greenovation Biotech GmbH - Medikamente mit Moosen
Pflanzen können mit gentechnischen Methoden dazu gebracht werden, für den Menschen pharmazeutisch wirksame Proteine zu produzieren. Das kleine Blasenmützenmoos (Physcomitrella patens) ist in der Lage, komplexere Moleküle herzustellen, als Bakterien dies vermögen. Es ist gleichzeitig nicht so kostenintensiv in der Haltung und nicht so anfällig für humanpathogene Kontaminationen wie Ovarialzellen des chinesischen Hamsters (CHO). Die greenovation Biotech GmbH mit Zweitsitz in Freiburg hat die bislang einzigartige Bryotechnologie etabliert und wird nun auf dem Markt Antikörper, Enzyme und Gerinnungsfaktoren „made in moss“ anbieten.
Seit 2011 Geschäftsführer der greenovation Biotech GmbH: Dr. Thomas Frischmuth
© privat
Ohne Moos nix los - dieser Spruch scheint für die greenovation GmbH eine ganz eigene Wahrheit zu enthalten. 1999 von Prof. Dr. Gunther Neuhaus und Prof. Dr. Ralf Reski, beide Universität Freiburg, gegründet, zählt die Firma heute 20 Mitarbeiter. Dr. Thomas Frischmuth war bereits im Jahr 2002 im Beirat von greenovation und ist nun seit 2011 ihr Geschäftsführer. Frischmuth, der sich in seiner Karriere sehr lange mit Pflanzenbiotechnologie beschäftigt hat, leitet insgesamt sechs Gesellschaften, die sich allesamt rund um die Medikamentenherstellung und -analytik drehen. Mit der von greenovation entwickelten Bryotechnologie möchten Frischmuth und seine Mitarbeiter maßgeschneiderte Medikamente mithilfe von Moosen produzieren, optimieren und schon bald auf den Markt bringen. Im Gegensatz zum Molecular Pharming, bei dem stets ganze Pflanzen eingesetzt werden, nutzt man bei der Bryotechnologie lediglich haploide Mooszellen des Protonemas, dem fädigen grünen Vorkeim.
Vorteile der Bryotechnologie
Das Moos, das es in sich hat: Physcomitrella patens
© greenovation
Moose, die seit 450 Millionen Jahren unseren Planeten besiedeln und sich seither genetisch kaum verändert haben, bieten in der Kultivierung und Produktion von Wunschproteinen eine Menge Vorteile gegenüber Bakterien- oder CHO-Kulturen (CHO: Chinese Hamster Ovary). Während Bakterien nur relativ einfache Eiweiße wie Insulin herstellen können, sind eukaryontische Zellen fähig, auch komplizierte Moleküle wie etwa Antikörper oder Enzyme zu produzieren, die noch ein spezielles Glykosylierungsmuster an ihrer Oberfläche besitzen. Diese Zuckerketten werden in der Regel nach der Biosynthese an das fertige Protein gehängt (posttranslationale Proteinmodifikation) und machen dessen Charakter und gegebenenfalls seine enzymatische Aktivität aus.
Bei tierischen Zellkulturen stellte man fest, dass diese Modifikationen sehr heterogen sein können. „Nur die Primärsequenz eines Proteins ist im Gen festgelegt“, erklärt Frischmuth, „was dann an Zuckern noch vorhanden sein wird, kann sehr unterschiedlich sein und zu unerwünschten Nebenwirkungen führen.“ Pflanzen zeigen hier laut Frischmuth kaum Variation, sondern weisen ein sehr homogenes Glykosylierungsmuster auf. Durch Entfernen pflanzenspezifischer und Einsetzen humaner Enzyme wird dies dem humanen Muster ähnlicher. Dies hat eine hohe Homogenität sowie eine hohe Reinheit der pharmazeutisch wirksamen Produkte zur Folge. Darüber hinaus ist die Etablierung stabiler Mooslinien in kurzer Zeit möglich, weil das Moos mit dem haploiden Vorkeim leicht zu transformieren ist und sich für das eingebrachte Transgen äußerst stabil zeigt.
