„Road Trip“ an den Bodensee
Amerikanische Wissenschaftler vom J. Craig Venter Institute (JCVI) waren zu Gast am Bodensee beim Limnologischen Institut der Universität Konstanz. Der Aufenthalt war Teil einer einzigartigen globalen Messkampagne, der Sorcerer-II-Expedition, die darauf abzielt, die Vielfalt der Mikroorganismen und deren Rolle in den globalen Stoffkreisläufen zu erfassen.
Dr. Jeff Hoffman und Dr. David Schleheck bei der Entnahme der Mikroorganismen-Proben aus der Filtrationsanlage
© Sonja Wicks, Uni Konstanz
Schätzungen zufolge tragen sie etwa zur Hälfte der Gesamtbiomasse der Erde bei und steuern wichtige globale Prozesse zur Umsetzung von Kohlenstoffverbindungen wie das Treibhausgas Kohlendioxid. Leider sind die Kleinstlebewesen nur schwer zu untersuchen. Nur etwa ein Prozent aller Arten lassen sich im Labor mit klassischen mikrobiellen Techniken anzüchten. Nach der Sequenzierung des menschlichen Genoms wollen J. Craig Venter und sein Team an die verbleibenden 99 Prozent der Organismen herankommen.
Die amerikanischen Forscher nutzen neueste Methoden der Molekulargenetik, die sogenannte Metagenom-Sequenzierung, und führen seit 2003 Messkampagnen in allen Weltmeeren durch. Die Reise auf ihrem Segelschiff Sorcerer II führte sie bisher durch den Atlantik, Pazifik und durch den Indischen Ozean. Die Expedition 2009 führt nach Europa, unter anderem in die Nord- und Ostsee, und geht 2010 weiter durchs Mittelmeer und Schwarze Meer. Vom Schiff aus werden mit standardisierten Verfahren Proben entnommen, um eine internationale Vergleichbarkeit der Ergebnisse zu gewährleisten. Mit einer mehrstufigen Filtrationsanlage sammeln die Forscher Mikroorganismen aus dem Wasser, also Bakterien und Viren, die dann zum Sequenzieren in die USA geschickt werden. In ihrer Pilotstudie haben die Wissenschaftler vom JCVI über 1,2 Millionen neue Gene und 1.800 neue Arten mit ihrer Analysemethode entdeckt. Das nichtkommerzielle Genomprojekt ist auf eine enge Kooperation mit den Wissenschaftlern der jeweiligen Anrainerstaaten ausgelegt. Wie bei den bisherigen Expeditionen werden die Sequenzdaten in einer öffentlich zugänglichen Umweltgendatenbank hinterlegt.
Nun machte die Expedition einen „Road Trip“ an den Bodensee. Für diesen Landgang packte das amerikanische Forscherteam die Filtrationsanlage in einen Kleintransporter und reiste von England aus an den Bodensee, um hier die Süßwasser-Mikroorganismen zu beproben. Vom Konstanzer Hafen aus stach das Forschungsschiff der Universität Konstanz in den Bodensee, um mit der standardisierten Filtrationsanlage jeweils 200 Liter Wasser aus verschiedenen Tiefen zu filtrieren.
Den Bodensee untersuchen die Wissenschaftler am Limnologischen Institut der Universität Konstanz seit Jahrzehnten sehr genau. Von einer Probennahmestelle im Überlinger See aus werden wöchentlich die verschiedenen Wasserschichten des Bodensees auf ihre physikalisch-chemischen Parameter sowie auf die Zusammensetzung der Plankton-Lebensgemeinschaft hin untersucht - und dies seit 30 Jahren. Unter anderem zeichnen die Konstanzer Forscher dabei sehr detailliert den jährlichen Zyklus des Planktonwachstums auf. Den Bakterien kommt in diesem Zyklus unter anderem die zentrale Rolle des Recyclings der verfügbaren Nährstoffe für das Algenwachstum zu. Sie wurden aber bisher in Bezug auf ihre Artenzusammensetzung am wenigsten untersucht.
„Diese Art Volkszählung der Mikroorganismen im Bodenseewasser erlaubt uns in einzigartiger Weise, neue Organismen zu entdecken und anhand ihrer Genomsequenz auf deren Funktion im Bodensee zu schließen“, erklärt Dr. David Schleheck aus der Arbeitsgruppe Mikrobielle Ökologie an der Universität Konstanz. „Wir konnten unsere Kollegen vom J. Craig Venter Institute von der Aufnahme der Bodenseeproben ins Sequenzierprogramm 2009 durch die hervorragende Datenlage zum Ökosystem Bodensee überzeugen, also durch die jahrzehntelange gewissenhafte Arbeit des Limnologischen Instituts der Universität Konstanz und anderer Forschungsinstitute am See“, so David Schleheck. „Vielleicht kommt uns das JCVI-Team ja noch mehrmals besuchen, um den gesamten Jahreszyklus zu verfolgen“, hofft David Schleheck.