Hauptnavigation
Biodiversität in der Krise
Biodiversität ist für funktionierende, stabile Ökosysteme und für das Wohl des Menschen unverzichtbar. Trotz Konventionen, Resolutionen und Maßnahmenkatalogen zum Schutz der biologischen Vielfalt auf allen politischen Ebenen nimmt der Artenschwund weltweit in dramatischer Weise zu, auch in Deutschland. Mit gezielten Projekten und Fördermaßnahmen soll dieser verhängnisvolle Trend gestoppt werden.
Nachdem Rachel Carson mit ihrem aufrüttelnden Buch „Silent Spring“ (Stummer Frühling) 1962 in der Öffentlichkeit das Bewusstsein für die ökologische Krise unseres Planeten und die damit einhergehende Verarmung an Tier-und Pflanzenarten geweckt hatte, vergingen dreißig Jahre bis zur Umweltkonferenz von Rio de Janeiro. Von dieser hatte man sich von der Weltgemeinschaft den Durchbruch zum Krisenmanagement erhofft. 1992 war dort die Biodiversitätskonvention („Convention on Biological Diversity“, CBD) unterzeichnet worden, in der unter anderem „der Schutz der biologischen Vielfalt und die nachhaltige Nutzung ihrer Bestandteile“ zum Maßstab gemacht wurden. Fast alle Staaten der Welt, auch Deutschland, verpflichteten sich - völkerrechtlich verbindlich – die Konvention umzusetzen; allerdings fehlt es an Möglichkeiten, die Vertragsstaaten zu zwingen. Im gleichen Jahr trat in der Europäischen Union die „FFH-Richtlinie“ zur Erhaltung der natürlichen Lebensräume sowie der wildlebenden Tiere und Pflanzen in Kraft. „FFH“ steht für Fauna, Flora und Habitate, also Tier- und Pflanzenwelt und ihre besonderen Lebensräume.
Zwanzig Jahre nach Rio und der CBD ist es um die Vielfalt schlechter bestellt als vorher. Zwar werden für die Umsetzung der Biodiversitätskonvention alle zwei Jahre „Conferences of the Parties“ (COP) abgehalten, aber diese werden, wie kritische Beobachter sagen, jedes Mal größer und jedes Mal ineffektiver. Immerhin: Auf der COP 11 im Oktober 2012 – mit über 20.000 Teilnehmern im indischen Hyderabad – war beschlossen worden, die finanziellen Mittel zum Schutz der Biodiversität weltweit zu verdoppeln.
Was bedeutet Biodiversität?
Ganz allgemein versteht man unter Biodiversität die Vielfalt der von den Lebewesen gebildeten Natur. Dazu gehören außer den Tieren, Pflanzen und Mikroorganismen in ihrer Gesamtheit auch die ihnen innewohnende genetische Vielfalt und die Lebensräume (Habitate), die von den Organismen selbst im Wechselspiel mit ihrer nicht-biologischen Umwelt gestaltet werden. Aus dieser Definition ergibt sich, dass die Grundlage der Biodiversität die Arten sind, denn in ihnen manifestiert sich die genetische Vielfalt; und aus dem Zusammenspiel der Aktivitäten und Wirkungen von Tier-, Pflanzen- und Mikrobenarten entstehen die Lebensräume und werden aufrechterhalten.
Von zentraler Bedeutung sind daher die Bestimmung und Erfassung der Arten. Schutz der Biodiversität ist eng mit dem Artenschutz verbunden und die Krise der Biodiversität mit dem Artenrückgang. Darin liegt der Sinn der „Roten Listen“ der Weltnaturschutzunion, mit denen auf bedrohte Arten aufmerksam gemacht und Gefährdungsursachen benannt werden sollen, um Schutzmaßnahmen einleiten zu können. Sie geben Bund und Ländern Auskunft über die in Deutschland bekannten rund 25.000 Arten von Schnecken, Spinnen, Insekten bis zu den Wirbeltieren, und von Pilzen, Algen und Flechten bis zu den Blütenpflanzen. Beim Artenrückgang muss unterschieden werden zwischen dem endgültigen Aussterben von zumeist zuvor schon seltenen Arten und dem lokalen, regionalen oder nationalen Verlust ansonsten weitverbreiteter Arten.
