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Denkfabrik FYI: Landwirtschaft 5.0

Landwirtschaft 5.0: Mit Agri-Photovoltaik und Pflanzenkohle gegen die Klimakrise

Klimaschutz, Landwirtschaft und Biodiversität sind eng verflochten. Positive Lenkungswirkung hat dabei die Landwirtschaft 5.0, wie die Hochschule Offenburg zeigt: Mit der aktuell in Deutschland geförderten Agri-Photovoltaik lässt sich Solarstrom auf ertragreichen Äckern erzeugen. Biomassestreifen und Pflanzenkohle entziehen der Atmosphäre CO2. Gleichzeitig wird die Bodenqualität verbessert und die Artenvielfalt erhöht.

Die Folgen der Erderwärmung durch den erhöhten Kohlendioxidspiegel bekommen wir deutlich zu spüren. Wetterextreme wie Dürre, Starkregen und Hagel bedrohen die Ernte. Gleichzeitig verarmt die Intensivlandwirtschaft den Boden, was zusammen mit wachsender Bebauung die Lebensräume von Pflanzen, Pilzen und Tieren zerstört. Zudem setzen ihnen die klimatischen Veränderungen zu – viel schneller, als sie sich anpassen können. Ein Teufelskreis, den Prof. Dr. Daniel Kray mit seinen Forschungsgruppen und Partnerinnen und Partnern mit Innovationen durchbrechen will.

Landwirtschaft als wichtiger Hebel

Neun Männer auf einem Wiesenfeld, mit kurzen Hosen und Shirt sowie Hemd und lange Hosen als bunt gemischte Arbeits- und Forschergruppe.
Eine bunte Mischung von Landwirten und Wissenschaftlern bei einem der regelmäßigen FYI: Landwirtschaft 5.0-Stammtischen. © Prof. Daniel Kray

Kray forscht und lehrt an der Hochschule Offenburg zu erneuerbaren Energien, Photovoltaik und Pflanzenkohle in den Studiengängen nachhaltige Energiesysteme sowie Umwelttechnik. In wegweisenden Projekten verfolgt er ein übergeordnetes Ziel: den exponentiellen Entwicklungen in der Klimakrise gezielt und schnell zu begegnen. „Die Landwirtschaft ist Dreh- und Angelpunkt. Ackerflächen machen die Hälfte der Landesfläche Deutschlands aus und stehen im ständigen Austausch mit der Atmosphäre“, erklärt der Physiker. Landnutzung ist weltweit ein bedeutender Klimafaktor: Selbst im Fall, dass die Energien in den Sektoren Strom, Wärme und Verkehr zu 100 Prozent aus erneuerbaren Quellen kämen, verblieben ca. 23 Prozent der heutigen Treibhausgasemissionen: Sie stammen zum großen Teil aus der Landwirtschaft.1) In Deutschland sind sie mit rund 61 Mio. t CO2-Äquivalenten vergleichbar mit dem Beitrag der gesamten Industrieprozesse.2)

„Der aktuelle Ausbau von Windkraft, Photovoltaik und Biogas ist zu gering, um bis 2030 den geplanten Anteil erneuerbarer Stromerzeugung von 65 Prozent am Bruttostromverbrauch zu erreichen. Zudem muss das bereits emittierte CO2 aus der Luft entzogen werden. Das Konzept Landwirtschaft 5.0 kann hier effektiv einwirken und die Landwirtschaft revolutionieren.“ Kray hat das Projekt Denkfabrik FYI: Landwirtschaft 5.0 gegründet, ein Konsortium aus Universitäten, wissenschaftlichen Instituten, Firmen, der Stadt Offenburg und Landwirtschaftsbetrieben. Es baut auf den Säulen Agri-Photovoltaik, Pflanzenkohle, Blühstreifen, Agro-Elektromobilität und Agroforst auf.3) Das Besondere: Parallel zur CO2-Reduktion lässt sich damit die Versorgung mit Landwirtschaftsprodukten sowie die Biodiversität steigern.

