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Mehr als eine harte Nuss – neue Produkte für die Bioökonomie

Pflanzen werden häufig nur einseitig genutzt. Der Walnussbaum zum Beispiel hat weit mehr zu bieten als leckere Nüsse. Welches Potenzial er für die Bioökonomie hat und wie es wirtschaftlich genutzt werden kann, wird im Projekt „AlpBioEco“ ausgelotet. Außerdem im Fokus des internationalen Teams: Äpfel und Kräuter.

Prof. Dr.-Ing. Christian Gerhards forscht und arbeitet seit rund zehn Jahren an der Hochschule Albstadt-Sigmaringen. © HS Albstadt-Sigmaringen

Manchmal sind es verschlungene Wege, die zu einem spannenden Projekt führen. Die Stadt Sigmaringen und die Hochschule Albstadt-Sigmaringen werden ab Ende 2020 gemeinsam den InnoCamp Sigmaringen nutzen. Hier sollen in einer Modellfabrik, einer Akademie für Weiterbildung und dem Innovations- und Technologiezentrum ITZ neue Ideen aus Forschung und Entwicklung auf den Weg zur Anwendung gebracht werden. Aus dem ITZ heraus entstand die Idee, ein Bioökonomie-Projekt auf die Beine zu stellen. In der Folge brachten viele Netzwerkpartner ihre Ideen mit ein. Das Ganze wurde zu einem Paradebeispiel für eine Kooperation, die sich über Ländergrenzen hinweg für eine gemeinsame Region einsetzt – in diesem Fall für den Alpenraum. Zu diesem zählen laut EU-Definition auch die beiden südlichen Regierungsbezirke Baden-Württembergs: Freiburg und Tübingen – und somit auch die Stadt Sigmaringen.

Das Projekt „AlpBioEco“ läuft seit Mai 2018 über drei Jahre, hat insgesamt ein Volumen von rund 2 Millionen Euro und wird zum größten Teil von der EU im Rahmen des „Interreg Alpine Space Programms“ finanziert. Neben Walnüssen wird bei AlpBioEco auch das bioökonomische Potenzial von Äpfeln und Kräutern erforscht. Bei Letzteren liegt der Fokus auf Kräutern, die traditionell im Alpenraum schon genutzt werden, derzeit vorwiegend in der Aromen- und Kosmetikindustrie. Traditionell werden auch alpine Heuwiesen genutzt – man denke nur an den beliebten Heublumenkäse. Auch solche Mischungen von Wiesenpflanzen werden auf ihr bioökonomisches Potenzial hin untersucht. Bei Äpfeln hingegen wird ausgelotet, wie zum Beispiel die Reststoffe der Saftherstellung weiterverwendet werden können. In Südtirol und auch im alpennahen Bodenseebereich gibt es eine starke Apfelproduktion und -verarbeitung. Hier dürfte das wirtschaftlich besonders interessant sein.

Bioökonomie im Alpenraum soll gestärkt werden

Bei der Herstellung von Walnussöl fallen als Reststoffe Presskuchen an, die auf ihr Potenzial für neuen Wertschöpfungsketten untersucht werden. © HS Albstadt-Sigmaringen

Insgesamt sind 13 Projektpartner an AlpBioEco beteiligt. Lead-Partner und Antragsteller ist die Stadt Sigmaringen. „Das ist schon etwas Besonderes“, findet Prof. Dr.-Ing. Christian Gerhards, denn „es war der erste EU-Antrag für die Stadt, und es ist ein schönes Beispiel für eine Kooperation des ITZ und der Hochschule Albstadt-Sigmaringen“. Gerhards ist mit seinem Team seitens der Hochschule am Projekt beteiligt. Als weiterer akademischer Partner ist das MCI Management Center Innsbruck dabei. Es ist unter anderem für die 18 Workshops verantwortlich, die derzeit über den ganzen Alpenraum verteilt durchgeführt werden. „In den Workshops wollen wir mit Experten und den verschiedensten Interessenten wie Produzenten, Vermarktern und Verarbeitern von Lebensmitteln und aus anderen Branchen Ideen entwickeln“, so Gerhards. Projektpartner sind außerdem der BUND Regionalverband Bodensee-Oberschwaben und das bayerische Kompetenzzentrum für Ernährung, kurz KErn, sowie acht regionale Verbände und Wirtschaftsagenturen in Frankreich, Italien, Österreich und Slowenien.

