Biologisch gesehen ist jedes höhere Lebewesen ein Mikrokosmos für sich: die Körper von Mensch, Schwein, Huhn oder Kuh sind Lebensraum für Milliarden von Mikroorganismen. In den Mägen und Darm einer einzigen Kuh kommt dieses Mikrobiom auf ein Gesamtgewicht von mehreren Kilogramm.
Diese Mikroorganismen beeinflussen sogar die Psyche und das Wohlbefinden von Nutztieren. Sie sind entscheidend, wie gesund Nutztiere sind, wie gut sie ihre Nahrung verwerten und was sie an Klimagasen oder umweltbelastenden Stoffen ausscheiden. Andersherum beeinflussen Futter und Verhalten der Tiere, wie sich das Mikrobiom in ihrem Körper zusammensetzt. So entsteht ein komplexes Zusammenspiel – mit bedeutenden Folgen für Tier, Umwelt und Klima.
HoLMir vereint Expertise zu Tierernährung, Mikrobiologie, Genetik, Zucht, Verhalten…
Ein Forschungsteam der Universität Hohenheim hat sich vor Jahren aufgemacht, um dieses Wechselspiel und seine Auswirkungen zu ergründen. Dazu gehören unter anderem auch Fachleute aus Tierernährung, Mikrobiologie, Genetik, Tierzucht, Verhaltens- und Tierphysiologie. Sprecher der Gruppe ist Prof. Dr. Markus Rodehutscord.
Das Hohenheim Center for Microbiom Livestock Research (HoLMiR), dessen Grundstein heute feierlich gelegt wurde, wird diesen Forschenden, dem wissenschaftlichen Nachwuchs und den Studierenden nun eine europaweit einzigartige Ausstattung bescheren.
Tatsächlich handelt es sich bei HoLMiR um zwei Gebäude mit rund 3.500 Quadratmetern Nutzungsfläche:
- Das Labor- und Institutsgebäude (Modul I) beherbergt den Hightech-Park an Großgeräten. Dazu gehört z.B. ein Laser-Scanning-Mikroskop, das die dreidimensionale Struktur-Analyse von Körpergewebe ermöglicht. Dank Hoch-Durchsatz-Technik kann jede Sekunde das Erbgut von bis zu 10.000 Zellen oder Mikroorganismen erfasst werden. Daneben können die Forscher:innen Körpervorgänge in künstlichen und echten Organen simulieren.
- Die tierexperimentelle Einheit (Modul II) bietet Unterbringung und Infrastruktur für bis zu 250 Rinder, Schafe, Schweine und Geflügel nach modernstem tierschutzrechtlichen Standard. Einmalig sind unter anderem die sogenannten Respirationskammern, in denen sich ein ganzes Rind aufhalten kann, um z.B. die Zusammensetzung der Atemluft bei verschiedenen Futtervarianten zu untersuchen.
Mehr zu den Forschungsschwerpunkten von HoLMiR und den beteiligten Wissenschaftler:innen im Hintergrund als Download in der Seitenspalte und unter https:\\holmir.uni-hohenheim.de
Forschung am Tier und für das Tier
Zum Teil ist es durch die Laborversuche möglich, Versuche am Tier zu ersetzen oder zu reduzieren. Allerdings kann auch die Forschung des HoLMiR nicht ganz auf Tierversuche verzichten.
Zu den Tierversuchen zählen zum Beispiel die Beobachtung des Tierverhaltens, die Entnahme von Blutproben oder die zeitweilige Haltung in Spezialkäfigen, in denen Kot und Urin gesammelt werden. Manche Versuche machen es nötig, die Nutztiere am Ende zu schlachten, um anschließend die Schlachtkörper oder den Darminhalt zu untersuchen.
