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Lignin – ein Rohstoff mit viel Potenzial

Erdöl ist der Lebenssaft der chemischen Industrie, der Ausgangsstoff für Basischemikalien, mit denen sich eine ungeheure Fülle an Produkten herstellen lässt. Der weiter steigende Bedarf bei gleichzeitig schwindenden Reserven rückt nachwachsende Ressourcen in den Fokus der chemischen Industrie. Lignin, ein Holzbestandteil, ist besonders vielversprechend. Bislang wird Lignin fast ausschließlich energetisch genutzt, obwohl es vielseitig einsetzbar wäre. Auch in Baden-Württemberg wird das Potenzial des Holzbestandteils in einem Forschungsverbund intensiv erforscht.

Holzwerk in Buchenbach © BIOPRO / Juliette Irmer

Lignocellulose (lateinisch lignum = Holz) verleiht Pflanzen ihre Form und Stabilität. Die Biopolymere der Lignocellulose verstärken die Zellwand und setzen sich aus drei Hauptbestandteilen zusammen: Cellulose und Hemicellulose bilden ein Gerüst, in das sich Lignin als eine Art Kitt einlagert, wodurch die Zellwand sich verfestigt. Die Verholzung – auch Lignifizierung genannt – dient der Pflanze als Schutz vor Wind und Schädlingen.

Im Unterschied zum fossilen Rohstoff Erdöl sind Lignocellulosen in Form von Holz, Stroh oder Miscanthus nachwachsende Rohstoffe, lassen sich land- und forstwirtschaftlich anbauen und sind obendrein klimaneutral: Holz und Co geben bei ihrer Verbrennung nur so viel Kohlendioxid ab, wie sie zuvor im Laufe ihres Lebens gespeichert haben. Doch sind Lignocellulosen eine ernstzunehmende Alternative zu Erdöl?

Von Erdöl- zu Bioraffinerien

Die chemische Industrie ist zwingend auf Kohlenstoffverbindungen angewiesen, um Produkte wie Farben, Klebstoffe, Kunstfasern, Dünge- und Pflanzenschutzmittel und vor allem Kunststoffe herzustellen. In Deutschland stammen die Kohlenstoffverbindungen dabei zu 87 Prozent aus fossilen Rohstoffen wie Erdöl, Erdgas und Kohle.

Kohlenstoff kommt aber auch in Pflanzen vor. Bei der Fotosynthese binden Pflanzen das Kohlendioxid aus der Luft und nutzen es, um energiereiche Moleküle, in erster Linie Zuckerverbindungen, herzustellen. Pflanzenöl, Stärke, Naturkautschuk und auch Cellulose nutzt die chemische Industrie schon heute zu einem geringen Anteil (13 Prozent).

In Zukunft soll dieser Anteil steigen. „Unser langfristiges Ziel ist eine Bioraffinerie, in der der nachwachsende Rohstoff im Rahmen einer optimierten Wertschöpfungskette vollständig stofflich genutzt wird“, sagt Dr.-Ing. Daniel Forchheim vom Karlsruher Institut für Technologie und Koordinationsleiter des Forschungsverbunds Lignocellulose in Baden-Württemberg. Dazu ist der Forschungsverbund in 19 Teilprojekte unterteilt, die den gesamten Stoffstrom, vom Acker bis zum Produkt, durchleuchten, wobei drei Hauptstränge unterschieden werden: Der Rohstoffanbau, also die Auswahl und Zucht der Lignocellulose liefernden Pflanzen, das Austesten neuartiger Aufschlussverfahren sowie biotechnologische und chemische Synthesestrategien zur Entwicklung biobasierter Produkte.

Lignin – das neue Erdöl?

Phenylpropan-Grundbausteine des Lignins: Cumarylalkohol(1), Coniferylalkohol(2) und Sinapylalkohol(3). Quelle: Yikrazuul / Wikimedia Commons | gemeinfrei / https://commons.wikimedia.org/wiki/File:Monolignols_general.svg?uselang=de

Denn gerade Lignin, das bis zu 30 Prozent der Lignocellulose-Biomasse darstellt, ist chemisch betrachtet ein ungehobener Schatz: Die harzartige Substanz besteht aus verschiedenen aromatischen Grundbausteinen, sogenannten Phenylpropanoiden, die einen hohen Nutzwert haben. Aromatische Verbindungen werden normalerweise aus Erdöl gewonnen und genutzt, um Kunststoffe, Medikamente und Farben zu produzieren. Das Potenzial von Lignin ist entsprechend groß: Neben Cellulose und Chitin ist es das häufigste Polymer in der Natur – und das einzige, das so viele aromatische Verbindungen enthält.

