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Wenn aus Pflanzen Plastik wird

In Zeiten von Klimawandel, Nachhaltigkeitsdenken und dem wachsenden Wunsch, vom Erdöl künftig weniger abhängig zu sein steigt das Interesse an biobasierten Kunststoffen. Diese können entweder komplett oder zumindest teilweise mit biotechnologischen Verfahren aus nachwachsenden Rohstoffen hergestellt werden.

Das reißfeste Seil im Kletterpark, die dehnbare und dennoch stabile Frischhaltefolie im Küchenschrank oder die ultraleichten und dennoch komfortablen Laufschuhe – ohne Kunststoffe müssten wir auf vieles, das wir im Alltag oder in der Freizeit nutzen, verzichten. Kunststoffe sind nicht nur nützlich, sie sind auch ein Wirtschaftsfaktor. Im Jahr 2008 wurden in Deutschland 20 Millionen Tonnen Kunststoffe hergestellt und damit 22,8 Milliarden Euro umgesetzt. Die weltweite Produktion von Kunststoffen betrug 2007 etwa 260 Millionen Tonnen, seit 1950 steigt die Produktion pro Jahr durchschnittlich um neun Prozent.

Basisstoff Erdöl

Kunststoffe werden fast ausschließlich aus Erdöl hergestellt. In Zukunft wird der Anteil an Kunststoffen steigen, deren Basis nachwachsende Rohstoffe wie zum Beispiel Holz sind. © BIOPRO/Bächtle

Bislang unverzichtbarer Basisstoff der Kunststoffindustrie ist Erdöl, denn die Bausteine von Kunststoffen sind Kohlenwasserstoffe – der Hauptbestandteil von Öl. Kunststoffe sind Polymere, das heißt lange Molekülketten, die aus mehr oder weniger großen Bauelementen zusammengefügt sind. Welche und wie viele unterschiedliche Bausteine dabei verwendet werden, ist von Kunststoff zu Kunststoff verschieden.

Im einfachsten Fall wird immer wieder das gleiche Bauelement mittels chemischer Prozesse aneinandergekoppelt. Es entstehen die bekannten Massenkunststoffe wie Polyethylen (PE), Polypropylen (PP) oder Polyvinylchlorid (PVC). Um ein Kilogramm dieser Massenkunststoffe herzustellen, sind etwa zwei Kilogramm Erdöl nötig für Grundstoffe und Energie. Wächst der Kunststoffmarkt weiter, steigt auch der Bedarf an Erdöl. In Deutschland fließen etwa fünf Prozent des hierzulande genutzten Erdöls in die Kunststoffproduktion. Gemessen am Löwenanteil von fast 90 Prozent, der in Energiegewinnung und Verkehr fließt, kann der Ölhunger der Kunststoffindustrie als gering eingestuft werden.

Zu sehen ist das Gehäuse einer Spiegelreflexkamera.
Kunststoffe können extrem hart und bruchsicher sein, so wie deses Kameragehäuse aus Polycarbonat. © BIOPRO/Bächtle

Bausteine aus der Biotechnologie

Dennoch lohnt es sich, dass die Kunststoffbranche über eine Alternative zum Erdöl nachdenkt und sich neue Rohstofffelder erschließt. Der Kunststoffmarkt hängt direkt am Erdölmarkt, seinen Preisturbulenzen und allen damit verbundenen Begleiterscheinungen. Biobasierte Polymere könnten einen Beitrag dazu leisten, diese Abhängigkeit zu entspannen, wenngleich auch manche Grundsubstanzen der Biotechnologie, zum Beispiel Stärke oder Zucker, indirekt an den Ölpreis gekoppelt sind.

Direkt, indirekt, pur, gemischt

Wichtiges und häufiges Polyhydroxyalkanoat: 3-Hydroxybutyrat. © Wikipedia

Es gibt mehrere Wege, über die man zu biobasierten Kunststoffen gelangt. Der direkte führt zu den sogenannten Polyhydroxyalkanoaten. Sie werden von Bakterien aber auch von manchen Pflanzen produziert und sind bereits Polymere, die Kunststoffeigenschaften haben.

