Mit welcher Biomasse die Energiewende stemmen?
Wortklauberei muss sein: Vielfach ist von Bioenergie die Rede. Der dem Englischen entlehnte Begriff ist knapp, aber missverständlich, weil er falsche Erwartungen (Bio = Öko) wecken kann. Unser Gegenvorschlag, Energie aus Biomasse, klingt zwar sperriger, ist aber neutraler.
Hierzulande verengt sich die Diskussion oft auf Biotreibstoffe der ersten Generation (Biodiesel und Bioethanol), deren Nachhaltigkeit („Tank oder Teller“) bestritten wird. Biomasse zur Energiegewinnung meint auch Holz, Raps oder Mais, umfasst mehrjährige Gräser genauso wie Algen oder Cyanobakterien. Der Energiestatistiker zählt zur Biomasse auch organische Rest- und Abfallstoffe tierischen (Gülle) und pflanzlichen Ursprungs, Klär- und Deponiegas ebenso wie biogene Abfälle und Reste aus der verarbeitenden Industrie.
Der lange Weg zur Nutzung
Ist der Anbau von Energiepflanzen wie hier von Pappeln und Weiden, nachhaltig? Einfache Antworten auf diese Frage gibt es nicht.
© FNR
Zwei Eigenschaften machen die Biomasse unter den erneuerbaren Energieträgen (EE) einzigartig: sie deckt das Energie-Portfolio (Wärme/Kälte, Strom und Treibstoffe) vollständig ab. Und sie kennt keine Speicherprobleme.
Ehe Biomasse energetisch nutzbar ist, muss sie angebaut, geerntet, eingesammelt, verteilt, vorbehandelt, transportiert und gelagert werden. Diese Bereitstellung gilt mit Einschränkungen auch für Rest- und Abfallstoffe oder Mikroorganismen und macht den Energieträger teuer. In Entwicklung befindliche Technologien sollen die voluminöse und relativ energiearme Biomasse verdichten, lagerungsfähig und transportierbar (wie z. B. den Slurry des Karlsruher bioliq-Verfahrens) machen und für die Konversion aufbereiten.
Biomasse lässt sich thermo-chemisch (Pyrolyse, Vergasung), physikalisch-chemisch (Pressung/Extraktion, chemische Wandlung) oder bio-chemisch (aerobe Vergärung, alkoholische Fermentation) zu festen, flüssigen und gasförmigen Energieträgern umwandeln, die über Verbrennung beziehungsweise vollständige Oxidation Kraft(-stoffe) und Wärme/Kälte erzeugen.
Status Quo: Biomasse immer noch weit vorne
Mit dem deutschen Atomausstieg 2011 muss fast ein Viertel des Stroms (2010: 22,6 Prozent) ersetzt werden. Kurz- und mittelfristig sollen neue fossile Kohle- und Gaskraftwerke einspringen, auf lange Sicht EE. Bis 2020 soll ihr Anteil auf 35 Prozent (2010: 16,8) steigen, bis 2030 auf 50 Prozent. Verbindlich sind diese Ziele nicht, ein Klimaschutzgesetz fehlt.
Weiterhin viel Grün: Energie aus Biomasse stellt weiterhin den Löwenanteil der Erneuerbaren Energien am Endenergieverbrauch.
© BMU
Elf Prozent beträgt der EE-Anteil am Endenergieverbrauch in Deutschland 2010; 72 Prozent davon deckt Biomasse ab. (BMWI, Energiedaten, 16.06.2011; 73 Prozent für 2008 in BW). Ein Drittel des EE-Stroms entfiel 2010 auf Biomasse. Im Wärmemarkt dominiert die Biomasse 2010 wie zuvor (92 Prozent der EE-Wärme). Im Kraftstoffsektor beschränken sich die EE-Treibstoffe mangels Alternativen auf Biodiesel und Bioethanol; sie deckten 2010 5,8 Prozent am gesamten Kraftstoffverbrauch (2009: 5,5).