Rund 50 Millionen Tonnen Lignin fallen jährlich weltweit als Abfallprodukt der Papierindustrie an: Um Zellstoff aus Holz zu gewinnen, nutzt man häufig das Sulfatverfahren. Dabei kocht man entrindete Holzschnitzel, Stroh oder zerkleinerte Maisstängel unter Druck mehrere Stunden in Natronlauge, um das Lignin von der faserigen Cellulose zu lösen. Das stoffliche Potenzial von Lignin, das bei diesem Verfahren als Schwarzlauge anfällt, bleibt weitgehend ungenutzt: 98 Prozent werden verbrannt.

Lignin lässt sich aber auch aus Stroh oder dem Riesengras Miscanthus gewinnen, das besonders vielversprechend ist: Miscanthus x giganteus wächst auf nährstoffarmen Böden, erzielt hohe Erträge, trotzt vielen Stressfaktoren – und dient einem Teilprojekt am Heidelberger Center for Organismal Studies als Versuchspflanze: „Wir erforschen den Einfluss von Umweltfaktoren auf einen wichtigen Stoffwechselweg in Pflanzen, den Phenylpropanoid-Stoffwechsel“, sagt Linn Voß vom Center for Organismal Studies der Heidelberger Universität. Ausgangsstoff ist die Aminosäure Phenylalanin. Pflanzen haben davon einen gewissen Pool, den sie zur Bildung bestimmter Substanzen wie Lignin nutzen. Je nach Umwelteinflüssen passen Pflanzen den Stoffwechselweg aber an. Bei Trockenheit oder Insektenbefall neigen sie etwa dazu, mehr Verteidigungssubstanzen zu produzieren und weniger Lignin. „Miscanthus ist sehr robust und scheint besonders effizient in seiner Nutzung von Phenylalanin zu sein. Und wir wollen verstehen, wie die Pflanze das schafft“, so Voß.

Die verschiedenen Grundbausteine des Lignins verbinden sich zu einem Netzwerk. © KIT-IKFT, Marcus Breunig

Neben der Grundlagenforschung setzt der Forschungsverbund einen weiteren Schwerpunkt auf die Erforschung neuer Konversions-Verfahren. Dabei muss unterschieden werden zwischen der Auftrennung der Lignocellulose in die drei Hauptbestandteile und der anschließenden Aufspaltung von Cellulose, Hemicellulose und Lignin in deren Grundbausteine. Das ist vor allem bei Lignin eine Herausforderung: Die Phenylpropanoid-Bausteine Coniferyl-, Cumaryl- und Sinapylalkohol verbinden sich auf vielfältige Weise miteinander und bilden ein dichtes, dreidimensionales Netzwerk, das chemisch nur schwer angreifbar ist. Bislang braucht es dazu hohe Temperaturen (bis 500 Grad Celsius) und hohen Druck (bis 200 bar). Deswegen wird an schonenderen und wirtschaftlicheren Verfahren geforscht.

Mit Pilzen und Bakterien zum Ziel

Als Vorbild dient die Natur: Dort bauen vor allem Weißfäulepilze Lignin mithilfe eines Enzym-Cocktails ab – allerdings sehr langsam. Vor allem Laccasen und Peroxidasen sind am Prozess beteiligt. Doch die Ergebnisse des Enzymabbaus im Labor sind nicht durchweg befriedigend: „Es ist immer ein Nebeneinander von Auf- und Abbau. Das heißt, die Enzyme spalten Lignin, parallel verknüpfen sie aber die erhaltenen Grundbausteine wieder miteinander“, sagt Dr. Susanne Zibek vom Fraunhofer-Institut für Grenzflächen- und Bioverfahrenstechnik in Stuttgart. Erfolgversprechender könnte ein anderer Ansatz sein, den die Forscher verfolgen: Lignin wird hier direkt von Bakterien oder Pilzen zersetzt. „Die Abbauwege existieren ja bereits in den Organismen“, sagt Dominik Rais vom Institut für Grenzflächenverfahrenstechnik und Plasmatechnologie der Universität Stuttgart. Ziel ist, die Bakterien gentechnisch so zu manipulieren, dass sie bestimmte Enzyme stärker produzieren oder andere ausschalten, sodass am Ende die gewünschten Lignin-Bruchteile erhalten werden. Noch steckt die Methode allerdings in den Kinderschuhen.