Die indirekten, aber dennoch gangbaren Wege führen zu den Basisbausteinen eines Kunststoffs. Viele davon können biotechnologisch hergestellt werden, sie müssen im Anschluss aber mit chemischen Syntheseverfahren zu Polymeren verknüpft werden. Beispiele sind Milchsäure für Polylactid, Ethanol für Polyethylen, modifizierte Stärke für stärkehaltige Verbundstoffe, oder Bernsteinsäure und Diaminopentan für Polyamide, also Nylon.

Auch Mischformen sind möglich. Dabei wird eine Komponente des Kunststoffs chemisch-synthetisch hergestellt, die andere biotechnologisch. Zum Beispiel 1,3-Propandiol, ein zweiwertiger Alkohol, der mit Bakterien wie Citrobacter, Clostridium oder Lactobacillus aus Glyzerin gewonnen werden kann. 1,3-Propandiol ist für die Produktion eines bestimmten Polyesters eine wirtschaftliche Alternative, wie die jüngste Vergangenheit zeigt.

Die Erfolgsgeschichte Sorona™

Teppichboden aus dem biobasierten Kunststoff Sorona. Timberland, ein Hersteller für Outdoortextilien, setzt den Biokunststoff ebenfalls ein. © DuPont

Im Jahr 1995 stieg die Shell Chemical Company in die Produktion des neuen Polyesters Polypropylen-Terephtalat ein: Handelsname Corterra™. Die Bestandteile sind Terephtalsäure und 1,3-Propandiol. Das Unternehmen entschied sich, beide Komponenten petrochemisch, also auf Erdölbasis herzustellen, weil dies der preiswertere Weg zu sein schien. Doch es geht auch anders.

Im gleichen Jahr schlossen die Firmen DuPont und Genencor eine Vereinbarung mit dem Ziel, aus Traubenzucker (Glukose) das begehrte 1,3-Propandiol biotechnologisch herzustellen, um daraus ebenfalls Polypropylen-Terephtalat zu produzieren. Der somit teilweise auf nachwachsenden Rohstoffen basierende Kunststoff erhielt den Namen Sorona™. Weil die Prozessentwickler Maisstärke als Futter für die Mikroorganismen verwenden wollten, setzten sie einen gentechnisch modifizierten Stamm des Bakteriums Escherichia coli ein. Dieser kann nicht nur aus Stärke seinen Basisnährstoff Glukose freisetzen, sondern ist auch in der Lage, Glukose in Glyzerin umzuwandeln, um daraus das gewünschte 1,3-Propandiol zu synthetisieren. Den Entwicklern gelang es auf diesem Weg, den biotechnologischen Prozess so zu verbessern, dass er im Kostenvergleich mit dem petrochemischen Verfahren bestehen konnte.

Im Jahr 2006, elf Jahre nach Beginn der Kooperation zwischen DuPont und Genecor, startete die großtechnische biotechnologische Produktion von 1,3-Propandiol aus Maisstärke und damit verbunden die Herstellung von Sorona™. Aufgrund des biotechnologisch produzierten 1,3-Propandiols ist Sorona™ zu etwa einem Drittel biobasiert. Die Erfahrungen zeigen: Der biotechnologische Prozess ist wesentlich effizienter als der klassische Weg über das Erdöl und setzt deutlich weniger Mengen des Treibhausgases Kohlendioxid frei. Schätzungen ergaben, dass pro 50.000 Tonnen an biotechnologisch produziertem 1,3-Propandiol so viel Erdöl eingespart wird, wie man für die Herstellung von fast 38 Millionen Litern Benzin benötigen würde.

