Gastbeitrag
Zurück in die Zukunft? Von Holz zur Kohle zur nachhaltigen Bioökonomie
Im 19. Jahrhundert gelang die historische Energiewende von Holz zu Steinkohle. Heute befinden wir uns auf dem Weg zur nachhaltigen Bioökonomie. Forschungsarbeiten der Fakultät für Umwelt und Natürliche Ressourcen der Universität Freiburg zeigen, dass uns die Geschichte etwas über den Übergang zu einer nachhaltigeren, biobasierten Wirtschaft lehren kann.
Alex Giurca, Doktorand im Bioökonomie Graduiertenprogramm BBW ForWerts an der Professur für Forst- und Umweltpolitik der Universität Freiburg
© privat
Die Bioökonomie verspricht Antworten auf viele globale Herausforderungen, von Bevölkerungswachstum und Umweltzerstörung über Ressourcenknappheit zu Klimawandel. Weltweit wird sie in politischen Strategien als Weg in eine neue und nachhaltige Zukunft präsentiert. Dabei sollen dem Konzept zufolge die Hauptbestandteile von Material, Chemikalien und Energie aus erneuerbaren, biobasierten Ressourcen gewonnen werden.
In diesem Zusammenhang steht der Forstsektor im Rampenlicht. Die Forst- und Holzwirtschaft versprechen, mit ihrem Reichtum an natürlichen Ressourcen, Know-how und Infrastrukturen ein zentraler Baustein der Bioökonomie zu werden1. Viele Konzepte und Nachhaltigkeitsnarrative, die im Rahmen der Bioökonomie vorgestellt werden, sind jedoch nicht neu. Politikwissenschaftliche Analysen zeigen auf, dass die Debatte über Bioökonomie sich auf viele Argumente älterer Forst-Diskurse stützt und diese „recycelt“ (z.B. Grenzen des Wachstums und ökologische Modernisierung)2.
In der Tat behaupten Vertreter des Forstsektors „Wir sind Bioökonomie" und erzeugen damit den Eindruck, dass der Sektor in der Vergangenheit bereits nachhaltige bioökonomische Aktivitäten betrieben hat3. Das Motto dabei: „Sie finden Nachhaltigkeit modern? Wir auch – seit 300 Jahren“4.
Torben Flörkemeier, Doktorand an der Professur für Wald- und Forstgeschichte der Universität Freiburg
© Universität Freiburg
Da die Debatte um nachhaltige Ressourcennutzung nicht neu ist, fragen wir, inwieweit unterscheidet sich die Bioökonomie von anderen Nachhaltigkeitstransformationen? Transformationen sind langfristige, radikale und strukturelle Veränderungen von Gesellschaft und Technologien, die zu neuen Formen von Produktion und Konsum führen. Insbesondere die Frage, wie Nachhaltigkeit verstanden, befördert und umgesetzt wird, beeinflusst diese Transformationsprozesse. Denn was als „nachhaltig“ gilt, wird von Akteuren unterschiedlich interpretiert und verändert sich über die Zeit, weil es auf gesellschaftlicher Ebene stetig neu ausgehandelt wird. Beispielsweise bestehen verschiedenste Visionen über die Beziehung von Bioökonomie und Nachhaltigkeit5.
Vom Holz zur Kohle…
Historische Beispiele für eine an die Regenerationsfähigkeit der Natur angepasste Ressourcenbewirtschaftung sind seit dem frühen Mittelalter in der Forst- und Landwirtschaft nachweisbar. Das vorrangige Ziel war dabei eine gerechte Aufteilung der Ressourcennutzung zur sozialen Existenzsicherung6,7. Zu Beginn des 18. Jahrhunderts war die Zukunft des (sächsischen) Bergbaus durch zum Teil verheerende Waldzustände gefährdet: Der Grubenausbau und die mit Holzkohle betriebenen Öfen der Schmelzhütten benötigten große Mengen an Bau- und Brennholz. Die Umgebung der Bergwerke war weitgehend kahl geschlagen. Auf diese Ressourcenkrise reagierte der sächsische Oberberghauptmann Hans Carl von Carlowitz mit dem Werk „Sylvicultura oeconomica“ (1713)8. Darin forderte er eine „continuirliche beständige und nachhaltende Nutzung“ des Waldes und etablierte damit maßgeblich die Begriffe nachhaltig und Nachhaltigkeit in der forstlichen Welt. Trotz des Plädoyers von v. Carlowitz für eine nachhaltige Forstwirtschaft kam es während des 18. Jahrhunderts in vielen Regionen des deutschsprachigen Raumes zu Versorgungsengpässen. Deshalb wurden nachhaltige Holzerträge und rationelle Bewirtschaftung zum Leitziel der aufgeklärten Waldwirtschaft. Der Wald wurde zum Ort planmäßiger und systematischer Holzproduktion, der wertvolles Holz liefern sollte. Im ökonomischen Interesse des Staates wuchs in gleichaltrigen Reinbeständen das Bauholz für den Schiffbau, das Gewerbe und den Bergbau6,9,10.
