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Industrielle Biotechnologie - biologische Mittel im Dienste industrieller Prozesse

Die industrielle oder weiße Biotechnologie produziert mit Mikroorganismen oder Enzymen Stoffe für die Industrie. Zu den Produkten gehören Chemikalien, Kunststoffe, Lebensmittel, Agrar- und Pharmaprodukte oder Energieträger. Als Rohstoffbasis dienen nachwachsende Rohstoffe und zunehmend auch Abfallstoffe aus der Land- und Forstwirtschaft.

Mikroorganismen oder ihre Enzyme sind die Zugpferde der industriellen Biotechnologie. © BIOPRO/Bächtle

In einer einzigen Zelle laufen unzählige Stoffwechselvorgänge ab, in denen zugeführte Nährstoffe abgebaut, umgebaut und zu neuen Produkten aufgebaut werden. Enzyme sind daran beteiligt die gleichzeitig oder nacheinander ablaufenden Reaktionen zu steuern und aufeinander abzustimmen. Schon lange macht sich der Mensch diese Abläufe zu Nutze. Alltägliche Beispiele sind sicherlich die Brot-, Joghurt- oder Essigherstellung mit Hilfe von Mikroorganismen oder der Einsatz von Enzymen in Waschmitteln.

Aber auch an vielen anderen Stellen wird in der Industrie Biotechnologie eingesetzt. Mikroorganismen oder Enzyme können etwa helfen Nahrungsmittelzusätze wie Vitamin B2, biobasierte Kunststoffe wie Polymilchsäure oder Energieträger wie Biogas oder Bioethanol herzustellen.

Eine weitere Einsatzmöglichkeit kann am Beispiel des Unternehmens Lamy gezeigt werden. Dort werden die Stahlfedern der Füllfederhalter seit einigen Jahren nicht mehr mit organischen Lösungsmitteln, sondern mit Walnussschalen und Polierpaste poliert. Partikel der Schalen, die sich in den Ritzen der Federn verklemmten, wurden zunächst aufwendig per Hand entfernt. Inzwischen nutzt das Unternehmen ein von der Hochschule Mannheim entwickeltes Enzymbad, das die Körnchen soweit abbaut, dass sie mittels Ultraschall aus den Zwischenräumen geschwemmt werden können.

Ein häufiges Problem bei der Nutzung nachwachsender Rohstoffe in industriellen Dimensionen ist der große finanzielle und technologische Aufwand: Viele Unternehmen haben im Labor attraktive Produkte entwickelt, scheitern aber daran, sie in die technische Anwendung zu bringen. Solche Schritte sollen Einrichtungen wie das Fraunhofer-Zentrum für Chemisch-Biotechnologische Prozesse CBP in Leuna erleichtern. Es verfügt über eine Infrastruktur, mit der neue Verfahren bis in produktrelevante Dimensionen entwickelt werden können. Das CBP wird von Wissenschaftlern der Fraunhofer-Institute für Grenzflächen- und Bioverfahrenstechnik IGB in Stuttgart und für Chemische Technologie ICT in Pfinztal betrieben.

Derzeit wird dort etwa ein chemisch-enzymatisches Verfahren zur Herstellung von Epoxiden aus Pflanzenölen auf die industrielle Anwendung skaliert. Aus Epoxiden werden unter anderem Schmieröle oder Tenside und Emulgatoren für Wasch- und Reinigungsmittel hergestellt.

Downstream Processing und Metabolic Engineering

Die Verfahren der industriellen Biotechnologie laufen im Vergleich zu konventionellen Verfahren unter milden Reaktionsbedingungen ab: Es wird bei moderaten Temperaturen und in wässrigem Medium gearbeitet, sodass der Energiebedarf geringer ist und weniger problematische Nebenprodukte anfallen. Da die Produktkonzentration und –bildungsrate oft sehr gering sind, müssen die Produkte allerdings in einem als Downstream Processing bezeichneten Prozess aufgereinigt und aufkonzentriert werden. Aber auch durch die Optimierung von Verfahren oder Biokatalysatoren kann die Ausbeute gezielt erhöht werden: Es können etwa wichtige Stoffwechselaktivitäten verstärkt oder Nebenaktivitäten ausgeschaltet werden (Metabolic Engineering) sowie Enzyme durch gerichtete Evolution optimiert werden (Enzymatic Engineering).