Baden-Württemberg will den EE-Anteil an der Stromproduktion bis 2020 auf rund 38 Prozent (2010: 16,6 Prozent, Umweltministerium, 14.08.2011) mehr als verdoppeln (dpa, 21.09.2011). Energie aus Biomasse soll acht Prozent zur Stromproduktion beitragen. Der 2010 fortgeschriebene Biomasse-Aktionsplan des Landes sieht das nachhaltige Potential in Reststoffen aus Land- und Forstwirtschaft und Landschaftspflege sowie in Rest- und Abfallstoffen aus Siedlung und Industrie. Damit bewegt sich das Papier auf Höhe der fachwissenschaftlichen Diskussion und Empfehlungen. Thematisiert werden auch die stofflich-energetische Nutzungskonkurrenz und der klimapolitisch unergiebige Anbau nachwachsender Rohstoffe und herkömmlicher Energiepflanzen.
Am meisten wärmt Biomasse
Wärme aus Verbrennung von Holz, mittlerweile immer öfter in Form von Hackschnitzeln oder Pellets.
© FNR
Weltweit deckt Biomasse einen wachsenden Anteil von EE-Strom und -Wärme. Der von Biomasse beherrschte Wärmemarkt wächst vor allem in Europa, den USA, China und Indien. Zunehmend werden Holzpresslinge (Pellets) eingesetzt, die Kraft-Wärme-Kopplung (KWK) und Biomasse-Nahwärmenetze gelten als Trends der Zukunft. China besitzt die meisten häuslichen Biogasanlagen. Gereinigtes Biogas wird vor allem in Europa in Pipelines eingespeist und soll Erdgas in KWK-Anlagen und Kraftwerken ersetzen. Bis 2020 soll in 1.500 Anlagen solches Biomethan in Deutschland eingespeist werden. Sechs Milliarden Kubikmeter Biomethan wären dafür nötig (Uni Hohenheim, 13.09.2011).
Biotreibstoffe liefern rund 2,7 Prozent des weltweiten Kraftstoffbedarfs für den Straßenverkehr. USA und Brasilien produzieren 88 Prozent des weltweiten Ethanols. Europa bleibt das Zentrum der Biodiesel-Produktion, trotz schrumpfender Zuwachsraten. Luftfahrtunternehmen, Ölfirmen und junge, schnell wachsende Unternehmen erweitern die Vielfalt der Biotreibstoffbranche.
Stand der Entwicklung
Noch immer ist die direkte Verbrennung von Biomasse zur Gewinnung von Wärme weltweit die häufigste Umwandlungstechnologie, die mit fossilen Brennstoffen konkurrieren kann. Verschiedene Technologien zur Biomasseverstromung existieren oder werden entwickelt. Die Beifeuerung (in Kohlekraftwerken) ist die günstigste Art der Stromproduktion. Etabliert sind Biomasseheizwerke einschließlich der Verfeuerung von Siedlungsabfällen, viele davon im industriellen Maßstab als KWK oder im Nahwärmenetz. Für Schlachtabfälle, Flüssigkeiten und feuchtes organisches Material gilt die anaerobe Vergärung derzeit als beste Option zur Gewinnung von Strom und/oder Wärme. Deutschlands Biogastechnologie gilt weltweit als führend (Bley, 69), kollidiert aber durch die geförderte Energiepflanzennutzung (Silomais) mit Natur-, Umwelt- und Klimaschutz.
Im Transport-Sektor gilt die Produktion von Biotreibstoffen der ersten Generation aus zucker-, stärke- und ölhaltigen Pflanzen sowie aus Fetten und Restölen als ausreichend entwickelt. Abgelöst werden sollen diese politisch gewollten, aber umstrittenen Kraftstoffe von synthetischen Treibstoffen aus lignosezellulosehaltiger Biomasse und Reststoffen. Diese Biotreibstoffe zweiter Generation sind nach Stand der Dinge technisch aber noch nicht ausgereift. Noch im FuE-Stadium befinden sich Entwicklungen, mit denen Algen und andere Mikroorganismen (dritte Generation) als Ölproduzenten dienen sollen. Genauso marktfern sind Entwicklungen zu regenerativ erzeugtem Wasserstoff.
Zersplitterung in Ressorts
Der Atomausstieg und die damit nötige Energiewende überwindet womöglich die bislang in Ressortgrenzen befangene deutsche EE-Politik, wie das 6. Energieforschungsprogramm (2011) erstmals andeutet. Im Nationalen Biomasseaktionsplan stellen Umwelt- und Landwirtschaftsressort ein Maßnahmenbündel zum Ausbau nachhaltiger Energie aus Biomasse vor. Wie und welche Formen der Energie aus Biomasse in das zukünftige regenerative Energiesystem integriert werden, bleibt unklar. Prinzipiell seien alle Nutzungspfade förderfähig, der Markt werde „bestimmen, welche Nutzungspfade und Technologien sich durchsetzen" (S. 29).
