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Wie eine Wasserpflanze ihre Haut rettet

Die Biologin PD Dr. Elisabeth Gross ist den komplizierten Abwehrmechanismen auf der Spur, die eine Wasserpflanze, das „Ährige Tausendblatt“, einsetzt, um „ihre Haut“ gegen Fressfeinde zu schützen und konkurrierenden Algen das Leben schwer zu machen.

Dr. Elisabeth Groß, Biologin an der Universität Konstanz © Peter Schmidt

Das Tausendblatt setzt Tannine - Gerbstoffe - ein, die wir Menschen zum Beispiel mit Früchten, Tee oder Wein konsumieren. Tannine als Pflanzenwaffe sind ein kleines Rädchen in einem komplizierten Zusammenspiel zwischen Pflanze und Fressfeinden, Pflanze und Bakterien sowie Pflanze und Pflanze. Still und friedlich ist es in dem kleinen Raum, der in helles Licht getaucht ist. Nur das leise Brummen der Klimaanlage stört die Stille. In langen Reihen stehen hier Glasgefäße mit Wasserpflanzen, sorgfältig verschlossen mit silbriger Alufolie, jedes beschriftet. Eine unwirkliche Atmosphäre für den Besucher, nicht aber für die Biologin Dr. Elisabeth Gross, die hier in ihrem Element ist.

Die Wissenschaftlerin beherbergt in dem Raum die Pflanzen, die im Fokus ihrer wissenschaftlichen Projekte stehen: das Ährige Tausendblatt, eine Pflanze, die unter Wasser beheimatet ist, also zu den Tauchpflanzen gehört, und deren Pflanzenstängel bis zu 400 Zentimeter lang werden können. Charakteristisch für sie ist ein Blütenstand, der wie die Ähren von Getreide aussieht und der ihr den Namen gibt. In der Blütezeit ragen die Blüten über die Wasseroberfläche. Hier werden sie auch durch Insekten bestäubt. Die Fiederblätter sind fein, wie kleine grüne Federn. „Das Ährige Tausendblatt, das ursprünglich aus Europa und Asien kommt, ist in vielen Seen der Nordhemisphäre sehr stark verbreitet, dagegen im Bodensee im Rückgang begriffen, da der See inzwischen zu nährstoffarm ist. Noch vor zehn Jahren gab es richtige Wälder dieser Pflanze im See“, so Gross.

So zart die Pflanze auch aussieht, so massiv wehrt sie sich allerdings gegen Fressfeinde und gegen Algen, die ihr das Licht, Kohlendioxid für die Photosynthese und Nährstoffe streitig machen. „Wenig Licht und Nährstoff-konkurrenz mit anderen Pflanzen heißt: wenig Photosynthese und damit auch schlechte Wachstumschancen. Dagegen muss die Pflanze sich wehren“, erklärt Gross die Pflanze-Pflanze-Interaktion. Die Pflanze wehrt sich mit Hilfe von Tanninen, die zu den Polyphenolen gehören. Das sind Gerbstoffe, die wir vielfach in Lebensmitteln, in Obst und Pflanzen finden, zum Beispiel in der Rinde von Eichen und Kastanien. Auch in grünem und schwarzem Tee sowie im Rotwein sind Tannine enthalten.

Ins Gespräch gekommen sind die Tannine mit Blick auf ihre antioxidative Wirkung. Antioxidativ wirksame Substanzen kommen auch natürlicherweise in der Nahrung und im menschlichen Organismus vor und können vor Schädigungen von Zellkernen und Zellmembranen schützen.
Die Tannine sind nicht allein die Waffe gegen die Algen, sondern auch gegen Fressfeinde. Zum Beispiel gegen die Raupe eines Schmetterlings, den Wasserzünsler. Die Zünsler sind eine Familie von Schmetterlingen, von denen nur eine Art als Larve unter Wasser lebt. Die Raupen leben im Wasser, die kurzlebigen adulten Schmetterlinge über Wasser, etwa an den Blütenständen des Tausendblatts.

