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Neueste Forschung zeigt Wirksamkeit von Biotensiden

Ölkatastrophen bekämpfen – Biotenside können mikrobiellen Ölabbau stimulieren

Ausgelaufenes Öl aus Bohrplattformen und Tankern verursacht Umweltverschmutzungen und einen Biodiversitätsverlust. Forschende u. a. der Universität Stuttgart versetzen der Bewältigung von Ölkatastrophen durch Biotenside nun einen Schub nach vorn: Mit ihrer neusten Forschung konnten sie nachweisen, dass der mikrobiologische Abbau von Ölkomponenten im Meerwasser durch Biotenside gesteigert werden kann im Vergleich zu herkömmlichen Dispersionsmitteln.

Ölteppiche über der Meeresoberfläche, kontaminierte Küsten, ölverklebte Fische und Vögel – Ölkatastrophen haben verheerende Umweltfolgen für Pflanzen, Tiere und Menschen. Denn Erdöl ist giftig. Neben Schwefel, Stickstoff und Schwermetallen enthält es polyzyklische aromatische Kohlenwasserstoffe, die krebserregend sind. Pflanzen sterben ab, Tiere ertrinken, verhungern oder vergiften sich, Schadstoffe gelangen in die Nahrungskette.

Schätzungsweise 1.500 Mio. Liter Öl fließen pro Jahr in die Meere

Den großen Ölunfällen der Vergangenheit, wie dem Tankerunfall der Exxon Valdez oder der Explosion der Bohrplattform Deepwater Horizon im Golf von Mexiko, sind viele weitere gefolgt. Die Unglücke, so auch die westsibirische Ölkatastrophe, wirken sich bis heute aus. Andere Ereignisse liegen erst wenige Wochen oder Monate zurück – denkt man an die Tankerunglücke vor der niederländischen und der peruanischen Küste, wo der Notstand ausgerufen wurde. Schätzungsweise 1.500 Mio. Liter Öl fließen pro Jahr in die Meere. Umso wichtiger ist es, gerade bei großflächigen Ereignissen die Umweltverschmutzung schnell, effizient und gleichzeitig naturverträglich einzudämmen.

Chemische Dispersionsmittel sind keine Allheilmittel

Junge, blonde Frau im braunen Shirt und schwarzen Jacket vor Laminar-Air-Flow-Laborbenches
Prof. Dr. Sara Kleindienst, Leiterin der Abteilung Umweltmikrobiologie am ISWA an der Universität Stuttgart, erforscht weltweit den mikrobiellen Abbau von Öl, Nitrat, Glyphosat und weiteren chemischen Substanzen. © Thomas B. Jones Fotografie

Bisher werden bei Ölkatastrophen routinemäßig je nach Ölmenge bis zu mehrere Mio. Liter chemische Dispersionsmittel ausgebracht. Damit werden Ölklumpen aufgelöst und besser im Meer verteilt. Eine weitere Hoffnung ist, dass der mikrobielle Ölabbau durch die Anwendung beschleunigt wird. Denn im Meer lebende Bakterien ernähren sich von Rohölbestandteilen und können diese schneller zu harmlosen Stoffen umwandeln, wenn die Grenzfläche zwischen Öl und Wasser größer ist.

Doch die Standardmethode wird kontrovers diskutiert. Der Einfluss von Dispersionsmitteln hinsichtlich potenzieller Auswirkungen z. B. auf Mikroorganismen wurde bislang noch nicht ausreichend erforscht. Eine im Jahr 2015 veröffentlichte Studie1) legt nahe, dass der Einsatz von Dispersionsmitteln kritisch bewertet werden sollte. So stellen sie nicht immer einen Vorteil für ölabbauende Mikroorgansimen dar, können diese sogar in ihren Aktivitäten hemmen. „Wir konnten zeigen, dass chemische Dispersionsmittel im Tiefseewasser aus dem Golf von Mexiko den mikrobiellen Ölabbau verlangsamen können“, sagt Prof. Dr. Sara Kleindienst. Die Professorin für Umweltmikrobiologie an der Universität Stuttgart war – damals noch als Wissenschaftlerin in den USA und zwischenzeitlich an der Universität Tübingen – mit weiteren Forschenden aus den USA an der Studie beteiligt.

