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Von der Biomasse zum Produkt: Uni Hohenheim leitet Bioökonomie-Projekt über 15 Mio. Euro

Bioökonomie als Alternative zum Erdöl: Um das voranzubringen, braucht es eine verlässliche und preisgünstige Versorgung mit Biomasse als Rohstoff für nachhaltige und wirtschaftlich rentable Produkte. Außerdem müssen sich Biomasse-Produzenten und weiterverarbeitende Industrie besser vernetzen. Diese Ziele verfolgt, unter Federführung der Universität Hohenheim in Stuttgart, ein einzigartiger Verbund aus Universitäten, Agrarunternehmen und Industrie. Das EU-Projekt fördert den intensiven Austausch der Partner sowie den Anbau von neu gezüchteten, robusteren Sorten. Er soll zum Teil auf Flächen erfolgen, die mit Schwermetallen belastet oder aufgrund schwacher Erträge keine Konkurrenz zur Nahrungsmittelproduktion darstellen. Dabei soll auch die Artenvielfalt geschützt werden. 15 Mio. Euro Fördergeld dafür kommen aus Mitteln der EU und der Industriepartner.

Das Schilfgras Miscanthus liefert Biomasse für verschiedenste Anwendungen. © Universität Hohenheim / Dr. Olena Kalinina

In Deutschland kennt man das aus China stammende Miscanthus-Schilfgras vor allem als dekoratives Element im Garten. An der Universität Hohenheim haben Wissenschaftler mit der gut drei Meter hohen Pflanze dagegen Größeres vor: Hier wächst Miscanthus als Biomasse für die Energiegewinnung und für die Weiterverarbeitung zu anderen Stoffen.

Dafür gewinnen die Forscher mit Hilfe der Firma AVA Biochem aus Miscanthus-Stroh Zucker und produzieren daraus die Chemikalie HMF. Sie ist zum Beispiel Ausgangsstoff für Plastikflaschen oder Nylonstrümpfe. Aus dem verbliebenen Lignin, das der Pflanze als Stützmaterial dient, entsteht Phenol, ein weiterer Zwischenstoff für die Kunststoffgewinnung. Was danach vom Miscanthus-Gras übrig bleibt, wandert in die Biogasanlage der Universität – und anschließend als Dünger zurück auf die Felder.

Das ist nur ein Beispiel für eine lückenlose und nachhaltige Wertschöpfungskette, bei der man aus Biomassepflanzen die verschiedensten Produkte und Energielieferanten gewinnt. Weitere Beispiele zeigen Projektpartner in ganz Europa anhand von Produkten aus Miscanthus und Hanf.

Alternativen zu fossilen Rohstoffen

Nachhaltiges Wachstum fördern, dem Klimawandel entgegenwirken und Europa unabhängiger von fossilen Stoffen machen: Das alles soll die Bioökonomie leisten können. Dennoch kommt der Ausbau dieser nachhaltigen Alternative zu fossilen Rohstoffen nur langsam voran.

Die Gründe: Landwirte finden nicht genug Abnehmer aus der Industrie, um im großen Stil Biomasse für die Bioökonomie zu erzeugen. Für die Industrie hingegen reichen die aktuell verfügbaren Biomassemengen nicht aus, um in wirtschaftlich rentablem Maßstab Stoffe und Produkte daraus herzustellen. Hinzu kommt die öffentliche Befürchtung, dass durch den erforderlichen Rohstoffpflanzenanbau eine Konkurrenz zum Lebensmittelanbau um die besten Böden entstehen könnte.

Bei diesen Problemkomplexen setzt das europäische Projekt “GRowing Advanced industrial Crops on marginal lands for biorEfineries“ (GRACE) unter Leitung der Universität Hohenheim an. 22 Projektpartner aus Wissenschaft, Landwirtschaft und Industrie haben sich zum Ziel gesetzt, die Kooperation zwischen Biomasse-Produzenten und weiterverarbeitenden Unternehmen in Europa zu fördern, lückenlose Wertschöpfungsketten aufzuzeigen und den Biomasseanbau mit neuen Sorten, innovativen Anbaumethoden und der Erschließung bislang ungenutzter Flächen attraktiver zu machen.

Riesenschilf Miscanthus: Robuste Sorten im Test

Zwei Pflanzen haben die Projektpartner ins Auge gefasst: Miscanthus und Hanf. Besonders vom genügsamen und vergleichsweise robusten Miscanthusgras versprechen sich die Projektpartner großes Potenzial für die Bioökonomie. Einmal auf einem Feld etabliert, wächst die Pflanze jahrzehntelang in Dauerkultur und bietet dabei einen hohen Flächenertrag.

Einzige Schwäche der Pflanze: Bislang muss sie über Ableger angepflanzt werden, was vergleichsweise aufwendig und teuer ist. Bislang scheuen viele Landwirte deshalb die Investition an Zeit und Aufwand, die Miscanthus zu Beginn erfordert. An den beiden Universitäten von Wageningen (NL) und Aberystwyth (GB) wurden deshalb bereits vor Projektbeginn neue Sorten entwickelt, die sich über Samen vermehren lassen. Von jedem Züchtungsprogramm werden im Projekt jeweils sieben der neuen Sorten getestet.

