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In einem Kreislauf: Ökopapier, Energie und Dünger aus Silphie
Welcher Verbraucher kümmert sich schon im Detail darum, woraus seine Papierverpackungen gemacht sind? Ist ja eigentlich auch egal, solange sie „öko“ sind. Das stimmt allerdings so nicht ganz, denn auch für Recyclingpapier mussten Bäume gefällt werden. Eine Alternative könnte Papier aus dem Korbblütler Durchwachsene Silphie werden: Die Firma Silphie-Paper hat gemeinsam mit Partnern ein regionales und dezentrales Konzept entwickelt, mit dem sie Faserstoffe für ein neuartiges Graspapier gewinnt und dabei auch noch Wärme- und Energie sowie Nährstoffe für Naturdünger erhält.
Die Produktionsstätte für das so genannte Silphie-Papier gibt es in Lenningen am Rand der Schwäbischen Alb schon seit 150 Jahren; als Papierfabrik Scheufelen musste diese aber 2018 Insolvenz anmelden. Ein Jahr später war jedoch schon bereits ein Nachfolgeunternehmen am Start: Die Silphie Paper GmbH, die es sich zu hundert Prozent zur Aufgabe gemacht hat, Papiere aus alternativen Fasern zu entwickeln und zu produzieren. Mit Erfolg: Dieser Tage werden mit Hilfe der alten Scheufelen-Papiermaschinen schon täglich mehrere Tonnen des neuartigen Ökopapiers hergestellt.
Kernstück der umweltfreundlichen Fasern aus Lenningen ist die Durchwachsene Silphie, eine gelb blühende, mehrjährige Pflanze, die ursprünglich aus Nordamerika stammt. „Wir forschen schon seit vier Jahren an der Verwendung von jährlich nachwachsenden Pflanzen für die Papierherstellung. Insbesondere mit Blick auf den Ersatz von Zellstoffen aus Übersee und der schnellen Kompensation der bei der Zellstoffproduktion entstehenden CO2-Emissionen“, berichtet Stefan Radlmayr, geschäftsführender Gesellschafter der Silphie-Paper.
Dabei stieß man vor zwei Jahren gemeinsam mit den Projektpartnern aus dem Energiepark Hahnennest wegen des hohen Zellulosegehalts von 40 Prozent auf die Silphie als Rohstoff für die Papierproduktion. Schon damals hatte der Energiepark Hahnennest ganz neue Anbaukonzepte für den Korbblütler entwickelt. „Die Silphie wächst schnell und wird bei uns in Deutschland zunehmend als Energiepflanze wie der Mais kultiviert“, sagt Radlmayr. „Aber nach dem Anbau sind im Gegensatz zum Mais fast keine Herbizide und Pestizide mehr erforderlich. Dadurch sind die blühenden Silphie-Felder hervorragende Insekten- und Bienenweiden und fördern generell die Biodiversität. Durch ihre tiefen Wurzeln kommt die Silphie außerdem mit unregelmäßigen Regenfällen gut klar und trägt schnell zu einer Verbesserung der Humusschicht bei.“
Komplette Verwertung der Silphie möglichst vor Ort
Ein weiterer, ganz wesentlicher Pluspunkt in der Ökobilanz des Silphie-Papiers: Den Rohstoff für die Papierproduktion erschließt sich das Unternehmen, indem die gesamte Herstellung einen geschlossenen Kreislauf bildet. „Die geernteten Pflanzen werden in einer vom Partner AGRES Systems GmbH entwickelten und gebauten Steam-Explosion-Anlage an der Biogasanlage des Energieparks Hahnennest in Ostrach nahe Sigmaringen aufgeschlossen“, erklärt der Unternehmer. „Das ist eine Lösung, wie sie in vielen Biogasanlagen stattfinden könnte. So würden sie wie der Energiepark zu einer kleinen Zellulose-Faserstofffabrik. Andere Stoffe wie Zucker und Proteine dienen wie bisher der Produktion von Energie aus Biogas und Wärme. Der Gärrest geht dann wieder auf die geernteten Felder zurück und wird dem Boden als natürlicher Dünger zugeführt. Da die zugehörige Lieferkette im Wesentlichen heute schon besteht und klimapositiv ist - also der Gesamtprozess weniger CO2-Emissionen verursacht, als durch die jährlich nachwachsende Biomasse gebunden werden, gestaltet sich er sich damit als äußerst umweltbewusste Faserproduktion, die zudem aber auch noch wettbewerbsfähig und kosteneffizient ist.“
Eine solche Innovation lässt sich jedoch nicht allein realisieren: Als Partner hat die junge Firma neben dem Energiepark Hahnennest und der AGRES Systems auch noch ein führendes Lebensmittel-Handelsunternehmen gewonnen: die Schwarz-Gruppe, deren Tochterfirma OutNature GmbH die Vermarktung der Silphie-Papiere übernimmt und für die Innovation erst kürzlich mit dem Deutschen Verpackungspreis in der Kategorie „Neues Material“ ausgezeichnet wurde. Bei der Entwicklung der fertigen Produkte – der Verpackungen für den Einzelhandel und Konsumgüter – kooperiert man auch noch mit der Hochschule der Medien in Stuttgart.