Chemiker des Max-Planck-Instituts für Kohlenforschung in Mülheim an der Ruhr haben ein Verfahren entwickelt, um Lignin einfacher nutzbar zu machen. Dank zweier Katalysatoren und drei miteinander kombinierten chemischen Reaktionen wird Lignin bereits bei 150 Grad und einem Druck von unter 40 bar aufgetrennt. Vor allem liefert das Verfahren nicht das wilde Gemisch an aromatischen Verbindungen, das üblicherweise bei der thermochemischen Auftrennung erhalten wird und nur schwer zu trennen ist , sondern eine einheitlichere Gruppe aromatischer Kohlenstoffverbindungen, die sich einfacher isolieren lassen.

Erste Anwendungen, die Lignin auch stofflich nutzen, existieren bereits: Die Firma TECNARO in Ilsfeld mischt Lignin mit anderen Naturfasern wie Flachs oder Hanf und erhält unter Temperaturerhöhung einen verarbeitungsfähigen Faserverbundwerkstoff ARBOFORM® (Arbor, lateinisch = der Baum). Dieser wird auch als Flüssigholz bezeichnet, weil er sich zu jeder Form gießen lässt, etwa Lenkradsegmenten, Handygehäusen oder Musikinstrumenten wie Flöten. Großtechnisch wird aus Lignin außerdem synthetisches Vanillin erzeugt. Auf diese Weise lassen sich aus einer Tonne Holz etwa drei Kilogramm Vanillin herstellen.

Auch Cellulose und Hemicellulose lassen sich, wenn sie in ihre Grundbausteine, einfache Zucker, aufgetrennt wurden, stofflich nutzen. Eine Arbeitsgruppe an der Universität Hohenheim versucht, mithilfe gentechnisch veränderter Hefen aus Agrarreststoffen wie Stroh Ethanol zu gewinnen. Dem Schweizer Unternehmen Clariant ist das bereits gelungen: Bis zu 1.000 Tonnen Ethanol liefert die Demonstrationsanlage in Straubing jährlich und das Cellulose-Ethanol findet seit Kurzem Verwendung in Reinigungsmitteln.

Biomasse ist nicht unerschöpflich

Struktur des Forschungsverbundes Lignocellulose © KIT

Das Potenzial von Lignin ist groß – wie groß der Anteil des pflanzlichen Rohstoffs in der chemischen Industrie in Zukunft sein wird, hängt allerdings von vielen Faktoren ab: Zum einen spielt die Entwicklung des Rohölpreises eine große Rolle, zum anderen der Fortschritt in der Forschung. Aber auch ökologische Zwänge werden vom Forschungsverbund berücksichtigt: Wie intensiv lässt sich die Ressource Lignocellulose nutzen, ohne dass die Umwelt Schaden nimmt? „Eine Arbeitsgruppe geht etwa der Frage nach, wieviel Totholz der Waldboden braucht, denn Lignin ist ein wichtiger Bodenbildner“, sagt Forchheim.

Ein anderes Teilprojekt befasst sich mit der regionalen Verfügbarkeit und der nachhaltigen Nutzung von Lignocellulose: „Die Ressource Holz wird nachhaltig erzeugt und ihre Produktion steht nicht in unmittelbarer Konkurrenz zu Nahrung, es gibt also kein ethisches Problem. Allerdings wird der Rohstoff bereits intensiv genutzt und es gibt kaum zusätzlich nutzbares Potenzial“, sagt der Forstwissenschaftler Dr. Marcus Lingenfelder von der Universität Freiburg. Um Lignocellulose aus Holz nachhaltig für die Bioökonomie zur Verfügung stellen zu können, müsste langfristig vor allem die energetische Nutzung von Holz durch andere regenerative Energiequellen wie Sonne, Wind und Wasser abgelöst werden. „Eine ohnehin sinnvolle Strategie, da die Flächeneffizienz besser als bei der Biomasseverbrennung ist und durch den Einbau von Lignocellulose in dauerhafte Produkte mehr CO2 länger gebunden und damit der Atmosphäre entzogen wird“, sagt Lingenfelder.

Auch das Ausweichen auf das effiziente Miscanthus-Gras ist nicht ohne Schwierigkeiten: Obwohl es sich um eine Non-Food-Biomasse handelt, steht der Anbau in Konkurrenz zur Nahrungsmittel- und Futterproduktion: Denn landwirtschaftlich nutzbare Flächen sind nicht nur in Deutschland begrenzt. Bleibt das Lignin, das aus Agrarresten oder als Nebenprodukt der Papierindustrie entsteht und momentan vorwiegend verbrannt wird. Wenn sich dafür aufgrund einer höheren Wertschöpfung auch höhere Erlöse erzielen lassen als durch die energetische Nutzung, stehen die Chancen für „grüne“ Produkte gut. Lignocellulose wird Erdöl so schnell sicherlich nicht ersetzen, aber sehr wahrscheinlich bald ergänzen.

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