Gemeinsam mit dem Miscanthusproduzenten Terravesta (GB) und der Saatgutfirma Vandinter Semo (NL) werden die neuen Sorten nun vermehrt, im Anbau getestet und für die weitere Züchtung charakterisiert. Das Ziel: Kälte- und trockenheitsresistente Miscanthus-Sorten, die mit der Standardsorte Miscanthus x giganteus in punkto Ertrag mithalten können oder sie sogar übertreffen, dabei aber dank Saatgutvermehrung eine geringere Startinvestition erfordern.

Biomasse-Anbau für die Industrie – auch auf Schwermetall-verseuchten Flächen

An 21 Standorten in Europa werden die Miscanthus-Sorten getestet, 4 Versuche beschäftigen sich mit dem Anbau von Hanf. Begleitet werden die Anbauversuche von Wissenschaftlern der beteiligten Universitäten Hohenheim (D), Aberystwyth (GB), Wageningen (NL), dem Nationalen Institut für Agronomieforschung (INRA) in Versailles und Montpellier (F), der Università Cattolica del Sacre Cuore in Piacenza (I) und der Agrarwissenschaftlichen Fakultät der Universität Zagreb (HR).

Untersucht werden unter anderem die Auswirkungen des Miscanthusanbaus auf die Biodiversität. Dazu gehört auch die Frage, ob und unter welchen Bedingungen die neuen, saatgutvermehrten Sorten keimfähige Samen ausbilden und wie vermieden werden kann, dass die neuen Sorten auswildern und einheimische Arten verdrängen.

An einigen Standorten testen die Partner den Anbau von Miscanthus auf schwermetallbelasteten Flächen, zum Beispiel neben dem Rollfeld eines Flughafens oder auf ehemaligen Schwerindustrieflächen. Sie wollen untersuchen, welche Auswirkungen die Schwermetallbelastung auf die Pflanzen hat, ob Schwermetalle in der Biomasse wiederzufinden sind und wie belastete Biomasse ohne Gesundheitsrisiko genutzt und weiterverarbeitet werden kann.

Die Firmen Terravesta (NL), Miscanthus Group (NL), Gießereitechnik Kühn (D) und Novabiom (F) bringen ihre Erfahrung im Miscanthusanbau ein und verarbeiten die Biomasse zum Teil auch selbst weiter. Die Firma Miscanthus F.A.R.M (A) berät und unterstützt die Anbauversuche.

Den Hanfanbau übernehmen die Firma Ecohemp (I) und das Consorzio di Bonifica di Piacenza (I). Ein Versuch beschäftigt sich zum Beispiel mit dem sogenannten Streifenanbau: Dabei werden streifenweise Hanf und Miscanthus angebaut, um die Vorteile beider Pflanzen zu nutzen: für ertragsarme Standorte in den Apenninen ist Hanf mit seinem Ertrag an Stroh und Samen eine wirtschaftlich besonders lohnende Anbauoption, Miscanthus als Dauerkultur senkt dabei das Erosionsrisiko und stabilisiert den Boden.

Wertschöpfungsketten verbessern

Ein zentrales Anliegen des Projektes ist es, lohnende Verwertungsmöglichkeiten für Biomasse aufzuzeigen und die Projektpartner so zu vernetzen, dass die Biomasse entlang der gesamten Wertschöpfungskette möglichst effizient, vollständig und vielfältig genutzt wird.

Im Projekt demonstrieren die Partner dafür eine Reihe von Beispielen aus den verschiedensten Einsatzbereichen: von Bau- und Isoliermaterialien, Basis-Chemikalien für die Kunststoffherstellung, Biokraftstoff, Verbundwerkstoffen und Bioherbizid als Glyphosat-Ersatz bis hin zu Anwendungen in Medikamenten oder Kosmetikprodukten.

Expertise für und Feedback aus der Industrie

Neben den Projektpartnern aus der Industrie können sich bereits während des Projektes auch andere interessierte Unternehmen in einem Industrie-Panel einbringen. So sollen die Erforschung weiterer Biomassenutzungsoptionen und die Vernetzung der Akteure der Bioökonomie gefördert werden und die Erkenntnisse noch schneller in die Praxis einfließen. Gleichzeitig erhoffen sich die Projektpartner, dass weiteres Know-how und Feedback von Bioökonomie-Unternehmen mit in die Forschung eingebracht werden kann.

Betreut von der Universität Hohenheim und dem Technologiecluster für grüne Chemie SPRING (I) könnten sich interessierte Industrievertreter des Industrie-Panels unter anderem auf Konferenzen treffen, Neuigkeiten aus den Projekten in einem Newsletter erhalten und sogar Biomasse von verschiedenen Sorten Miscanthus und Hanf für eigene Tests zur Verfügung gestellt bekommen.

Seiten-Adresse: https://www.biooekonomie-bw.de/fachbeitrag/pm/von-der-biomasse-zum-produkt-uni-hohenheim-leitet-biooekonomie-projekt-ueber-15-mio-euro