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Wohin mit der Gülle?

Etwa 1.800 Millionen Tonnen Gülle produzieren Schweine, Rinder und Geflügel in Europa jedes Jahr. Bauern bringen sie auf ihre Felder aus, um Kulturpflanzen mit Nährstoffen zu versorgen. Doch wohin mit der Gülle, wenn es nicht genug Felder zum Düngen gibt? In dem EU-Projekt BioEcoSIM verarbeiten Forscher des Fraunhofer IGB und der Universität Hohenheim zusammen mit 13 Partnern aus Deutschland, den Niederlanden, Spanien und Großbritannien wertvolle Nährstoffe der Gülle zu verschiedenen Düngemitteln.

In Deutschland kämpfen vor allem Regionen mit intensiver Tiermasthaltung wie Niedersachsen und Nordrhein-Westfalen mit einem Überangebot an Gülle. Die Landwirte dort müssen die stinkende Brühe daher oft in riesigen Tanklastern über weite Strecken in Gebiete transportieren, in denen die Gülle dringend benötigt wird. In Gülle stecken bekanntlich für das Pflanzenwachstum wichtige Nährstoffe wie Phosphate, Stickstoff, Kalium oder Magnesium. „Aber Gülle besteht zu 90 Prozent aus Wasser, sodass der Transport sehr teuer wird“, sagt Projekt-Koordinatorin Dr. Jennifer Bilbao vom Fraunhofer-Institut für Grenzflächen- und Bioverfahrenstechnik IGB. Die Lösung: Die Forscher wollen der Gülle direkt vor Ort die Nährstoffe entziehen und zu Phosphat- und Stickstoffdünger sowie Biokohle aufarbeiten.

„Die Mengen an Phosphor, die wir in Deutschland zur Düngerherstellung importieren, können wir fast ausschließlich aus Gülle zurückgewinnen“, erzählt Bilbao. Schließlich gehen die natürlichen Phosphatvorräte in Afrika, China und den USA in einigen Jahrzehnten zur Neige. Mit dem neuen Verfahren könnte darüber hinaus künstlicher Stickstoffdünger eingespart werden, für dessen Herstellung nach dem Haber-Bosch-Verfahren viel Energie nötig ist. Biokohle hingegen ist ein hierzulande noch kaum wahrgenommenes Produkt, das die Indios im Amazonas-Gebiet in ähnlicher Form bereits vor über 1.000 Jahren herstellten, um Nährstoffe und Wasser in kargen Böden zu speichern.

Maßgeschneiderte Düngermischung

Jennifer Bilbao und ihr Team haben das Konzept für die Biokohleherstellung und Phosphorrückgewinnung aus Gülle entwickelt. © Helmine Braitmaier

„Unsere Produkte können gemischt und so an den Nährstoffbedarf der jeweiligen Pflanzenart und an die Nährstoffzusammensetzung des Bodens angepasst werden“, erklärt Bilbao. „In Gülle stimmt das Verhältnis von Stickstoff zu Phosphor selten mit dem überein, das die Pflanze braucht“, ergänzt sie. Mit dem neuen Verfahren sinkt die Gefahr der Überdüngung. Das Problem mit der Gülle: Überschüssiger Phosphor, den die Pflanze über ihre Wurzeln nicht mehr aufnimmt, kann in Gewässer ausgewaschen werden und diese zum Kippen bringen. Und Stickstoff, der bei einem Überangebot in Form von Nitrat oder Nitrit in das Grundwasser sickert, könnte unsere Gesundheit gefährden.

Zunächst säuern die Fraunhofer-Forscher die Gülle an, filtern die Feststoffe heraus und trocknen sie mit heißem Dampf. Die trockene Biomasse wird anschließend in einer Anlage bei über 300 Grad Celsius zu Biokohle verkohlt. Das bei dieser Pyrolyse freiwerdende Gas wird in einem Blockheizkraftwerk verfeuert, um Wärme und Strom zu gewinnen. Aus dem flüssigen Filtrat fällen die Forscher in einer weiteren Anlage Phosphor in Form von Salzen aus, etwa Calciumphosphat und Magnesium-Ammonium-Phosphat (Struvit). Das verbliebene Filtrat wandert schließlich in eine von spanischen Forschern entwickelte Anlage, in der Stickstoff als Ammoniumsulfat zurückgewonnen wird.

Dünger aus Gülle: Gut für Pflanze und Umwelt

Die Pilotanlage in Kupferzell setzt 50 Liter Gülle pro Stunde um. © Fraunhofer IGB

„Die Düngewirkung unserer Phosphatsalze ist sogar besser als die herkömmlicher mineralischer Dünger“, freut sich die aus Ecuador stammende Bilbao. Ihre Kollegen von der Universität Hohenheim haben junge Topfpflanzen mit je einem der beiden Dünger versorgt und anschließend die Trockenmassen der ausgewachsenen Pflanzen ermittelt und miteinander verglichen. Der Gehalt an Schwermetallen in den aus Gülle hergestellten Düngern liege unterhalb des Grenzwertes der Düngemittelverordnung, so Bilbao. Als nächstes wollen die Hohenheimer Forscher die Produkte direkt auf dem Feld testen. Für die im Boden lebenden Würmer sind sie wohl unproblematisch, wie ein spanischer Projektpartner, das private Forschungsinstitut ITAGRA.CT, untersucht hat.

Die Kosten für die Nährstoffaufbereitung beziffert Bilbao auf etwa die Hälfte dessen, was die Bauern für den Transport der Gülle über weite Strecken zahlen müssen. „Die aus der Gülle hergestellten Dünger sind außerdem trocken und lassen sich daher leichter transportieren als flüssige Gülle mit ganz wenigen Nährstoffen“, betont die Forscherin. „Insgesamt vermeiden wir mit unserem Verfahren auch, dass Treibhausgase entstehen“, erläutert Bilbao. Schlechter sieht die CO2-Bilanz aus, würden die Landwirte die Gülle weiterhin auf den Feldern verteilen, sie zur besseren Lagerung lediglich trocknen oder zur Biogaserzeugung zusammen mit Mais vergären. In diesen Fällen würden unterm Strich umweltschädliche Treibhausgase entstehen. Das hat ein weiterer Projektpartner, das Universitäts- und Wissenschaftszentrum im niederländischen Wageningen, ausgerechnet.

Nach den Versuchen im Labormaßstab folgt nun der Test im Großen: Im Sommer 2015 ging eine Pilotanlage auf dem Gelände von Agro Energie Hohenlohe GmbH & Co. KG in Kupferzell in Betrieb, die 50 Liter Gülle pro Stunde umsetzt. Voraussichtlich im Juni 2016 können Interessierte aus Landwirtschaft und Industrie sowie die breite Öffentlichkeit die Anlage in Augenschein nehmen.

Seiten-Adresse: https://www.biooekonomie-bw.de/fachbeitrag/aktuell/wohin-mit-der-guelle