Angestoßen durch Ulfried Miller vom BUND Regionalverband ist man im Rahmen des Projektes auf die Walnuss gekommen. In den nicht zu hoch gelegenen Gebieten des Alpenraums lassen sich die Bäume gut anbauen. „Gerade für die in der Region vorherrschenden kleineren Erzeuger bieten Walnussbäume ein großes Potenzial – wenn es gelingt, sie einer Mehrfachnutzung zuzuführen“, erklärt Gerhards. Er schafft mit seinem Team von zwei wissenschaftlichen Mitarbeiterinnen dafür die Grundlagen, indem Walnuss-Rohstoffe und Zwischenprodukte aus den diversen Verarbeitungsstufen analysiert werden. „Wir untersuchen zum Beispiel die Extrudierbarkeit von Walnussmehl und die sensorische und physiologische Qualität der Presskuchen, die bei der Herstellung von Walnussöl anfallen. Wir sammeln auch grundlegende Daten, etwa zum Fett- und Proteingehalt der Presskuchen“, sagt Gerhards. Die Ergebnisse liefern ihm und den Partnern wichtige Basisinformationen zum Aufbau neuer Wertschöpfungsketten. Eine wichtige Erkenntnis aus den bisherigen Versuchen ist, dass es für eine Verwertung der Presskuchen essenziell ist, Standards für deren Zusammensetzung zu definieren. „Das sprengt zwar den Rahmen dieses Projekts, ist jedoch im Zuge der Weiterentwicklung angedacht“, so Gerhards.

Mehr als nur ein Lebensmittel – Walnussbäume als Quelle für vielfältige Bioprodukte

Im Sinne des ganzheitlichen bioökonomischen Ansatzes haben er und sein Team nicht nur den Kern der Walnuss im Blick. Sie untersuchen auch Blätter des Walnussbaums und die holzigen sowie die grünen Nussschalen auf ihr Nutzungspotenzial. Dabei sind sie auch im Gespräch mit externen Experten. Das Team hat zum Beispiel mit Pharmazeuten diskutiert, wie die Blätter als Tee oder Tinktur nutzbar gemacht werden könnten. Die Verwendung als biologisches Pflanzenschutzmittel ist eine weitere Möglichkeit. Bekannt ist bei Walnussblättern bereits der Inhaltsstoff Juglon, der über den Laubfall in den Boden gelangt und das Wachstum anderer Pflanzen hemmt. Diese Art der Wechselwirkung zwischen Pflanzen wird auch als Allelopathie bezeichnet.

Interessant ist auch die Verarbeitung zu Papier. „Walnuss-Papier hat einen speziellen, sichtbaren Faseranteil und ist leicht gelblich. Dafür sind gerade im boomenden Öko-Bereich viele Anwendungen denkbar, von Info-Flyern bis zu Speisekarten“, umreißt Gerhards einige Optionen. Auch bei Schalen hat die Gruppe Potenzial entdeckt. „Wir haben Färbeversuche mit Schalenextrakten durchgeführt und können bei Naturfasern eine breite Farbpalette von Gelb bis dunkelrot erzeugen. Das könnte für nachhaltig hergestellte Textilien interessant sein“, so Gerhards.

In der nächsten Phase des Gesamtprojekts sollen zwei innovative Konzepte testweise umgesetzt werden – Gerhards hofft natürlich, dass eine Walnuss-Nutzung dabei sein wird. „In dieser Phase können dann auch KMU mit einsteigen und das Konzept mit weiterentwickeln“, betont er. Auf der Gesamtprojektebene gehen die Ziele über eine modellhafte Produktentwicklung noch hinaus. „In einem übergeordneten Ansatz wird untersucht, wie man Strukturen so verändern kann, dass die Bioökonomie leichter im Alpenraum umgesetzt werden kann. Wir geben unsere Erfahrungen, Ideen und Geschäftsmodelle an die Regionalverbände und andere Gremien weiter, die dann wiederum regionaler und auf EU-Ebene agieren können. Damit wollen wir schlussendlich die Nachhaltigkeit des Projekts gewährleisten“, so Gerhards.

Projektbezeichnung

Obwohl der Name des Projekts „AlpBioEco“, um das es im obigen Artikel geht, recht ähnlich klingt wie „AlpLinkBioEco“, hat es mit diesem Bioökonomie-Projekt, das von BIOPRO mitgetragen wird, inhaltlich nichts zu tun – gemeinsam ist beiden jedoch die Förderung durch das EU-Programm „Interreg Alpine Space Programme“.

Seiten-Adresse: https://www.biooekonomie-bw.de/fachbeitrag/aktuell/mehr-als-eine-harte-nuss-neue-produkte-fuer-die-biooekonomie