„Interessanterweise konnten sich in unseren Experimenten mit Seewasser aus dem Golf einige ölverwertende Bakteriengattungen wie z. B. Marinobacter ohne Dispersionsmittel besser vermehren als in deren Gegenwart. Seitdem wird das Thema vielfältig diskutiert, und die Frage, wie Ölkatastrophen am effektivsten und umweltfreundlich bekämpft werden können, bleibt offen.“

Die Umweltmikrobiologin möchte weiterhin dazu beitragen, die Forschungslücke zu schließen. Mit einem interdisziplinären Team aus Forschenden der Universität Tübingen, der China West Normal University und der University of Georgia untersuchte sie das Potenzial der Biotenside mit Seewasser aus der Nordsee – als Alternative für chemische Dispersionsmittel.

Mikroorganismen als Fabrik für Biotenside

Schiffsdeck auf dem Meer, das ein Fischernetz und zwei Kanister mit Flüssigkeit zeigt.
Meerwasser aus der Nordsee wird in große Kanister gefüllt und für die Mikrokosmenexperimente gekühlt zurück ins Labor gebracht. © Saskia Rughöft

Biotenside – der Name verrät es schon: Sie funktionieren ähnlich wie chemische Tenside, also Substanzen, die die Grenzflächenspannung zwischen zwei Phasen herabsetzen und für eine bessere Verteilung sorgen. Allerdings mit einem großen Vorteil: Sie sind natürlichen Ursprungs, denn sie werden von Bakterien selbst gebildet. „Dass Mikroorganismen Biotenside herstellen, ist schon länger bekannt“, erklärt Kleindienst. „Man hat sie auch schon seit einiger Zeit als mögliche Alternative für chemische Dispersionsmittel im Auge.“

Nun hat die Stuttgarter Wissenschaftlerin mit ihrem Team die Forschung in diesem Bereich ein ganzes Stück vorangebracht: Im Labor konnten sie eine Ölverschmutzung simulieren, um die Wirkung von Biotensiden und chemischen Dispersionsmitteln im Vergleich zu testen. Dazu hat das Team Meerwasser aus der Nordsee entnommen und unter Kühlung ins Labor transportiert, damit sich die mikrobielle Population nicht stark ändert.

Message in a bottle: Ölverschmutzungsszenarien transparent gemacht

1-Liter-Laborglasflasche mit einer klaren Flüssigkeit, die ein paar kleine, hellbraune Flocken aufzeigt. Die Flasche ist mit einer Nummer und Buchstaben beschriftet.
Mikrokosmen mit Nordseewasser: Die kleinen braunen Flocken, sogenannter mikrobieller Ölschnee, sind Aggregate, die durch mikrobielle ölabbauende Bakterien gebildet werden. © Lu Lu

Bis zu 100 Mikrokosmen in 1-Liter-Flaschen ahmen Ölverschmutzungsszenarien im zeitlichen Verlauf nach, wie Kleindienst beschreibt: „Wir haben das Meerwasser entweder mit dem Biotensid Rhamnolipid oder jeweils einem von insgesamt zwei Dispersionsmitteln – Corexit 9500 oder Slickgone NS – behandelt, jeweils in Anwesenheit und Abwesenheit von Öl. Damit wir den Abbau des Öls durch die Mikroorganismen im Detail verfolgen können, haben wir radioaktiv markierte Stoffe eingesetzt.“ Diese Methode lieferte nun spannende neue Ergebnisse: „Unsere Untersuchungen mit radioaktiv markierten Kohlenwasserstoffen oder einer radioaktiv markierten Aminosäure haben gezeigt, dass die höchsten mikrobiellen Raten der Kohlenwasserstoffoxidation und der Proteinbiosynthese in den Proben auftraten, die mit Rhamnolipid behandelt waren.“