Schützendes Dach mit Strahlkraft: Agro-Photovoltaik

hoch aufgeständerte Photovoltaik-Module im Hintergrund mit Blick auf die Landschaft.
Bei hoch aufgeständerten Anlagen befinden sich die PV-Module in einer Höhe von mindestens 2,1 Metern über dem Boden. Sie ermöglicht eine landwirtschaftliche Nutzung unter den Solarmodulen, während in bodennahen Anlagen typischerweise die Flächen zwischen den Modulen bewirtschaftet werden. © Krinner-Carport GmbH

Laut der Bundesministerien für Bildung und Forschung (BMBF) sowie Ernährung und Landwirtschaft (BMEL) benötigen wir zur schnellen CO2-Reduktion 6- bis 8-mal so viel Solarenergie wie wir heute produzieren.4) Photovoltaikanlagen brauchen Flächen und Sonne – das Gleiche gilt für Pflanzen. Ein Entweder-oder? „Im Gegenteil“, erklärt Kray. „Agri-Photovoltaik liefert mit dem richtigen Know-how einen Doppelnutzen.“ Agri-Photovoltaik, kurz Agri-PV, bezeichnet die Solarstromerzeugung mit Panels auf oder neben Ackerflächen.

„Die Systeme werden für Landwirtschaftsbetriebe zunehmend attraktiv, weil sie die heimische Landwirtschaft stärken – auch gegenüber dem internationalen Wettbewerb.“ Der Grund? Die Solarpanels bieten den Nahrungs- und Futtermittelpflanzen Schutz vor Hagel- und Frostschäden, übermäßiger Sonnenstrahlung und Verdunstung. Projekte wie das vom BMBF geförderte APV-RESOLA mit Pilotanlagen am Bodensee haben gezeigt, dass die Widerstandsfähigkeit der Obst- und Sonderkulturen zunimmt. In der Anlage in Heggelbach beispielsweise konnten Steigerungen der Landnutzungseffizienz zwischen 60 und 86 Prozent sowie eine verbesserte Anpassungsfähigkeit bei Trockenperioden nachgewiesen werden.5)

Mehr als Win-win

Betriebe können Ernteerträge gerade auch bei Wetterextremen mit Agri-PV stabilisieren. Gleichzeitig bietet sich die Chance, erneuerbaren Strom u. a. für den Eigenverbrauch zu erzeugen und so auch elektrifizierte Landmaschinen zu nutzen. Durch Vermarktung der Stromerträge in nahen Wohnsiedlungen oder Netzeinspeisung können sie ein weiteres wirtschaftliches Standbein aufbauen.

Hohe Erträge und Stromerzeugung – Kray setzt noch ein paar „Wins“ drauf: „Ein großes Plus ist die doppelte Flächennutzung. Denn die wachsende Weltbevölkerung verlangt mehr Nahrungsmittel sowie Flächen für Besiedlung und Energieversorgung, z. B. durch PV-Anlagen. Außerdem benötigen die Agri-PV-Kulturen deutlich weniger Wasser.6) Durch das verbesserte Mikroklima im Pflanzenbestand lässt sich auch der Einsatz von Pflanzenschutzmitteln verringern, was die Biodiversität erhöht.“

Potenziale jetzt vorantreiben

Landwirt kniet am Ackerboden mit üppig wachsenden Grünpflanzen.
Landwirt Matthias Huber aus Achern-Wagshurst mit Zwischenbegrünung nach der Maisernte. Mehr Pflanzenwachstum und Dauerbegrünung bedeutet höherer Humusaufbau und gesündere Böden. © Prof. Daniel Kray

Warum steckt die Agri-PV-Technologie, die sich weltweit exponentiell entwickelt hat, in Deutschland noch in den Kinderschuhen? „Wir erleben aktuell einen Umbruch“, erklärt Kray. „Die Novelle des Erneuerbare-Energien-Gesetzes stärkt die Wirtschaftlichkeit von Agri-PV-Anlagen erheblich.“ So ist zukünftig eine höhere Einspeisevergütung möglich, zusätzlich zu den Direktzahlungen für die landwirtschaftliche Flächennutzung. Auch das Land Baden-Württemberg fördert bis 2024 fünf Pilotanlagen mit rund 2,5 Mio. Euro, um Potenziale und Herausforderungen zu identifizieren und die innovative Technologie voranzubringen.4)

