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Wolfgang Fiedler - Wenn Vögel ihren Flugplan ändern

Sein Beruf wurde ihm praktisch in die Wiege gelegt. Dr. Wolfgang Fiedler, Leiter der Vogelwarte Radolfzell, ist auf der Halbinsel Mettnau aufgewachsen, in unmittelbarer Nähe zum Vogelschutzgebiet. Schon als Kind hat er dort am Bodensee Vögel beobachtet, als Schüler ehrenamtlich in der Vogelwarte mitgearbeitet.

Der Leiter der Vogelwarte Radolfzell, Dr. Wolfgang Fiedler, in seinem Büro. (Foto: Keller-Ullrich)
„Mein erster Kontakt mit der Forschungswelt hieß: Zeitschriften im Institut sortieren,“ erinnert er sich. Dass er heute der einzige Radolfzeller unter den rund 40 Mitarbeitenden der Vogelwarte ist, habe sich trotzdem eher zufällig ergeben. Denn sein Interesse galt der gesamten Tierwelt und während des Biologiestudiums begann er zunächst, sich auf Fledermäuse zu spezialisieren. Doch das Angebot, seine Diplomarbeit über Vogelzug zu schreiben und zwar auf der damals wieder zugänglichen Kurischen Nehrung, gab den Ausschlag und Wolfgang Fiedler wurde Ornithologe. Heute beschäftigt er sich vor allem mit dem Verhalten von Zugvögeln. „Warum wandern Vögel wohin?“ erklärt er seine Fragestellung.

Vögel als Modell

Die Vogelwarte Radolfzell hat ihre Räume im Schloss Möggingen. (Foto: Keller-Ullrich)
Vögel sind deshalb außerordentlich interessante Studienobjekte, weil sie so mobil sind und sich selbst einen optimalen Standort auszusuchen können. Wenn sich das Verhalten von Zugvögeln über die Jahre hinweg verändert, lassen sich daraus wichtige Schlüsse ziehen, etwa über die Auswirkungen des Klimawandels. So zeigt sich, dass mit dem Temperaturanstieg die Wanderleistung von Zugvögeln zurück geht. Einige Arten fliegen nicht mehr so weit in den Süden und kehren früher zurück, andere überwintern gleich vor Ort.
Auch wenn der Storch nicht zu einem Forschungsprogramm gehört, darf der Nachzügler den Winter im Gehege des Instituts verbringen. (Foto: Keller-Ullrich) © Keller-Ullrich
Die Forscher interessiert unter anderem wie das Zugverhalten evolutiv geformt wird. Wie wird das Zugverhalten gesteuert und wie schnell werden Veränderungen messbar? Vögel sind gute Modelle für die Evolutionsforschung, denn sie sind auffällig, gut zu beobachten und relativ einheitlich geformt, aber doch mit Tausenden Unterarten, erklärt Wolfgang Fiedler. Sie variieren etwa bei Schnabelform und –farbe oder beim Gefieder, einige können schwimmen, andere verbringen praktisch ihr ganzes Leben in der Luft. Trotz der einheitlichen Merkmale, die einen Vogel für uns jederzeit als solchen erkennbar machen, haben sich unter starkem Selektionsdruck auch kleinste Differenzierungen herausgebildet. So unterscheiden sich sogar bei ein und derselben Art die Flügelformen je nach Lebensgebiet. Müssen sie weiter fliegen, sind die Flügel länger, ist der Weg ins Winterquartier nah, reichen auch kürzere Flügel, mit denen es sich aber besser Manövrieren lässt.