Biomasse, viel zu schade zur Energiegewinnung, sagen viele Chemiker. Am besten schaltet man eine stoffliche Verwertung vorneweg.
© VCI
Der in Fachkreisen oft gestellten Frage, ob die stofflich-industrielle Nutzung biogener Ressourcen (die einzige erneuerbare Kohlenstoffquelle für die chemische Industrie) nicht nachhaltiger sei als die nährstoff- und flächenhungriger Energiepflanzen, weicht man damit aus. Das Bundesforschungsministerium geht in seiner „Nationalen Forschungsstrategie Bioökonomie 2030" das Thema umfassender an. Mit Hilfe der Biotechnologie will man die „Welternährung unterstützen, Rohstoff- und Energieversorgung aus Biomasse sichern, zugleich Klima und Umwelt schützen sowie Deutschlands internationale Wettbewerbsfähigkeit ausbauen" (S. 14).
Wenn ja, welche Biomasse soll es denn sein?
Unstrittig ist, dass Energie aus Biomasse ein Pfeiler regenerativer Energiesysteme ist und dass ihre einzelnen Nutzungspfade effizienter, zuverlässiger und nachhaltiger werden müssen. Die Unentschlossenheit über den „richtigen“ Ausbau von Energie aus Biomasse ist keine deutsche Besonderheit, sondern auch international die Regel. Überall stößt man auf widersprüchliche Empfehlungen (vgl. L. R. Lynd et al.). In der Hauptsache richten sich die Bedenken auf die Flächenkonkurrenz mit der Nahrungs- und Futtermittelproduktion. Deren Auswirkungen auf Umwelt (Klimaschutz), Boden (Erosion, Wasserbedarf, Überdüngung) und Luft sind der Wissenschaft offensichtlich erst in Ansätzen klar.
Politik ignoriert Empfehlungen der Wissenschaft
Falsche Förderung - Biogaserzeugung aus Mais?
© Agentur für Erneuerbare Energien
Ratschläge und Empfehlungen der Fachwelt zur deutschen Biomasse-Energiepolitik verhallten bislang weitgehend ungehört. Der Wissenschaftliche Beirat für Agrarpolitik beim Bundeslandwirtschaftsministerium warf 2007 der Politik vor, sie fördere „besonders jene Bioenergielinien, die relativ teuer und vielfach ineffizient sind". Gemeint waren Biokraftstoffe und Biogas auf Nawaro-Maisbasis.
Ähnlich äußerte sich der Wissenschaftliche Beirat der Bundesregierung Globale Umweltfragen (WBGU) 2009. Die Umweltweisen kritisieren die Biokraftstoffquoten der EU, die sogar den Klimawandel verschärften. Ihr Vorschlag: biogene Abfall- und Reststoffe zur Wärme- und Stromproduktion statt Energiepflanzen. Im Verkehrsbereich setzen die Wissenschaftler auf Elektromobilität. Nachhaltige Energie aus Biomasse wird „bis etwa Mitte des Jahrhunderts eine wichtige Brückentechnologie für den Übergang in ein nachhaltiges Energiesystem sein", danach werden Wind- und Solarenergie das Ruder übernehmen, so die Prognose.
Mit Biomasse in die Lüfte?
Aufschlussreich ist, wie Energieforscher den Beitrag der Energie aus Biomasse bewerten. Im Luft- und Schwerlastverkehr, der Energieträger mit hoher Energiedichte erfordere, sowie für einige industrielle Fertigungsprozesse werden chemische Energieträger (Methan, Wasserstoff, „erneuerbares Kerosin") aus Sekundär-Biomasse sowie durch Elektrolyse und/oder weitere Konversionsverfahren erforderlich, die C02-neutral sein sollten (Eberhardt, S. 20). Angesichts knapper werdender biogener Ressourcen müssen Biomasse-Rest- und -Abfallstoffe besser mobilisiert und effizient genutzt werden, was einen Paradigmenwechsel von der Entsorgung hin zur Versorgung bedeuten würde. (Baur, S. 88 f.). Dieser Gedanke trifft sich mit der „Zero-Waste-Bioraffinerie", deren stofflich-energetische kaskadenartige Nutzung maximale Ressourcenausnutzung bei maximalem Wertstoff- und Energieertrag verspricht.