Reißfestes Öko-Material eignet sich für Verpackungen
Unter diesen Bedingungen wird das Silphie-Papier nun schon seit September 2020 produziert. Derzeit werden täglich ca. zehn Tonnen Fasern nach Lenningen transportiert. „Das ist im Moment noch nicht so viel, wie wir uns wünschen würden“, meint Radlmayr. „Wir dürfen aus genehmigungsrechtlichen Gründen leider nur eingeschränkt produzieren. Aber wir sind guter Hoffnung, dies bald auf eine Tagesproduktion von 50 Tonnen steigern zu können. Das wird dann schon wieder eine gut funktionierende, innovative kleine Papierfabrik sein, ganz in der Tradition der Papierfabrik Scheufelen.“ Bisher stand die Herstellung des Silphie-Papiers noch unter der Überschrift „Forschung und Entwicklung“, aber dies soll sich schon bald ändern: „OutNature hat mit der Vermarktung des Produkts bereits begonnen. Nicht nur innerhalb des Schwarz-Konzerns, sondern auch an externe Kunden“, sagt der Unternehmer, der derzeit in seiner Firma bereits wieder 35 Mitarbeiter am Standort beschäftigt. „Dann könnte man die Papiermaschinen auch durchgängig arbeiten lassen und müsste sie nicht immer mit großem Aufwand hochfahren.“
Ganz „baumfrei“ ist das neuartige Papier noch nicht. Derzeit beträgt der Anteil der Silphie-Faser an jeder Tonne Papier aber schon 50 Prozent. Vor vier Jahren lag bei den ersten Versuchen mit Grasfasern in Zusammenarbeit mit der Firma Creapaper GmbH der Anteil noch bei 20 Prozent und war mit viel Aufwand verbunden. „Unser Ziel ist aber auch gar nicht der komplette Ersatz von Zellstoff“, sagt Radlmayr. „Wir wollen einfach nachweisen, dass alternative, aufgeschlossene und regional gewonnene Fasern eine zukunftsweisende und vor allem klimaneutrale Quelle für den rasant steigenden Faserbedarf sein können, gerade auch für die sogenannten Ökoverpackungen. Und die Herausforderung mit regionalen Fasern zu arbeiten, ohne die Funktionalität des produzierten Papiers in Frage zu stellen, fanden wir angesichts der großen Scheufelen-Papiermachertradition von Anfang an spannend. Heute ist aus dieser Vision ein Papier geworden, das sehr reißfest und stabil ist und sich deshalb zum Beispiel besonders gut für Verpackungen wie Schalen oder Faltschachteln eignet.“
Alternative Fasern aus Lenningen rechnen sich wieder
Die Fasern an sich seien aber letztlich nicht die entscheidende Innovation, betont Radlmayr: „Alternative Fasern sind in der Papierherstellung natürlich schon lange vor Zellstoff bekannt. Sie werden aber nur noch selten genutzt, weil sie einfach in der Herstellung bei gleicher Funktionalität gegenüber dem Baum-Zellstoff lange Zeit nicht mehr konkurrenzfähig waren. Die Idee der Kaskadennutzung der Silphie zur Faser- und Energieherstellung, die Einbindung der Steam-Explosion-Technologie auf einer Biogasanlage und in eine bestehende Lieferkette des Rohstoffs sei daher das entscheidende Argument für das neue Konzept. Denn wie bei Zellstoff wird damit die Rohstoffquelle auch gleichzeitig die Energiequelle, bietet aber auch noch den Mehrwert der Gärrestverwertung als Dünger für die Silphie-Felder. Ein Musterbeispiel für das Schlagwort der „Circular Economy“, der Kreislaufwirtschaft.
In den nächsten Monaten wollen die Papiermacher aus Lenningen das Silphie-Papier noch weiter optimieren. Neben der Möglichkeit, den Anteil an Silphie-Fasern zu erhöhen, wird beispielsweise gemeinsam mit der Hochschule der Medien an speziellen Beschichtungen gearbeitet, die die strengen Hygienevorschriften erfüllen sollen, die an die Verpackung von Nahrungsmitteln gestellt werden.