderungen in der Umgebungsbelichtung reagieren können, entwickelte sich im Laufe der Evolution eine Zahl von Lichtrezeptoren, die bestimmte Lichtwellenlängen auffangen, mit Verschiebungen in der dreidimensionalen Struktur reagieren und damit aktiviert werden können für die Signalweiterleitung im Zellinneren.
Ein solches Protein ist Phytochrom, das sensitiv ist für Licht im roten Bereich des Sonnenlichtspektrums, und das in seiner aktivierten Form im Zellkern zahlreiche genetische Programme anschalten kann. Diese genetischen Programme lösen dann zum Beispiel Längenwachstum im Boden aus, oder das Wachstum von Seitentrieben im Schatten. „Wir verstehen schon so manches Detail im molekularen Signalgeschehen um die Phytochrome, aber noch immer fragten sich Forscher bis vor Kurzem, wie die Information über den Belichtungsgrad von den verschiedenen Phytochrom-Typen aus dem Cytoplasma in den Zellkern gelangt“, sagt Prof. Dr. Eberhard Schäfer, emeritierter Inhaber des Lehrstuhls für Molekulare Pflanzenphysiologie am Institut für Biologie II der Universität Freiburg.
Kein klassischer Kernimportmechanismus
Schäfer beschäftigt sich seit rund vierzig Jahren mit der Frage nach den Mechanismen der Lichtwahrnehmung in Pflanzenzellen und der damit verbundenen Photomorphogenese. Die Bedeutung dieser Forschung liegt auf der Hand, wenn man sich die Situation auf einem Getreidefeld vorstellt. Dort stehen die Pflanzen in engen Reihen. Sie stellen sich gewissermaßen gegenseitig in den Schatten und hemmen sich im Wachstum – das limitiert die Pflanzungsabstände und damit auch den maximal möglichen Ertrag auf einem Feld. „Versteht man, wie die Veränderungen in der Belichtung das Wachstum einer Pflanze steuern, dann kann man vielleicht irgendwann in diese molekularen Vorgänge eingreifen und zum Beispiel Pflanzen züchten, die enger zusammenrücken können“, sagt Schäfer.
Inzwischen haben Biologen eine gute Vorstellung davon, wie Phytochrome Licht „wahrnehmen“ und welche Moleküle diesen Prozess regulieren können. „Aber Phytochrome werden im Cytosol synthetisiert und fangen das Licht dort auf. Wie kommt diese Information in den Zellkern, um die genetischen Programme einzuschalten?“, fragt auch Dr. Tim Kunkel, Gruppenleiter in der Abteilung von Schäfer. Vor vier Jahren gelang es den Forschern um Schäfer und dem damals noch in der Abteilung arbeitenden Dr. Andreas Hiltbrunner, einen molekularen Shuttle-Service für Phytochrom A nachzuweisen.
Nachdem der Photodetektor Licht auffängt, ist er in der Lage, mit dem Molekül FHY1 zu interagieren, und dieses schleust immer neue Phytochrom-A-Moleküle über die Kernporen in den Zellkern. Im Falle von Phytochrom B greift dieser Mechanismus nicht. Jahrzehntelang tappten Biologen im Dunkeln. Im Gegenteil, sie waren sogar auf der falschen Fährte: Die Umbildung in der Struktur von Phytochrom B nach Lichteinfall führe dazu, so ihre Annahme, dass eine im Molekül bereits vorhandene sogenannte Kernlokalisationssequenz enthüllt werde. Und diese Sequenz könne dann den Eintransport in den Zellkern vermitteln – ein bereits bekannter Mechanismus. Aber niemand konnte eine solche Kernlokalisierungssequenz im Phytochrom B nachweisen.
Das ist Acetabularia. Im sogenannten Hut sind die Geschlechtszellen der Alge. Der Organismus besteht aus einer einzigen Zelle, ist also siphonal aufgebaut.
© Dr. Tim Kunkel
Wie falsch diese Hypothese war, stellte sich erst heraus, als Schäfer, Kunkel und ihr Team das System in einer minimalen Form im Reagenzglas nachbauten. Kunkel entwickelte zusammen mit seiner damaligen Diplomandin und späteren Doktorandin Anne Pfeiffer ein In-vitro-System, in dem Kerne der Schirmchenalge Acetabularia schwimmen. Diese Kerne sind Giganten, sie messen bis zu 200 Mikrometer und sind damit so groß wie eine ganze Zelle des pflanzlichen Modellorganismus Arabidopsis thaliana (Ackerschmalwand).