„Wichtig ist jetzt, Rahmenbedingungen und Genehmigungsprozesse zu vereinfachen. Und die Potenziale der Technologie breit zu kommunizieren, damit Betriebe sowie Gemeinden und Entscheidende die Chancen für Landwirtschaft und Klima erkennen.“ Die Chancen sind riesig: Würden die in Deutschland bis 2030 geplanten Freiflächenanlagen von 80.000 ha zur Hälfte als hoch aufgeständerte Agri-PV errichtet, könnten so ca. 30 Terawattstunden Strom jährlich erzeugt werden.7)

Geht es um technische Potenziale, kann Kray seine über 20-jährige Expertise zu Solartechnik vielseitig einbringen. Mit seiner Arbeitsgruppe und Partnerinnen und Partnern entwickelt er innovative PV-Technologien.8) Spezielle bifaziale Module mit gesteigerter Nachhaltigkeit nutzen auch Licht, das auf die Rückseiten der Module fällt, was die Produktivität weiter erhöht. „Wir möchten Landwirtinnen und Landwirte, Interessensvertretende und die Bürgerschaft zusammenbringen. Wichtig ist uns auch zu zeigen, wie die auf dem Hof produzierte Energie genutzt und gespeichert werden kann, und welche Bedeutung den Elementen der Landwirtschaft 5.0 zukommt. Und natürlich der Pflanzenkohle.“

Pflanzenkohle als CO2-Senke unter die Erde bringen – einfach, sofort einsetzbar und skalierbar

Gabelstapler, der große Säcke mit Pflanzenkohle vom LKW lädt.
Landwirt Johannes Witt aus Offenburg-Weier entlädt tonnenweise Pflanzenkohle für seine Gewächshäuser. © Prof. Daniel Kray

Das Klimagas CO2 als Kohlenstoff zurück in der Erde bringen und die Bodenqualität verbessern – das Prinzip ist trivial, sofort einsetzbar und skalierbar. „Wir sammeln am Campus Grünschnitt von Hecken“, erklärt Kray. „Egal, welcher biologische Reststoff eingesetzt wird, jeder hat der Atmosphäre CO2 entzogen.“ Die Rede ist vom natürlichen Kohlenstoffkreislauf: Pflanzen spalten bei der Photosynthese CO2 in Sauerstoff und Kohlenstoff, den sie zum Aufbau ihrer Wurzeln, Zweige und Blätter brauchen. Bei ihrem Absterben setzen sie den Kohlenstoff wieder als CO2 frei, ebenso beim Verrotten oder Verbrennen. Kray greift hier vor: „Das Pflanzenmaterial bringen wir nach der Verkohlung dauerhaft unter die Erde und verbessern gleichzeitig den Boden. So können Blühpflanzen gut gedeihen und Insekten sich wieder ansiedeln. All dies können auch landwirtschaftliche Betriebe umsetzen.“ Ein Exempel, dass dies als Methode bereits praktiziert wurde, zeigt die sogenannte Terra Preta (siehe Box).

Für diesen kohlenstoffsenkenden Prozess können Unternehmen CO2-Zertifikate erwerben.9) Die Hochschule Offenburg pflanzt mit dem erhaltenen Geld in einer Kurzumtriebsplantage schnell wachsende Bäume, die der Luft weiteres CO2 entziehen. „Nach zwei Jahren ernten wir das Holz und stellen daraus Pflanzenkohle her, die Bäume wachsen weiter."

Terra Preta (portugiesisch: Schwarze Erde) bezeichnet einen fruchtbaren, tiefschwarzen Boden im Amazonasgebiet – als Regenwald eigentlich für nährstoffarmen Boden bekannt. Forschendengruppen stellten eine jahrhundertelange Bewirtschaftung fest, bei der das indigene Volk den Boden mit fermentierten Resten aus Pflanzen, Dung, Fäkalien und Holzkohle anreicherten.