Die energetische Grundlage der historischen Energiewende: Steinkohleförderung in der Grube Altenwald in Sulzbach (Saarland) um 1870.
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Diese Form der „nachhaltigen“ Forstwirtschaft versorgte die wachsende Bevölkerung unzureichend mit Energieholz. Deshalb versuchten Landesherren am Ende des 18. Jahrhunderts die Substitution von Holz durch Steinkohle zu befördern, z.B. durch Prämien und Öffentlichkeitsarbeit für Steinkohleöfen. Aufgrund schwach ausgeprägter Märkte und fehlender Akzeptanz in der Bevölkerung setzte sich die Verwendung von Steinkohle zunächst nicht durch. Dies änderte sich in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts. Als Reaktion auf die industrielle Entwicklung in England sowie aufgrund nationalliberaler Ideen in Deutschland entwickelten sich strategische Allianzen von staatlichen Akteuren, Wissenschaftlern und Industriellen, die eine vermehrte Förderung und Nutzung von Steinkohle forderten. Ihr Ziel war ein „nachhaltiges“ – dauerhaftes – Wachstum der Wirtschaft unter dem Motto „Arbeitsplätze, Wohlstand, Wettbewerbsvorteile“.
Parallel zur Etablierung dieser gesellschaftlichen Allianzen setzte sich der wirtschaftliche Einsatz des Energieträgers Steinkohle in den 1830er Jahren im deutschsprachigen Raum durch. Diese Veränderung des Energieversorgungssystems für Haushalte, Handwerk und Industrie von erneuerbaren zu fossilen Energieträgern wird als historische Energiewende bezeichnet und stellte die energetische Grundlage für die Industrialisierung Deutschlands dar. Im Lauf der Industrialisierung veränderten sich Gesellschaft und Technologien langfristig, radikal und strukturell. Es vollzog sich eine Transformation, die im Verständnis der Zeitgenossen nachhaltig war. Denn durch die stoffliche Verlagerung sollte eine nachhaltige Bewirtschaftung der natürlichen Ressource Holz ermöglicht werden.
Zurück zur Bioökonomie?
Doch mit der Zeit wurde deutlich, dass die aus der historischen Energiewende resultierende Abhängigkeit von fossilen Ressourcen strukturell nicht nachhaltig ist. Was einst als Motor für Deutschlands Industrielle Revolution gepriesen wurde, verursacht im 21. Jahrhundert die größten weltweiten Probleme, wie Klimawandel und Umweltzerstörung. Deshalb ist aktuell die zukünftige Nutzung von Steinkohle und Öl im Zentrum der politischen Debatte um die Energiewende. Mit anderen Worten: Wenn Deutschland seine Klimaziele erreichen will, dann muss es seine Abhängigkeit von fossilen Energieträgern deutlich reduzieren.
Interessanterweise wird eine Rückkehr zum Energieträger Holz als Ausweg aus dem Klimawandel-Dilemma präsentiert. Die Initiierung einer neuen Energiewende und die Etablierung einer Wirtschaft auf der Grundlage erneuerbarer Ressourcen wurden in den nationalen Bioökonomie-Strategien 2011 und 2014 formuliert11,12. Das langfristige Ziel ist der Übergang zu einer Bioökonomie, welche die Hauptbestandteile für Materialien, Produkte und Energie aus erneuerbaren statt aus fossilen Ressourcen bezieht. Dieses neue, nachhaltige Wirtschaftsmodell verspricht neue Arbeitsplätze sowie eine langfristige Sicherung der deutschen technologischen und wirtschaftlichen Wettbewerbsfähigkeit11.
In mehr als 300 Jahre seit v. Carlowitz (1713) erstem Plädoyer für eine nachhaltende Forstwirtschaft war das Verständnis von Nachhaltigkeit stets im Wandel begriffen.