„Mit diesem System kann man sehr gut überprüfen, ob Phytochrom B nach Belichtung mit unterschiedlichen Lichtintensitäten von alleine in den Zellkern wandert, oder ob es dafür noch zusätzliche Faktoren benötigt“, erklärt Kunkel, der zusammen mit der Hauptautorin der resultierenden Studie Dr. Anne Pfeiffer sowie mit weiteren Diplomanden und Doktoranden in den letzten vier Jahren die Arbeit für das Projekt geleistet hat.
Zellkerne der Alge Acetabularia. Grün leuchtet Phytochrom B, das fluoreszenzmarkiert wurde. NLS = nuclear localization sequence (Kernlokalisierungssequenz). ABP = Fragment eines Phytochrom Interagierenden Faktors (PIF), das an Phytochrom B binden kann. Nur wenn ABP und eine NLS zusätzlich dazugegeben werden, leuchtet der Kern grün (rechts). Das Kontrollexperiment im unteren Teil zeigt keinerlei Kernimport von PhyB alleine.
© Dr. Tim Kunkel
Ein geniales Prinzip der Evolution
Im Fluoreszenzmikroskop stellten die Forscher fest, dass fluoreszenzmarkiertes Phytochrom B sich nur im Zellkern ansammelt, wenn die Forscher in ihre Lösung auch sogenannte Phytochrom Interagierende Faktoren zugegeben haben (PIFs). Diese Moleküle sind eigentlich als Transkriptionsfaktoren bekannt, die nach Bestrahlung einer Zelle mit Licht in den Zellkern wandern und dort verschiedene Gene regulieren. Sie besitzen eine Kernlokalisierungssequenz, die es ihnen ermöglicht, aus dem Cytosol in den Zellkern zu gelangen. Ein revolutionärer Fund, denn er bedeutet, dass Phytochrom B an eines dieser Moleküle binden muss, um seine Wirkung im Zellkern zu entfalten. PIFs nehmen die Lichtdetektoren gewissermaßen huckepack in den Zellkern mit.
Aufnahmen von Phytochrom-B-YFP (yellow fluorescent protein) in Arabidopsis-Zellen nach 30 Minuten Bestrahlung mit Rotlicht. Die bohnenförmigen Strukturen mit den hellen Punkten sind Zellkerne. Oben: Aufnahmen aus einer Mutante, der vier verschiedene Phytochrom Interagierende Faktoren (PIFs) fehlen. Im Wildtyp (unten) ist schon zu diesem Zeitpunkt mindestens das Doppelte an PHYB-YFP im Zellkern. Die Quantifizierung erfolgt durch das Ausmessen der Grauwerte in den Zellkernen.
© Dr. Tim Kunkel
„Ein geniales Prinzip der Evolution, denn Phytochrom B wird gerade von denjenigen Molekülen in den Zellkern geschleust, die es dann im Zellkern auch gleich aktiviert, damit diese wiederum Gene einschalten und gleich danach abgebaut werden können“, sagt Schäfer. „Die Evolution hat dafür gesorgt, dass das, was im Zellkern zusammenkommen muss, auch schon zusammen in den Zellkern reingeht.“ Dieses Prinzip, da sind sich Schäfer und Kunkel einig, ist auch deshalb so interessant, weil es universell sein könnte. Sie vermuten, dass es auch in Zellen anderer Organismen inklusive des Menschen und in verschiedenen Signalsystemen ähnlich gefunden werden wird. Die Freiburger Forscher haben ihre in vitro gefundenen Ergebnisse in Kooperation mit Forschern aus Ungarn in lebenden Ackerschmalwand-Zellen, denen vier verschiedene PIFs fehlen, bestätigt. Bei diesen Mutanten werden die Zellkerne während der ersten zwei Stunden der Bestrahlung mit Licht nicht mit dem Photorezeptor beladen, erst dann wandern scheinbar wieder mit YFP markierte Phytochrom-B-Moleküle ein. „Das beweist, dass PIFs auch in vivo den Kerntransport von Phytochrom B bewerkstelligen“, sagt Kunkel. „Das zeigt aber auch, dass andere Faktoren die Wirkung von PIFs teilweise ersetzen können.“
Werden Landwirte bald genau steuern können, wie nah ihre Pflanzen an ihren Nachbarn wachsen? „Diese Anwendung könnte in der Tat irgendwann möglich werden“, sagt Schäfer. „Aber weil die grüne Gentechnik in Europa heutzutage out ist, muss man das Wissen eher auf die klassische Züchtung übertragen und damit auf natürliche Weise die richtigen Mutanten züchten. Es wird vermutlich Jahre dauern, bis hier wirklich Erfolge erzielt werden.“