Neue Strategie

Die Vogelwarte Radolfzell gehört seit 1998 als Außenstelle zum Max-Planck-Institut für Ornithologie. In ihrem Logo zeigt sie die Silhouette zweier Mönchsgrasmücken, die eine Schlüsselrolle in vielen Forschungsbereichen des Instituts spielen. Denn der kleine Zugvogel zeigt eine Besonderheit: Er hat zwei verschiedene Überwinterungsgebiete. Eine Gruppe fliegt nach Spanien, die andere nach England. Ursprünglich sind alle Mönchsgrasmücken nach Süden geflogen. Sie hatten auch gar keine andere Wahl, denn die Zugrichtung ist genetisch festgelegt. Ein Vogel kann sich nicht einfach für eine andere Richtung entscheiden. Die erste Englandreise war demnach ein „Unfall“, ein Fehler im Programm, hat sich aber für die Vögel als gute Strategie herausgestellt. Die vogelfreundlichen Engländer füttern ihre gefiederten Gäste mit Fettknödeln, so dass der Winter kein Problem darstellt. Dafür müssen diese Mönchsgrasmücken nicht so weit fliegen, sind im Frühling früher wieder hier, früher fortpflanzungsbereit und können daher schneller mit dem Brüten beginnen. Die Zugrichtung vererben sie an ihre Nachkommen, so dass auch diese in England überwintern. Für die Ornithologen sind die Mönchsgrasmücken ein echter Glücksfall, denn innerhalb kürzester Zeit entstehen vor den Augen der Forscher zwei verschiedene Gruppen, die unterschiedliche Merkmale ausbilden.

Wanderbewegungen untersuchen

Nistkästen in allen Varianten. (Foto: Keller-Ullrich)
Bei ihrer Arbeit sind die Ornithologen auf die Hilfe ehrenamtlicher Mitarbeiter angewiesen, die bei der Beringung helfen. Die Vogelwarte Radolfzell dient als Zentralstelle für Süddeutschland und Österreich. Jährlich werden von den etwa 350 Ehrenamtlichen rund 80.000 Beringungen durchgeführt. Denn der kleine Metallring am Bein eines Vogels ist sein „Reisepass“. Er gibt Auskunft darüber, woher der Vogel stammt und auf welcher Route er unterwegs ist. In einer Datenbank sind diese Informationen aus den vergangenen 100 Jahren gesammelt und erlauben so die Analyse von Langzeitveränderungen.
Möglichst genaue Kenntnis über die Bewegung von Vögeln ist auch wichtig, um die Ausbreitung von Krankheiten zu verstehen, wie etwa bei der Vogelgrippe. So war vielen Epidemiologen und Politikern nicht bewusst, dass viele Vögel, nicht wie angenommen, von Nord nach Süd wandern, sondern vielmehr von Nordost nach Südwest. Zurzeit untersuchen die Forscher vor allem, wie die kleinräumigen Bewegungen von Vögeln aussehen.

Rat und Auskunft

Das Faszinierende an seiner Arbeit sei, dass man ganz unmittelbar erfahren könne wie Biologie oder vielmehr das Leben in seiner gesamten Komplexität funktioniere, sagt Wolfgang Fiedler. Außerdem sei es nicht nur ein „verkopfter Wissenschaftsberuf“, sondern man habe auch viel Kontakt mit Menschen. Seien es die ehrenamtlichen Mitarbeiter, seien es interessierte Laien, die regelmäßig in der Vogelwarte anrufen, meist weil sie konkrete Fragen haben. Die häufigste im Sommer lautet: „Kann es sein, dass ich gerade einen Kolibri gesehen habe?“ Diese Frage können alle Mitarbeitenden im Schlaf beantworten: „Nein, das war kein Kolibri, sondern ein Taubenschwänzchen.“ Das sind rund 50 Millimeter große Nachtfalter, die mit ihrem langen Saugrüssel und dem schnellen Flügelschlag einem Kolibri tatsächlich täuschend ähnlich sehen. Verzweifelte Autofahrer melden sich bei Wolfgang Fiedler, weil eine Bachstelze sich im seitlichen Rückspiegel entdeckt hat. Der vermeintliche Konkurrent bringt den Vogel dermaßen in Rage, dass er bis zur Erschöpfung gegen den Fremdling kämpft und dabei den Lack der Autotür komplett ruiniert. Der Ornithologe weiß Rat: den Spiegel abdecken und den „Gegner“ damit einfach unsichtbar machen.

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