Nullsumme

Die Geschichte von Sorona™ führt zu zwei weiteren Aspekten, die für den Einsatz von biotechnologischen Verfahren in der Kunststoffproduktion sprechen: Umweltschutz und Klimaschutz. Wird ein Kunststoff zum Teil oder zu 100 Prozent aus nachwachsenden Rohstoffen hergestellt, so speichert er für die Dauer seines Lebenszyklus Kohlendioxid aus der Atmosphäre. Wird zum Beispiel Rohrzucker als Basisstoff für ein polymerisierbares Zwischenprodukt verwendet, stecken später in jedem Kilogramm des rein biobasierten Kunststoffes zwischen 2,1 und 2,5 Kilogramm CO2, das die Pflanzen zuvor aus der Atmosphäre gebunden haben. Erst bei der Verbrennung wird dieses Kohlendioxid wieder freigesetzt. Die CO2-Bilanz ist bei rein biobasierten Kunststoffen zumindest auf der Seite der Basisstoffe gleich Null. Fließen biobasierte Rohstoffe nur zum Teil in ein Produkt ein, dann ist die CO2-Bilanz zwar nicht ausgeglichen, aber immer noch besser als bei rein erdölbasierten Kunststoffen.

Auch in der Gesamtbilanz, also Basisstoffe zuzüglich Produktion, schneiden die biobasierten Kunststoffe besser ab: Pro Kilogramm eines stärkebasierten Kunststoffs werden etwa 300 Gramm Kohlendioxid frei, ebenso viel bei Polylactid, und etwa 500 Gramm bei Polyhydroxyalkanoaten. Zum Vergleich: Für jedes Kilogramm Polyethylen oder Polypropylen werden zirka zwei Kilogramm Kohlendioxid freigesetzt.

Rechenspiele

Trotz einiger Vorteile sind biobasierte Kunststoffe nicht grundsätzlich die bessere Wahl. Umwelt- und Klimaaspekte sind nicht die einzigen Parameter, die Kunststoffproduzenten und -verarbeiter ins Kalkül ziehen. Von besonderem Gewicht sind die Faktoren Preis und Werkstoffeigenschaften. Biotechnologische Verfahren sind nicht generell günstiger. Braucht ein Organismus teure Medien oder aufwändige Kulturbedingungen, kann dies bereits das Aus für einen biotechnologischen Prozess bedeuten. Die Produktionskosten wären nicht mehr konkurrenzfähig. Des Weiteren erfordern biotechnologische Verfahren oft mehrstufige, zeitraubende und technologisch anspruchsvolle Aufarbeitungsschritte, um das gewünschte Produkt von Zellen, Zellfragmenten, Medienkomponenten und vielen anderen Verbindungen aus dem Zellstoffwechsel zu isolieren. Im Moment ist das gegenüber den petrobasierten, chemisch-synthetischen Herstellungsverfahren noch ein klarer Nachteil.

Erntearbeiter ernten Zuckerrohr. Im Vordergrund sind die Arbeitet zu sehen, dahinter das Zuckerrohrfeld.
Zuckerrohr ist einer von vielen nachwachsenden Rohstoffen, die am Beginn der Produktionskette von Biokunststoffen stehen. © Wikipedia/Mette Nielsen

Schlüsselprojekte weltweit

Die Entscheidung, ob Biotechnologie bei der Kunststoffproduktion eine Rolle spielen kann, muss also immer wieder neu gefällt werden. Aktuell kann man feststellen, dass biotechnologische Prozesse in der Kunststoffbranche an Bedeutung gewinnen – selbst die Massenkunststoffe bleiben nicht ausgenommen. Das brasilianische Unternehmen BRASKEM legte im Frühjahr 2009 den Grundstein für die erste Anlage der Welt, mit der vollständig biobasiertes Polyethylen aus Bioethanol hergestellt werden kann. Ab 2011 sollen dort 200.000 Tonnen „Grünes Polyethylen“ pro Jahr produziert werden. Der Weltmarkt für Bio-Polyethylen wird von BRASKEM auf 600.000 Tonnen geschätzt. Das Bioplastik wird etwas mehr kosten als petrochemisch erzeugtes Polyethylen. Es bleibt also abzuwarten, ob der Markt bereit ist, für das Etikett „Bio“ zu bezahlen.