Allerdings ist die Zahl der Roten Listen inzwischen so stark angewachsen, dass niemand sie mehr überblicken kann. Über 350 Rote Listen soll es inzwischen geben. Die Flut von Veröffentlichungen ist selbst Ausdruck der Krise. Sie zeigt, wie ungenügend - wenn nicht vergeblich - alle proklamierten Maßnahmen und Vorsätze bisher gewesen sind. Seit 1992 und verstärkt in den letzten fünf Jahren sind zahllose Konferenzen durchgeführt, Aktionspläne entwickelt, Reden gehalten und Maßnahmen beschlossen worden, die alle dem Schutz der biologischen Vielfalt dienen sollen.
Der Begriff Biodiversität ist geradezu zu einem Modewort geworden. Das Jahr 2010 war zum „Internationalen Jahr der Biodiversität“ erklärt worden, bis zu dem der Artenschwund deutlich gesenkt werden sollte. Nach jahrelangen internationalen Verhandlungen wurde 2012 ein „Weltbiodiversitätsrat“ (Intergovernmental Science-Policy Platform on Biodiversity and Ecosystem Services, IPBES) gegründet, der „wissenschaftlich fundierte Erkenntnisse zur Bedeutung und Umsetzung des nachhaltigen Umgangs mit Biodiversität und Ökosystemleistungen weltweit sichtbar machen und maßgeblich zu wichtigen politischen Entscheidungen beitragen“ soll. Sitz des Weltbiodiversitätsrates ist Bonn.
Artenschwund und Maßnahmen zum Schutz der Artenvielfalt
Allen Aktivitäten zum Trotz ist der Artenschwund ist nicht etwa verlangsamt worden, sondern hat dramatisch zugenommen - auch in Deutschland, einem Land, das auf seine lange Naturschutzpraxis stolz ist. „Mit durchschnittlich 50 Prozent gefährdeter Arten aller Pflanzen- und Tiergruppen liegt Deutschland in Europa an der Spitze. Das zeigt: Artensterben findet nicht nur an fernen exotischen Orten statt, sondern gerade auch bei uns“, schrieb Professor Peter Berthold (Direktor emerit. des Max-Planck-Instituts für Ornithologie in Radolfzell), ein engagierter Streiter für Naturschutz und Biodiversität („Max-Planck-Forschung“ 4, 2010). Als Maß für die Artenvielfalt war für Deutschland ein „Nachhaltigkeitsindikator“ entwickelt worden, mit der Zielvorgabe, dass er bis 2015 wieder auf den Wert von 1975 angehoben werden soll. Tatsächlich liegt er heute mindestens 30 Prozent darunter; den Zielwert zu erreichen, ist nach Bertholds Worten utopisch und erschreckend naiv - etwa so aussichtsreich, wie die Rückseite des Mondes zu beleuchten.
Statt aber zu resignieren müssen Aktivitäten zur Erhaltung der Biodiversität unterstützt, gefördert und auf ihre Wirksamkeit kritisch hinterfragt werden. Schon 2007 hatte die Bundesregierung eine „Nationale Strategie zur Biologischen Vielfalt“ beschlossen, in der etwa 430 Maßnahmen zum Erhalt der biologischen Vielfalt definiert worden sind. Sie sollen durch das 2011 beschlossene „Bundesprogramm Biologische Vielfalt“ umgesetzt werden. Die Zuständigkeit für den Naturschutz obliegt in Deutschland den Bundesländern, die deshalb auch Partner für die weitere Planung und Umsetzung der Strategie sind. In Baden-Württemberg entspricht dem Bundesprogramm der „Aktionsplan Biologische Vielfalt“. Auch die Deutsche Forschungsgemeinschaft, die unter anderem eine Senatskommission für Biodiversitätsforschung eingesetzt hat, unterstützt die Maßnahmen des Bundes und der Landesregierungen durch die Einrichtung eines „Deutschen Zentrums für integrative Biodiversitätsforschung“ (iDiv) und durch gezielte Projektförderungen zur Erforschung der Grundlagen oder praktischer Maßnahmen gegen die ökologische Krise. Mit diesem Dossier werden einige solcher Projekte aus Baden-Württemberg vorgestellt.