Doch es geht nicht nur um Aktivitäten allein, wie Kleindienst erklärt: „Wir haben festgestellt, dass sich die mikrobiologischen Gemeinschaften in den Mikrokosmen mit chemischen Tensiden von denen mit Biotensiden stark unterscheiden. Das ist ein Hinweis darauf, dass Biotenside im Gegensatz zu chemischen Dispersionsmittel andere ölabbauende Bakterien stimulieren können – sowohl im Wachstum als auch in den Aktivitäten.“ Insgesamt lassen die Ergebnisse des internationalen Teams auf eine vielversprechende Anwendung von Biotensiden bei künftigen Ölunfällen im Meer schließen. Und das gibt neues Potenzial für weitere Forschung und interdisziplinäre Kollaborationen, um dem Ziel einer Begrenzung der Umweltschäden nach Unfällen näherzukommen.

Weitere Forschung, Unterstützung und Vernetzung – für künftige Vorsorge bei Ölunfällen

Das Experiment und die wichtigen Ergebnisse wurden jüngst in einem renommierten Fachjournal2) publiziert. Der nächste Schritt wäre ein Upscaling, also das Experiment systematisch unter kontrollierten Bedingungen im größeren Maßstab durchzuführen. Die Vision der Forschergruppe für ein weiteres Vorgehen? „Unser Wunsch ist eine Entwicklung von Produkten, die auf Biotensiden basieren, und die eine effektive und umweltfreundliche Bekämpfung von Ölkatastrophen leisten können“, so die Leiterin der Umweltmikrobiologie der Universität Stuttgart.

Ein aussichtsreicher Punkt, der Anerkennung verdient – und breite Unterstützung. Denn es ist klar: Forschung benötigt neben Zeit für umfassende Ökosystemanalysen vor allem auch finanzielle Ressourcen. „Die Herstellung von Biotensiden ist sehr kostspielig und auch schwierig in der biotechnologischen Umsetzung“, beschreibt Kleindienst. „Hier wäre eine Kooperation mit weiteren Institutionen, die darauf spezialisiert sind, Biotenside im Bioreaktor in großer Menge herzustellen, von großem Interesse.“ Ein spannender und entscheidender Anknüpfpunkt. Denn neben Klima- und Naturschutz müssen Vorsorgemaßnahmen im Falle eines Falles höchste Priorität finden.

Die Kombination aus anwendungsorientierten Themen und Grundlagenforschung ist der Umweltmikrobiologin sehr wichtig: „Wir möchten herausfinden, wie bestimmte Prozesse funktionieren. Aber nicht nur das. Letztendlich möchten wir mit unserer Forschung auch dazu beitragen, das Potenzial für Innovationen in angewandter Forschung und technologischer Entwicklung voll auszuschöpfen.“ Aktuell startet die Gruppe Forschungsarbeiten im Rahmen eines ERC-geförderten Projekts, um die Auswirkungen von Tensiden aus Glyphosatprodukten auf Mikroorganismen und die Umwelt aufzudecken.

Literatur:

1) S. Kleindienst et al. (2015): Using dispersants following oil spills: impacts on the composition and activity of microbial communities. Nature Reviews Microbiology, 13: 388-396

2) Lu Lu et al. (2023): Rhamnolipid biosurfactants enhance microbial oil biodegradation in surface seawater from the North Sea. ACS Environmental Science & Technology Water, 19. Juli 2023.

Seiten-Adresse: https://www.biooekonomie-bw.de/fachbeitrag/aktuell/oelkatastrophen-bekaempfen-biotenside-koennen-mikrobiellen-oelabbau-stimulieren