Ehrgeizig, aber immer noch machbar sind nach Expertenmeinung die Ausbauziele der Erneuerbaren Energien.
© BMU
Quellen/Literatur:
IEA Bioenergy (2009): Bioenergy - a Sustainable and Reliable Energy Source. A review of status and prospects. (www.ieabioenergy.com)
REN21 (Renewable Energy Policy Network fort the 21st Century: Renewables 2011. Global Status Report, 07/20011. (www.ren21.net)
Lee Rybeck Lynd, Ramlan Abdul Aziz et al.: A global conversation about energy from biomass: the continental conventions of the golbal sustainable project, Interface Focus (2011),1, 271-279, doi:10.1098/rsfs.2010.0047
Ruth Offermann, Thilo Seidenberger et al.: Assessment of global bioenergy potentials, in: Mitigation and Adaptation Strategies for Global Change, (2011, 16:103-115, doi: 10.1007/s11027-010-9247-9.
Thomas Bley (Hg.): Biotechnologische Energieumwandlung. Gegenwärtige Situation, Chancen und künftiger Forschungsbedarf (acatech diskutiert), Berlin Heidelberg 2009.
Global energy partnership: www.globalbioenergy.org
www.ghg-europe.eu: Treibhausgas-Management in europäischen Landnutzungssystem, EU-Projekt unter Federführung des Johann Heinrich von Thünen-Instituts, vgl. auch dessen PM vom 11.04.2011: Energiepflanzen sind unterschiedlich klimafreundlich.
IAASTD (International Assessment of Agricultural Knowledge, Science and Technology for Development), Weltagrarbericht. Synthesebericht, Hamburg 2009, S. 101-114
Deutsche Akademie der Naturfoscher Leopoldina/Acatech/Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften (Hg.): Konzept für ein integriertes Energieforschungsprogramm für Deutschland, 2009
European Biofuels Technology platform (www.biofuelstp.eu)
BMWI (Hg.): Forschung für eine umweltschonende,
Zuverlässige und bezahlbare Energieversorgung. Das 6. Energieforschungsprogramm der Bundesregierung, Berlin Juli 2011
BMU/BMELF (Hg.): Nationaler Biomasseaktionsplan für Deutschland, Berlin September 2010
BMBF: Nationale Forschungsstrategie Bioökonomie 2030, Bonn/Berlin 2010
BMELV(Hg.): Aktionsplan der Bundesregierung zur stofflichen Nutzung nachwachsender Rohstoffe, Berlin August 2009
Bundesrepublik Deutschland (Hg.): Nationaler Aktionsplan für erneuerbare Energie gemäß der Richtlinie 2009/28/EG zur Förderung der Nutzung von Energie aus erneuerbaren Quellen
Wolfgang Eberhardt, Helmholtz-Zentrum Berlin: Forschungsverbund Erneuerbare Energien: Forschung für das Zeitalter der Erneuerbaren Energien, 11./12. Oktober 2010, Berlin, S. 20)
Frank Baur, IZES: Effiziente Nutzung von Biomasse - Reststoffe, Nutzungskonkurrenzen und Kaskadennutzung, in: Forschung für das Zeitalter der Erneuerbaren Energien, S. 88ff.
Deutsches Biomasseforschungszentrum (Hg.): Identifizierung strategischer Hemmnisse und Entwicklung von Lösungsansätzen zur Reduzierung der Nutzungskonkurrenzen beim weiteren Ausbau der Biomassenutzung (Download) Autoren:Daniela Thrän, Matthias Edel, Janine Pfeifer, Jens Ponitka, Michael Rode / Silke Knispel , Leipzig 2011.
Internetforum der FuE-Plattform Biomass-to-Gas www.refuelnet.de
Leible, L./Kälber, S./Kappler, G.: Systemanalyse zur Gaserzeugung aus Biomasse (Karlsruhe 2011, KIT Scientific Reports, 7580).
Erste Fortschreibung des Biomasse-Aktionsplans BW (2010, durch Wirtschaftsministerium)
Treibhausgasbilanz nachwachsender Rohstoffe - eine wissenschaftliche Kurzdarstellung -
K. Butterbach-Bahl, L. Leible, S. Kälber, G. Kappler, R. Kiese Karlsruhe 2010 (KIT Scientific Reports 7556).