Zellen analysieren Luft
Autoabgase, Rauch aus Verbrennungen in Industrie und Haushalten - wir atmen täglich ein Gemisch verschiedener Feinstaubpartikel ein. Erkrankungen der Atemwege oder des Herz-Kreislauf-Systems können die Folgen sein. Welche molekularen Mechanismen Flugaschen oder Nanopartikel in den Zellen des Lungengewebes auslösen, untersuchen Dr. Silvia Diabaté und ihr Team vom Karlsruher Institut für Technologie (KIT). Sie haben zu diesem Zweck eine Apparatur entwickelt, mit der sie die Vorgänge in dem Organ realitätsnäher als in Zellkulturen simulieren können. Die sogenannte Expositionskammer könnte als Biosensor irgendwann auch die Umwelt überwachen.
Umfangreiche epidemiologische Studien haben es in den 90ern belegt: Mit ansteigender Konzentration von Feinstaubpartikeln in der Atemluft steigt das Risiko für Erkrankungen der Atemwege und des Herz-Kreislauf-Systems. Was in der Atemluft kann uns krank machen? Es sind kleinste Partikel, die bei Verbrennungen im Inneren von Motoren, Kraftwerken oder Holzkaminen entstehen. Ein komplexes Gemisch aus Ruß, organischen Verbindungen und anorganischen Metalloxiden, die zum Teil nanometerklein sind. Nanopartikel werden auch von der Industrie in großen Mengen hergestellt, wie zum Beispiel Titandioxid, das in Wandfarben oder Sonnencremes enthalten sein kann. Vor rund zehn Jahren haben Dr. Silvia Diabaté und ihre Mitarbeiter vom Institut für Toxikologie und Genetik (ITG) am Karlsruher Institut für Technologie (KIT) begonnen, die krankmachende Wirkung von Flugstäuben zu untersuchen. “Diese Partikel gelangen mit der Atemluft in die Lunge und interagieren dort mit den Lungenzellen”, sagt Diabaté. “Aber welche molekularen Mechanismen hier wirken, entdecken wir gerade erst.”
Der Blick ins Zellinnere
Eine humane Lungenepithelzelle, die mit Titandioxid-Nanopartikeln (schwarze Punkte) behandelt wurde, im Transmissionselektronenmikroskop.
© Alicja Panas
Bei den Umweltstäuben sind es die ultrafeinen Partikel, die die stärkste Wirkung entfalten. Die Biologen vom ITG haben deshalb in den letzten Jahren neben den Flugaschen auch die industriell hergestellten Nanopartikel wie Titandioxid unter die Lupe genommen. In sogenannten Zytotoxizitätstests geben sie verschiedene Konzentrationen auf Lungenzellen und testen, ab wann die Zellen nicht mehr überleben. “Bei sehr hohen Dosen können die Zellen absterben”, sagt Diabaté. “Den genauen Mechanismus, der dahinter steht, kennen wir aber noch nicht.” Zu beobachten ist zum Beispiel, dass die Membranen der Zellen durchlässig werden. Das erkennt man daran, dass verschiedene Enzyme in den extrazellulären Raum austreten. Außerdem messen die Wissenschaftler einen stark eingeschränkten Stoffwechsel. Steht einmal fest, welche Partikel besonders toxisch sind und wie hoch die letale Dosis ist, rückt die Frage in den Vordergrund, was die Partikel in den Zellen eigentlich auslösen. “Hierzu applizieren wir unseren Testzellen niedrigere Konzentrationen der Partikel und testen mit verschiedenen molekularbiologischen Verfahren, welche Reaktionen die Zellen zeigen”, sagt Diabaté.
Nach Kontakt mit Umweltstäuben schalten die Zellen zunächst Mechanismen ein, die den sogenannten oxidativen Stress abbauen sollen. Dieser kommt zustande, weil in den Zellen reaktive Sauerstoff- und Stickstoffverbindungen angehäuft werden. Solche Verbindungen können DNS und andere wichtige Moleküle schädigen, und das versucht die Zelle zu verhindern. Umweltstaubpartikel erhöhen offenbar die Menge solcher reaktiven Verbindungen. Als zweites reagieren bestimmte Lungenzelltypen, die zum Immunsystem gehören. Sie erhöhen die Menge an Proteinen, die eine Entzündung auslösen. Solche Proteine sind zum Beispiel Zytokine, die anderen Immunzellen den Befall mit Fremdkörpern signalisieren und in der Lunge eine Immunantwort einleiten. Auslöser für diese Vorgänge ist vermutlich wiederum der oxidative Stress.
Eine Hightech-Lunge für die Straßenecke?
Das Expositionssystem, mit dem die Wissenschaftler vom KIT die biologische Wirkung von Umweltstäuben messen, ist auf den ersten Blick nur ein großer Schrank.
© Sonja Mülhopt
Aber inwieweit reflektieren diese Ergebnisse das, was in einer echten Lunge unter Partikeleinstrom passiert? Um eine möglichst hohe Realitätsnähe zu erreichen, führen Diabaté und Co ihre Experimente inzwischen nicht nur wie früher in klassischen Zellkulturen durch, sondern zusätzlich in einer extra für diesen Zweck entwickelten Expositionskammer. In Zellkulturen sind die Zellen mit flüssigem Nährmedium bedeckt, das Lungengewebe ist aber normalerweise nur von einem sehr dünnen Flüssigkeitsfilm überzogen und steht in direktem Kontakt zur Aerosolphase. Genau diese Situation herrscht auch in der Expositionskammer vor, in der die Zellen direkt mit einem Luftstrom “beatmet” werden können. Das Gerät sieht aus wie ein Schrank, in seinem Inneren aber sitzt Hightech. Das Aerosol wird ständig befeuchtet, die Temperatur muss konstant auf 37° Celcius gehalten werden, die Dosis der eingeleiteten Partikel muss stets überwacht werden. Ein Computer regelt all diese Parameter. Nach der Exposition werden die Vitalität der Zellen sowie die Konzentration der Zytokine, die die Zellen abgeben, bestimmt. Außerdem wird analysiert, ob eine steigende Dosis an Partikeln dazu führt, dass die Zellen mehr Gegenmaßnahmen gegen oxidativen Stress einleiten.
Mit ihrem System haben Diabaté und ihre Mitarbeiter inzwischen deutliche Effekte für Flugaschen nachweisen können. Aber auch auf bestimmte Nanopartikel reagieren die Zellen mit Zytokinfreisetzung. „Das ist für die Umweltproblematik von Bedeutung“, sagt Diabaté. Wird die Expositionskammer in Zukunft am Straßenrand stehen und die Wirkung der Luftschadstoffe analysieren? Für bestimmte umweltbezogene Fragestellungen eignet sich das Gerät bereits. So testeten die Karlsruher in Kooperation mit einer Arbeitsgruppe von der Universität Stuttgart zum Beispiel, welche Wirkungen die Stäube haben, die durch die Verbrennung von Holzpellets unter verschiedenen Bedingungen entstehen. „Aber an der normalen Straßenkreuzung ist die Konzentration von Partikeln in der Luft zu gering“, sagt Diabaté. „Die Methode, die Wirkung der Partikel mit der Expositionskammer zu analysieren, ist noch zu wenig empfindlich. Wir arbeiten momentan daran.“