Als Rohstoffbasis dienen erneuerbare Ressourcen wie Kohlenhydrate aus Getreide, Mais und Zuckerrüben oder Pflanzenöle aus Sonnenblumen, Raps und Ölpalme. Es wird aber auch zunehmend daran gearbeitet Abfallprodukte als Rohstoffbasis zu nutzen. So verwendet das Energieunternehmen badenova in seiner Biomethananlage in Eschbach auch Vatermais als Gärsubstrat. Dieser wird zur Bestäubung der weiblichen Maispflanzen angebaut, danach jedoch nicht mehr benötigt.

Auf dem Stuttgarter Großmarkt haben das Fraunhofer Institut für Grenzflächen- und Bioverfahrenstechnik IGB gemeinsam mit Industriepartnern Ende 2012 die EtaMax-Forschungsanlage in Betrieb genommen. Hier werden Obst- und Gemüseabfälle zu Methangas vergoren. Die Reststoffe des Prozesses werden in Photobioreaktoren eingeleitet, in denen Mikroalgen wachsen. Diese sollen Wertstoffe wie Fettsäuren, Pigmente oder Proteine produzieren. Die Restbiomasse der Algenkultur wird mit den Marktabfällen wiederum zu Methan vergoren.

Projekt EtaMax: Herstellung von Biogas und Wertstoffen aus Obst- und Gemüseabfällen © Fraunhofer IGB

Umsatz der industriellen Biotechnologie gewachsen

In ganz Deutschland waren im Jahr 2012 laut biotechnologie.de insgesamt 61 Unternehmen (10,8 Prozent) im Bereich der industriellen Biotechnologie tätig. Sie konzentrieren sich auf die Entwicklung von technischen Enzymen, neue Biomasse-Verwertungsstrategien oder biotechnologische Produktionsprozesse. Der Großteil der dedizierten Biotechnologie-Unternehmen in der industriellen Biotechnologie ist im Bereich Nahrungs-/Futtermittel und Pharmaproduktion aktiv. Auf den weiteren Plätzen folgen die Branchen Chemie, Kosmetik und Energie. biotechnologie.de gibt für die industrielle Biotechnologie im Jahr 2012 einen Umsatzzuwachs von 9,1 Prozent auf 193 Millionen Euro an. Das F&E-Budget der Unternehmen lag ähnlich wie im Vorjahr bei 47 Millionen Euro.

In Baden-Württemberg arbeiten sieben Unternehmen im Bereich der industriellen Biotechnologie. Außerdem wird auf dem Gebiet an sieben Universitäten, zwei Hochschulen für angewandte Forschung und drei außeruniversitären Forschungseinrichtungen geforscht.

Förderprogramme

Die Bundesregierung verfolgt mit der Vision einer Bioökonomie einen Strukturwandel von einer erdöl- zu einer biobasierten Wirtschaft, „deren vielfältiges Angebot die Welt ausreichend und gesund ernährt sowie mit hochwertigen Produkten aus nachwachsenden Rohstoffen versorgt.“ Die industrielle Biotechnologie spielt eine Schlüsselrolle auf diesem Weg. Dies spiegelt sich auch in den Fördermitteln wider, die der Bund im Rahmen verschiedener Programme in die industrielle Biotechnologie investierte. Die Förderung stieg in den vergangenen fünf Jahren stetig an: von 31 Millionen Euro 2007 auf rund 67 Millionen Euro im Jahr 2011.

Im April 2011 hat das Bundesministerium für Bildung und Forschung die "Innovationsinitiative industrielle Biotechnologie" als Fördermaßnahme der "Nationalen Forschungsstrategie BioÖkonomie 2030" gestartet. Ziel ist, mit Hife der Biotechnologie Produkte aus nachwachsenden Rohstoffen zu entwickeln, die solche aus fossilen Rohstoffen ersetzen können. Das BMBF beabsichtigt über fünf bis zehn Jahre bis zu 100 Millionen Euro bereitzustellen. Anträge können jeweils bis 1. Juni eines Jahres abgegeben werden, der letzte Abgabetermin ist der 1. Juni 2015.

 

Literatur:
Die deutsche Biotechnologie-Branche 2013, Daten und Fakten, biotechnologie.de

Seiten-Adresse: https://www.biooekonomie-bw.de/fachbeitrag/dossier/industrielle-biotechnologie-biologische-mittel-im-dienste-industrieller-prozesse