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Nanobiotechnologie

Der Begriff Nanotechnologie ist weit mehr als der Hälfte der Deutschen bekannt, spätestens seit der sogenannte Lotus-Effekt Ende der Neunzigerjahre für Schlagzeilen sorgte. Etwa seit der Jahrtausendwende drängt sich ein "bio" zwischen "Nano" und "technologie" und nimmt recht viel Raum und Finanzmittel in Anspruch. Von 2000 bis 2010 stellte das Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) für die Entwicklung der Nanobiotechnologie insgesamt 60 Millionen Euro zur Verfügung, und 2010 veröffentlichte das BMBF den Aktionsplan Nanotechnologie 2015. Was versteht man unter Nanobiotechnologie in Abgrenzung zur Nanotechnologie, wo und worüber wird in Deutschland und besonders in Baden-Württemberg aktuell geforscht, und welche Anwendungen sind davon betroffen?

Werden Nanopartikel für therapeutische Zwecke in den Körper eingebracht, sollen sie von bestimmten Zelltypen gezielt aufgenommen werden. Wie körpereigene Moleküle an Nanopartikel anbinden, ist eine der Kernfragen heutiger Forschung in der Nanobiotechnologie. Proteine (blaugrün) umhüllen einen Nanopartikel (grün), der wie das freie Protein an der Zellmembran, z.B. an Rezeptoren (blau), anbinden kann. Genaueres dazu finden Sie im Artikel "Nanopartikel: Forscher vermessen Proteinkorona" (siehe Link rechts). © Centrum für Funktionelle Nanostrukturen

An den winzigen Nanostrukturen hängen gewaltige Erwartungen, denn die Nanotechnologie gilt als Schlüsseltechnologie unserer Zeit, als Türöffner für die Zukunft. Schlüsseltechnologien liefern die Grundlage und Voraussetzung für weitere technologische Entwicklungen, verfügen über ein hohes Wettbewerbspotenzial, generieren große Wertschöpfung in Forschung und Industrie und sind in der Lage, Wirtschaft und Gesellschaft nachhaltig zu verändern. Die Nanobiotechnologie ist ein Zweig der Nanotechnologie und verbindet die Forschung an biologischen und nicht-biologischen Systemen, an belebter und unbelebter Natur. Es handelt sich um eine interdisziplinär angelegte Wissenschaft. Im Wesentlichen arbeiten hier Chemiker, Physiker, Biologen, Mediziner und Ingenieure zusammen. Nanopartikel sind für die Wissenschaft nicht allein durch ihre Größe definiert (Teilchen mit einer Größe unter 100 Nanometern; ein Nanometer entspricht einem Millionstel Millimeter), sondern auch durch ihre speziellen chemischen und physikalischen Eigenschaften – beispielsweise steigt die chemische Reaktivität durch die große Teilchenoberfläche im Verhältnis zum Volumen.

Nanotechnologie miniaturisiert biologische Abläufe

Drei Bedingungen sind in der Regel gegeben, damit aus Nano Nanobio wird: Erstens liegt Nanoskaligkeit in mindestens zwei Dimensionen vor; zweitens ist eine Biokomponente Bestandteil der Anwendung; und drittens muss ein technologischer Aspekt gegeben sein, das heißt, Potenzial zum Maßschneidern der funktionellen Einheiten oder für eine Ansteuerung auf der Nanoskala ist vorhanden. Die Nanobiotechnologie untersucht und nutzt den Transfer zwischen bio und nano in beiden Richtungen: von bio nach nano (bio2nano) und umgekehrt (nano2bio). Bio2nano bedeutet: Prinzipien und Bausteine der Biologie werden für die Entwicklung nanotechnischer Verfahren und Systeme genutzt, beispielsweise im Bereich Information, Kommunikation, Energie und Umwelt.