Eine Besonderheit sind die sogenannten „fistulierten Kühe“. Ähnlich wie bei einem künstlichen Darmausgang wurde diesen Tieren ein Zugang zum Pansen in die Körperflanke eingesetzt. Diese sogenannte „Fistel“ erlaubt es, den Tieren über viele Jahre hinweg Proben aus dem Vormagen zu nehmen, ohne sie dabei zu beeinträchtigen. Meist erreichen die Versuchstiere dabei ein hohes Alter und leben ein Leben, das sich sonst wenig von dem einer anderen Stallkuh unterscheidet.
Mehr zu Tierversuchen an der Universität Hohenheim und den Hohenheimer Leitlinien für Tierversuche unter www.uni-hohenheim.de/tierversuche
Dank an exzellente Forscher, Bund und Land
„Der Dank dafür, dass wir heute den Grundstein für dieses einzigartige Zentrum legen, gebührt vor allem zwei Personenkreisen: Den Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern, die sich in einem sehr harten Wettbewerb dank ihrer Exzellenz behauptet haben und dem Land Baden-Württemberg, das immer an unseren innovativen Forschungsansatz glaubte und uns über Jahre beim Aufbau der Expertise und der Forschungsinfrastruktur unterstützte“, erklärte der Rektor der Universität Hohenheim, Prof. Dr. Stephan Dabbert.
„Ich bin froh, dass die Bauarbeiten nach dem langen Planungs- und Genehmigungsprozess nun laufen. Unsere Bauverwaltung setzt die Nutzungsanforderungen der Forscherinnen und Forscher maßgeschneidert um. Und auch in energetischer Hinsicht wird das Land bei diesen Maßnahmen seiner Vorbildfunktion gerecht. Auf beiden Gebäuden werden insgesamt Photovoltaikflächen von rund 600 Quadratmetern mit einer Leistung von rund 105 Kilowatt-Peak (kWp) installiert“, sagte Staatssekretärin Gisela Splett vom Finanzministerium Baden-Württemberg
„Die Universität Hohenheim ist Deutschlands führende Universität im Bereich der Agrarwissenschaften und für das hier entstehende neue Forschungszentrum deshalb der ideale Standort. Das künftige Forschungszentrum wird nicht nur wichtige Fortschritte in der Mikrobiomforschung bei Nutztieren bringen, sondern die Forschungsexzellenz der Universität weit über die Landesgrenzen hinaus stärken,“ sagte Ministerialdirektor Dr. Hans J. Reiter vom Ministerium für Wissenschaft, Forschung und Kunst des Landes Baden-Württemberg.
Zeitkapsel mit Leitlinien und einem magischen Stein
In dem Grundstein versiegelten die Teilnehmer:innen der feierlichen Zeremonie noch eine Zeitkapsel. In deren Inneren befinden sich unter anderem Baupläne, Münzen und eine Stuttgarter Zeitung des heutigen Tages.
Zwei Besonderheiten fügten Universitäts-Rektor Prof. Dr. Dabbert und HolMiR-Forscherin Prof. Dr. Jana Seifert hinzu: die Hohenheimer Leitlinien für Tierversuche als Basis der Forschungsarbeiten und einen Bezoarstein, dem unter Alchimisten einst magische Eigenschaften nachgesagt wurden.
Wissenschaftlich gesehen handelt es sich bei einem Bezoar um ein faustgroßes Haarknäuel, das sich im Magen eines Tieres angesammelt und im Lauf der Zeit verfestigt hat. Bezoarsteine galten als Heilmittel gegen Vergiftungen und fanden in dieser Rolle auch Einzug in zwei Harry-Potter-Bände.
„Früher waren die Menschen von Dingen fasziniert, die sie sich nicht erklären konnten. Heute faszinieren uns die Erklärungen, die wir uns durch die Wissenschaft erarbeiten“, so die Begründung von Prof. Dr. Rodehutscord, Sprecher der Forschungsgruppe HoLMiR. „Ich bin daher sehr dankbar für den großen Schub, den die Wissenschaft mit dem neuen Zentrum bekommen wird.“