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Ebenso wie bei der historischen Transformation von Holz zur Steinkohle spielen dabei politische Akteure, Forschungsorganisationen und (etablierte) Industrien eine wichtige Rolle. Unterschiedliche staatlich geförderte Bioökonomie-Cluster wurden damit beauftragt, Wertschöpfungsketten zu synchronisieren sowie neue Prozesse und Produkte zu entwickeln. Die Sektoren Forst- und Landwirtschaft sind angesichts ihrer großen Ressourcenbasis zentrale Akteure in diesen Netzwerken.
Die Frage nach der Nachhaltigkeit der Ressourcen entwickelt sich erneut zum Streitobjekt. Denn nicht alle Akteure sind der Meinung, dass ein vollständiger Wechsel zur biobasierten Ökonomie tatsächlich den richtigen Weg aus den derzeitigen Umweltproblemen darstellt. Während einige Vertreter der Forst- und Holzwirtschaft davon ausgehen, dass die Holzversorgung für die wachsende Bioökonomie ausreichen wird, sind andere Akteure skeptischer und verweisen auf die gegensätzlichen Bedürfnisse und hohen Preise für Holz in Deutschland. Ebenso kritisieren sie die energetische Holznutzung als Bedrohung für das Ökosystem Wald und die Gefahr erhöhter CO2-Emissionen.
Lehren aus der Zukunft
Zwischen der historischen und aktuellen Nachhaltigkeitstransformation lassen sich bemerkenswerte Parallelen erkennen: Beide versprechen Wohlstand, Wachstum und Arbeitsplätze; beiden fehlt es an Wettbewerbsfähigkeit und öffentlicher Akzeptanz; beide präsentieren technische Lösungen für Umweltprobleme und streiten gleichzeitig um ein gemeinsames Verständnis von Nachhaltigkeit. Das Verständnis von Nachhaltigkeit hat sich seit v. Carlowitz (1713) deutlich verändert. Aufgrund seiner Komplexität ist die Auslegung von Nachhaltigkeit stets im Wandel begriffen – oder anders ausgedrückt: „Nachhaltigkeit ist nicht nur Eigenschaft sondern Anspruch“6.
Mit dem Bestreben zu einer biobasierten Gesellschaft zurückzukehren, scheint sich der Kreis zu schließen. Zwar ist dies ein Schritt in die richtige Richtung, doch da der Wohlstand der historischen Energiewende mit (unerwarteten) Nachwirkungen auf die Nachhaltigkeit einherging, besteht diese Gefahr auch bei der Transformation zur Bioökonomie. In der Tat ist das Konzept Bioökonomie nicht per se nachhaltig. Dem Anspruch nach soll die weltweite nachhaltige Entwicklung unterstützt werden, doch sind gleichzeitig wirtschaftliche Aspekte eindeutig dominierend. Ebenso fußt das Konzept auf technokratischen und instrumentellen Ansätzen, die den Wald als industrielle Produktionsstätte ansehen. Ein erhöhter Bedarf an Holz ermöglicht zwar monetäre Gewinne, birgt aber die Gefahr das nachhaltige Management zu untergraben, welches die Forstwirtschaft mit Bezug auf v. Carlowitz stolz als Leitbild präsentiert.
Wir stehen aktuell vor großen gesellschaftlichen Herausforderungen. Doch bieten uns Herausforderungen auch Möglichkeiten: Wir haben die Chance unsere Wirtschaft effizienter und nachhaltiger zu gestalten. Dafür braucht es eine Vision für die Bedeutung von Bioökonomie – und noch wichtiger – die Bereitschaft Nachhaltigkeit immer wieder neu nach gesellschaftlichen Bedürfnissen im Sinne sozialer, ökologischer und wirtschaftlicher Kriterien auszuhandeln.
Über die Autoren:
Alex Giurca ist Doktorand im Bioökonomie Graduiertenprogramm BBW ForWerts. Er arbeitet an der Professur für Forst- und Umweltpolitik der Universität Freiburg, betreut von Prof. Dr. Daniela Kleinschmit.
Torben Flörkemeier ist Doktorand an der Professur für Wald- und Forstgeschichte der Albert-Ludwigs-Universität Freiburg und Stipendiat der Deutschen Bundesstiftung Umwelt. In seinem Dissertationsvorhaben – betreut von Prof. Dr. Uwe E. Schmidt – untersucht er die historische Energiewende von Holz zu Steinkohle im 19. Jahrhundert.
Dieser Beitrag ist ein Gastbeitrag.