Nano2bio dagegen nutzt Nanotechnik für biologische Abläufe, um sie zu miniaturisieren, zu kontrollieren oder zu unterstützen, zum Beispiel bei der Herstellung biofunktionaler Oberflächen. Das sind Oberflächen, die mittels Nanotechnik so gestaltet sind, dass auf ihnen Zellen besonders gut wachsen oder gerade nicht wachsen, wie zum Beispiel bei Stents, die sich nicht wieder zusetzen dürfen. Nanopartikel spielen auch eine Rolle bei Drug-Delivery-Systemen, bei denen sie als Vehikel für medizinische Wirkstoffe dienen, die im Körper des Menschen an den richtigen Zielort gelangen sollen.

Wie in einem Artikel von Wolf G. Kroner beschrieben, richtet sich das Interesse von Physikern und Chemiker auch auf die Fähigkeit der DNA, sich selbst zu organisieren. Einzelne chemische Bausteine werden zuverlässig zu immer gleichen zwei- und dreidimensionalen Strukturen zusammengesetzt. Die DNA kann eigene Fehler detektieren und diese selbst reparieren. Die DNA erzeugt ihre eigene Funktionalität. Man kann biologische Strukturen und Prozesse nachbauen und so anderes als „Leben“ erzeugen: elektronische Datenspeicher, Schaltkreise oder Prozessoren, die kleiner und leistungsfähiger als die bisherigen sind. Man kann Enzyme einsetzen, um das Wachstum metallischer Nanopartikel zu stimulieren. Anorganische Partikel an DNA gekoppelt schaffen Funktionalitäten für Anwendungen jenseits von Biologie - Anwendungen, die die Natur nicht vorsieht.

Entzündungshemmende Dialysemembranen und Schädel-Implantate – Nanobiotechnologie in der aktuellen Anwendung

Bluteintrittsfläche in einen Dialysator. Die einzelnen Hohlfasern sind in Polyurethan eingebetet. © Gambro Dialysatoren GmbH

Der Medizintechnikkonzern Gambro Dialysatoren GmbH entwickelt und produziert Produkte und Therapien für die Nieren- und Leberdialyse und andere extrakorporale Therapien für Patienten mit akuten und chronischen Erkrankungen. Derzeit arbeitet Gambro an der Entwicklung einer neuen Generation hochselektiver Dialysemembranen, mit denen Entzündungen, die bei chronischen Dialysepatienten auftreten, deutlich reduziert werden sollen. Die neuartigen Trennmembranen bestehen aus einem Bündel von Hohlfasermembranen. In den Hauptkanälen wird das Blut größenselektiv in Plasma und Plättchen getrennt. Während sensible Blutkörperchen im blutverträglichen Hauptkanal bleiben, zweigt das Blutplasma durch enge Poren in den porösen, nanoskaligen Teil der Hohlfaser ab. Das Blut fließt dabei über eine bioaktive Oberfläche, an der selektive Absorber-Moleküle die toxischen Stoffe zielgerichtet und rasch aus dem Blutplasma angeln. Die Nanoporen werden dazu über ein trockenes plasmachemisches Verfahren mit funktionellen Gruppen ausgestattet und in einer anschließenden nasschemischen Behandlung mit den bioaktiven Molekülen gespickt. Angelegt ist das Projekt, das im September 2011 gestartet wurde, für drei Jahre. Es wird mit 2,1 Millionen Euro vom Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) unterstützt.