In den USA gibt es ebenfalls Bestrebungen, ins Geschäft mit den Biokunststoffen einzusteigen und den etablierten Petro-Produkten Konkurrenz zu machen. Metabolix, ein Biotechunternehmen aus Cambridge, hat sich der großtechnischen biotechnologischen Produktion von Polyhydroxyalkanoaten aus Maisstärke verschrieben. „Mirel™ “, abgeleitet von „miracle of nature“, soll ein vielseitiger Kunststoff werden, der zu 100 Prozent aus nachwachsenden Rohstoffen besteht und zudem biologisch abbaubar ist. Gemeinsam mit der Archer Daniels Midland Company will Metabolix noch im Jahr 2009 eine neue Produktionsanlage in Betrieb nehmen und jährlich fast 50.000 Tonnen Mirel™ herstellen.

Maniok wird vor allem in Thailand angebaut. Dort soll es die Basis für die Produktion von Biokunststoffen werden. © Wikipedia

In Südost-Asien soll der Biokunststoff-Markt bis 2015 laut Prognosen von Frost & Sullivan um mehr als 100 Prozent pro Jahr wachsen. Die Regierung Thailands verabschiedete 2006 einen Drei-Stufen-Plan mit dem Ziel, bis zum Jahr 2021 zum stärksten Biokunststoff-Produzenten in Südost-Asien aufzusteigen. Das Land setzt vor allem auf Polylactid, ein Polymer auf Milchsäurebasis. Hergestellt werden soll die Milchsäure biotechnologisch aus Maniok und Maisstärke. An Material mangelt es nicht, Thailand produziert pro Jahr 20 Millionen Tonnen Maniok und ist weltgrößter Exporteur.

Auch in Deutschland wird die Anlagenkapazität für biobasierte Kunststoffe ausgebaut. Die Pyramid Bioplastics Guben GmbH errichtet in Guben/Brandenburg eine Anlage, in der aus Zucker und Stärke Polylactid hergestellt werden soll. Die erste Ausbaustufe soll noch 2009 in Betrieb gehen. Bis 2012 wird die Anlage schrittweise erweitert auf eine Kapazität von 60.000 Tonnen pro Jahr.

Obwohl auch hierzulande das eine oder andere Projekt angeschoben wird, um biobasierte Kunststoffe großtechnisch herzustellen, fällt auf, dass andernorts die Initiativen von Großunternehmen und Regierungen stärker ausgeprägt sind. Wenn man berücksichtigt, dass sich die hiesige Forschungslandschaft und auch Großunternehmen mit dem Thema befassen, wächst die Verwunderung darüber, warum die erzielten Forschungs- und Entwicklungsergebnisse nicht mit Nachdruck auf den industriellen Maßstab übertragen werden.

Startphase hat begonnen, Zielankunft ist offen

Die Produktionskapazitäten und der Markt für Biokunststoffe wachsen. Dennoch muss man im Auge behalten, dass die Anteile der biobasierten Polymere am Gesamtmarkt derzeit noch verschwindend gering sind. Die Branche befindet sich in der Startphase, manches wird noch erprobt und man muss davon ausgehen, dass der Preis ein entscheidender Parameter für den Erfolg der Biokunststoffe sein wird. Daher bleiben die indirekten Beziehungen zwischen den biologischen Rohstoffen und dem Ölmarkt ein Thema für die Hersteller von biobasierten Kunststoffen. Weit oben auf der Tagesordnung steht für sie, die Preise für biologische Rohstoffe wie Mais, Zucker und Weizen vom Ölpreis zu entkoppeln und zusätzliche biologische Rohstoffquellen zu finden.

Gegenwind droht von den Ölproduzenten, wie das Beispiel Polyethylen zeigt. Das weltweite Produktionsvolumen von Polyethylen beträgt etwa 50 Millionen Tonnen pro Jahr. Weil jedoch manche Erdölstaaten im arabischen Raum mittlerweile auch die Kunststoffproduktion für sich entdeckt haben und zusätzliche Anlagen bauen, wird die Kapazität in den kommenden Jahren stark wachsen. Experten erwarten daher, dass das Angebot an Polyethylen bald schon die Nachfrage übersteigen wird. Dieser strategische Schwenk einiger Ölproduzenten könnte Unternehmen wie BRASKEM, die auf Bio-Polyethylen setzen, das Geschäft verhageln.

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