Verunreinigung der Produktionsstätten ist oft ein Problem
Im Vergleich zu tierischen Zellkulturen, die nach etwa 20 Tagen erneuert werden müssen, können Mooszelllinien über Monate kultiviert werden. Auch die Ernte des gewünschten Produktes ist leicht, denn das Zielprotein wird durch die Verwendung von Signalsequenzen aktiv von den Moosen ins umgebende Medium abgegeben. Da die pflanzlichen Zellkulturen in absolut geschlossenen Systemen gehalten werden, kann auch eine Auskreuzung ausgeschlossen werden und eine diesbezügliche Sicherheitsdebatte ist hinfällig. Zudem stellte greenovation seine Produktion 2009 kurzerhand von Reaktorröhren auf das Wave-System um, damit eine Anfälligkeit gar nicht erst auftreten möge. „Regulatorische Behörden haben ein Riesenproblem mit Röhrensystemen“, so der Biologe, „denn die Reinigung mechanischer Pumpen und der ganzen GMP-Anlagen ist ein gigantischer Aufwand.“ (GMP „Good Manufacturing Practice“ sind Richtlinien zur Qualitätssicherung in der Arzneimittelherstellung; Anm. d. Autorin)
greenovation setzt auf das Wave-System
Bei den Wave-Reaktoren handelt es sich um einen großen Tisch, der sich in zwei Richtungen neigen kann und auf dem ein spezieller durchsichtiger Plastiksack in einer Wanne liegt, der von oben beleuchtet wird. In diesem 100-, 300- oder 1.000-Liter-Sack befinden sich die Physcomitrella-Kulturen in einem Medium aus Wasser, Nährsalzen und Kohlendioxid. „Es war für uns ein großer Meilenstein, dass wir dieses Wave-System einrichten konnten“, erinnert sich Frischmuth, „denn durch die Bewegungen des Tisches bekommt man genau berechnete Wellen, die eine sehr gute Durchmischung der Kulturen und so einen optimalen Lichteintrag gewährleisten.“
Die Wave-Reaktoren gibt es in den Größen 100, 300 und 1.000 Liter.
© greenovation Biotech GmbH
Die bereits seit 2000 zugelassene Methode ist einfacher in der Handhabung als Röhrenreaktoren, bietet ein komplett geschlossenes System und - ein offenbar entscheidender Punkt - muss nicht einmal gereinigt werden. „Mit einer großen Einmalpumpe wird der Sack leergepumpt, den Überstand verarbeitet man weiter, der Sack wird einfach weggeschmissen und man kann das nächste Produkt mit der nächsten Kultur starten“, schildert Frischmuth den Ablauf. Seine Anlage wird auf die Weise nie wegen einer Virusinfektion geschlossen werden müssen.
Mit der Enzymersatztherapie auf den Markt
Mit Finanzhilfe vom Zukunftsfond Heilbronn und der L-EigenkapitalAgentur (L-EA) steuert die greenovation die grüne Biotechnologie vom Labormaßstab in Richtung industrieller GMP-Produktion an. Die Firma wird sich künftig mit zwei Standbeinen auf dem Markt behaupten können. Zum einen verfolgt greenovation ein eigenes Projekt, in dem sie für Patienten der seltenen genetischen lysosomalen Speicherkrankheit Morbus Fabry ein Medikament entwickelt. Bei den Erkrankten ist die Aktivität des Enzyms alpha-Galactosidase stark reduziert, so dass die pathologische Anreicherung eines Stoffwechselprodukts Schmerzen und Organversagen verursacht. Frischmuth setzt auf eine Enzymersatztherapie, für die greenovation das Enzym alpha-Galactosidase herstellt, das den Patienten regelmäßig zur Einnahme zur Verfügung steht. „Zwei in tierischen Zellkulturen hergestellte Medikamente zeigen den Erfolg einer Enzymersatztherapie“, sagt Frischmuth, „nun erwarten wir, dass wir mit unseren Moosen noch eine deutliche Verbesserung der Therapie erreichen.“ Zusammen mit der Biomeva GmbH baut greenovation einen neuen Produktionsbereich gemäß GMP-Richtlinien in Heidelberg auf, um das Medikament für klinische Studien sowie die Therapie der Fabry-Krankheit herzustellen. Im Frühjahr 2014 soll die alpha-Galactosidase als erstes GMP-Produkt in klinischen Studien einsetzbar sein.
Als zweites Standbein will greenovation Pharmafirmen und Biotech-Unternehmen zum Umstieg ermuntern, den bryotechnologischen Ansatz im großtechnischen Maßstab zu testen. Hier spricht Frischmuth Kunden an, die bereits über Produkte aus Säugetierzellen verfügen und diese noch mit Moosen optimieren wollen. Mit BryoSpeed stellt greenovation in kurzer Zeit kleine Mengen eines Glykoproteins her (Machbarkeitsstudie), das dann bei Erfolg mit dem BryoMaster in die Langzeitproduktion in großem Maßstab gehen kann. „Damit möchten wir unsere Moosplattform als Dienstleistung anbieten“, betont Frischmuth.