INCRIMP – intrakranielles Implantat: So nennt sich ein ebenfalls vom BMBF gefördertes Projekt unter der Federführung der inomed Medizintechnik GmbH in Emmendingen (weitere Projektbeteiligte sind die MCS GmbH, die Retina Implant AG, Plasma Electronic, NMI an der Universität Tübingen und Uniklinik Tübingen, alle in Baden-Württemberg). Das Verbundvorhaben arbeitet an der Entwicklung von Komponenten und am prototypischen Aufbau eines Schädel-Implantates für diagnostische und therapeutische Anwendungen in der Neurologie und Neurochirurgie. Zum Beispiel in der Epilepsiediagnostik und -therapie: Um nebenwirkungsreiche Medikation zu umgehen, verfolgen neuere Therapieansätze das Ziel, epileptische Aktivität durch punktgenaue Mikrostimulation von Gehirnstrukturen zu unterdrücken. Jedoch besitzen die aktuell gebräuchlichen Mikroelektroden weder die nötige Langzeitstabilität noch eine adäquate Biokompatibilität. Die Datenübertragung erfolgt bisher kabelgebunden durch die Kopfhaut, mit der entsprechenden Infektionsgefahr. INCRIMP entwickelt neuartige Komponenten, basierend auf Mikrosystem- und Nanotechnologie, um ein vollständig unter das Schädeldach implantierbares System mit drahtloser Energie- und Signalübertragung zu realisieren. Damit sollen eine sichere elektrophysiologische und neurochemische Langzeitüberwachung (über 30 Tage) und die gezielte elektrische Stimulation der Hirnfunktion ermöglicht werden, ohne erhöhtes Komplikationsrisiko durch Kabelverbindungen in der Kopfhaut.

Für Wirbelsäulenimplantate entwickelt das Konstanzer Unternehmen Orthobion zur Zeit osseo-integrative Titan- oder Calcium-Phosphate-Beschichtungen auf (medizinischen) Kunststoffmaterialien. Vorteil dieser Entwicklung im nanoskaligen Bereich ist sowohl die bessere als auch mechanisch stabilere Anhaftung der osseo-integrativen Beschichtung am Implantatkörper sowie der erhöhte BIC-Faktor (BIC = Bone-Implant-Contact). Der BIC-Faktor ist ein Maß für die Zellanhaftung.

Nanobiotechnologie in Deutschland

Mit Nanotechnologie beschäftigen sich in Deutschland rund 1.800 Institutionen (Stand Januar 2011), darunter 960 Unternehmen, gefolgt von Hochschulen, Forschungseinrichtungen und sonstigen Einrichtungen wie Netzwerken, Behörden, Verbänden. In bundesweit elf Nanotechnologie-Kompetenzzentren (CCNano) arbeiten Partner aus Wissenschaft, Industrie und Finanzen zusammen. Die Anzahl der Akteure ist regional stark unterschiedlich verteilt: Baden-Württemberg nimmt nach Nordrhein-Westfalen und Bayern eine Spitzenposition ein. Mit Nanobiotechnologie als Teilgebiet der Nanotechnologie beschäftigen sich 340 der 960 Unternehmen, wobei die meisten Unternehmen auf mehreren Teilgebieten aktiv sind. Im Bereich der Grundlagenforschung werden an Instituten und Hochschulen sowohl Anwendungen der Nanotechnologie als auch Auswirkungen von Nanopartikeln auf Mensch und Umwelt bearbeitet.

Nanobiotechnologie in Baden-Württemberg

In Baden-Württemberg bündelt sich die Nano-Forschung im Kompetenznetz Funktionelle Nanostrukturen (KFN), einer Plattform für interdisziplinäre und standortübergreifende Forschung in Baden-Württemberg. Weshalb ist das Verständnis funktioneller Nanostrukturen so entscheidend, dass man ihnen ein eigenes Kompetenznetz widmet? Zwei Entwicklungen sind ausschlaggebend: Zum einen ermöglichen wissenschaftliche Fortschritte im Bereich der Nanostrukturierung, -messtechnik, -analytik, -materialien und -werkstoffe neue Produkte, Prozesse und Technologien für die industrielle Anwendung zu entwickeln, darunter Autolacke, Katalysatoren, Hochleistungswerkstoffe, medizinische Anwendungen, Datenspeicher. Zum anderen sind Fortschritte in anderen Schlüsseltechnologien (z.B. künstliche Intelligenz oder Medizintechnik) zunehmend auf das Verständnis und die Beherrschung funktioneller Strukturen auf der Nanometerskala angewiesen.

Seiten-Adresse: https://www.biooekonomie-bw.de/fachbeitrag/dossier/nanobiotechnologie