Der Raupe des Wasserzünslers haben es die Tausendblatt-Blätter angetan. Frisst sie die tanninhaltigen Blätter, dann verlangsamen die Tannine ihr Wachstum. Aber: „Die Tannine haben nicht nur negative Eigenschaften, sondern vermutlich auch positive, sonst würden die Larven nicht an den jungen, besonders tanninreichen Pflanzenspitzen fressen. Es könnte durchaus sein, dass die Tannine bestimmte pathogene Bakterien oder Parasiten in Schach halten und deshalb von den Raupen so begierig gefressen werden“, erklärt Gross das komplizierte Zusammenspiel von Vorteil und Nachteil. Gross vermutet auch, dass Bakterien dazu beitragen, die Tannine im Darm der Tiere besser zu verdauen. Die Raupen nehmen die Bakterien gleich mit den Blättern auf, fressen praktisch eine Art Kombipackung aus Blatt und Bakteriencocktail.

Bei der genauen Bestimmung der Bakteriengemeinschaft auf der Pflanze kommt die DNA ins Spiel. Die DNA der von den Blättern abgelösten Bakterien wird über ein spezielles Verfahren, DGGE genannt, aufgetrennt. „Man bekommt so eine Art Fingerabdruck für eine ganz bestimmte bakterielle Gemeinschaft und kann die Identität der einzelnen Bakterien, wie bei der Polizei, in großen Datenbanken abgleichen“, beschreibt die Biologin das aufwändige Verfahren. Dabei haben Gross und ihr Team auch untersucht, wie sich der Biofilm, das heißt die bakterielle Gemeinschaft, auf dem Tausendblatt von dem auf Laichkraut und unbelebtem Material unterscheidet. Ergebnis: Die Bakteriengemeinschaft einer Pflanze, die Tannine produziert, sieht ganz anders aus als die einer Pflanze, die den Stoff nicht produziert.

Wie aber funktioniert der komplizierte Mechanismus zwischen Tanninen und Bakterien? Dazu hat Gross mit ihrem Wissenschaftlerteam die Bakterien gezielt mit Tanninen angefüttert. Gewonnen werden die pflanzlichen Tannine aus der Pflanze selbst. Sie werden mit Lösungsmittel aus der gefriergetrockneten Pflanze herausgelöst. „Die Bakterienkulturen konnten nicht "à la carte" fressen und sich selbst die Leibspeise aussuchen, sondern nur die Tannine, die ins Reagenzglas gegeben wurden“, schmunzelt Gross. „Dadurch konnten wir einige Stämme isolieren, die die Tannine gerne abbauen. Das Problem dabei ist, dass nur wenige Bakterienkulturen tatsächlich im Reagenzglas wachsen und wir jetzt Methoden entwickeln, die den Abbau der Tannine auch in nicht kultivierbaren Bakterienstämmen nachweisbar machen. Die Raupe profitiert dann, wenn die Bakterien helfen, die Tannine in Schach zu halten, oder die Tannine tatsächlich genau die Bakterien ausschalten, die der Raupe schaden.“

Dabei stehen Pflanze, Tannine und Bakterien scheinbar in einem sehr ausgeklügelten System zueinander. „Die Bakterien fressen nicht alle Tannine weg. Die Pflanze hat also immer noch genügend von ihrer Waffe gegen die Fressfeinde und Algen“, erklärt Gross die Balance im System. Besonders viele Tannine stecken in den jungen Blättern der Pflanze, die so schützt, was besonders wertvoll ist. „Um das komplexe Wechselspiel noch besser zu verstehen, haben wir ein System aufgebaut, in dem wir gezielt bestimmte Bakterien zu ‚sauberen‘ Pflanzen geben können.“ Dazu werden die Pflanzen zunächst von allen Bakterien und Algen gereinigt. Es entstehen sogenannte „axenische Pflanzen“, und die werden dann sorgsam im eingangs beschriebenen klimatisierten Raum verwahrt.

„Wir schalten im Labor zunächst Komplexität aus und geben sie dann wieder in kleinen Dosen hinein, um möglichst nah an die tatsächlichen Gegebenheiten heranzukommen“, sagt die Biologin. Neue Möglichkeiten erhofft sich die Biologin auch durch das Bioimaging Center an der Universität Konstanz. Vielleicht rückt ein Instrumentarium in greifbare Nähe, das noch exakter zeigt, wie die verschiedenen Bakterien im Biofilm auf der Pflanze genau angeordnet sind und welchen Einfluss dies auf die Freisetzung der bioaktiven Tannine hat.

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