Den Kreislauf richtig laufen lassen

Doch sind bei diesem Weg zum nachhaltigen Handeln ein paar Punkte zu beachten, wie Kray erklärt: „Die Umwandlung der Biomasse in Pflanzenkohle muss kontrolliert ablaufen, damit keine polyzyklischen aromatischen Kohlenwasserstoffe entstehen. Das geschieht großtechnisch unter geringer Sauerstoffzufuhr bei ca. 400 °C in speziellen Öfen.“ Die Energie für das Pyrolyse genannte Verfahren stammt aus dem Prozess selbst, aus freiwerdenden Biogasen und -ölen. Überschüssige Energie kann für die Erzeugung von klimaneutralem Strom und Wärme genutzt werden. Mit der ausgereiften Technik könnten z. B. auch Stadtwerke ungenutzte Biomasse pyrolysieren und Kohlenstoffsenken schaffen.

Landwirt, der Baumstecklinge in den Boden setzt.
Landwirt Thomas Margenfeld aus Kehl pflanzt hunderte Pappelstecklinge für einen Agroforst-Streifen. © Prof. Daniel Kray

Wissenschaftliche Studien zeigen, dass Pflanzenkohle zur Humussteigerung führt – auch ohne Einsatz mineralischer Dünger. Die besondere Struktur der Kohle verbessert nicht nur die Wasserhaltekapazität des Bodens, sondern verhindert durch Düngemittel-Zwischenspeicherung im Wurzelbereich der Pflanzen, dass Nitrat ins Grundwasser sickert. „Wichtig ist, dass die Zertifizierungsvorschriften nach dem Europäischen Pflanzenkohle Zertifikat, dem EBC, eingehalten werden“, erklärt Kray. So lässt sich eine hohe Qualität einhalten, potenzielle schädliche Auswirkungen vermeiden und sicherstellen, dass die Kohle über Jahrtausende im Boden bleibt. Vorreiter zu wissenschaftlichen Studien und Anwendungen, die international Anerkennung finden, ist ein Konsortium der Schweiz. Es wurde festgestellt, dass das Aufladen von Pflanzenkohle mit Kompost die besten Ergebnisse zu Ertrag und Rückhaltevermögen landwirtschaftlicher Emissionen erzielt. Bis 2050 könnten demnach in der Schweiz jährlich bis zu 4 Mio. t CO2-Äquivalente langfristig im Boden gespeichert werden.10)

Unterstützung für die Komplettlösung

Kray und sein Team betrachten das Konzept auch aus landwirtschaftlicher Sicht ganzheitlich. „Mit der Anlage von fünf Prozent der Gesamtflächen als Biodiversitätsblühstreifen, Randstreifen mit holziger Masse zur Pflanzenkohleproduktion, Zwischenbegrünung, dem Einsatz batteriebetriebener Landmaschinen und Solarstrom mittels Agri-Photovoltaik lässt sich die Ernte stabilisieren und die Ökonomie des Betriebs auf mehrere Beine stellen."

Kohlenstoffsenken, Artenreichtum, Solarstrom- und Nahrungsmittelproduktion ohne Flächenkonkurrenz – die Landwirtschaft 5.0 zeigt auch für Gesellschaft und Umwelt große Perspektiven auf. Entscheidend für eine erfolgreiche Umsetzung ist die Unterstützung durch die Politik und frühe Einbeziehung aller Interessensgruppen, wie Kray erklärt: „Wir sind auf der Suche nach Fördermitteln und freuen uns über jede Unterstützung und Austausch. Es ist bedeutend, dass unsere Denkfabrik mit über 45 Partnerinnen und Partnern aus Praxis, Industrie und Forschung weiter wächst.“ Für ihn und sein Konsortium ist klar: Mit Praxisbeispielen, die zeigen, dass Konzepte funktionieren und anpackenden Macherinnen und Machern auf allen Ebenen existieren beste Chancen, die multiplen globalen Krisen zu entschärfen.

Literatur:

1) Vereinte Nationen: Land Use, Land-Use Change and Forestry (LULUCF). https://unfccc.int/topics/land-use/workstreams/land-use--land-use-change-and-forestry-lulucf

2) Umweltbundesamt: Beitrag der Landwirtschaft zu den Treibhausgas-Emissionen. https://www.umweltbundesamt.de/daten/land-forstwirtschaft/beitrag-der-landwirtschaft-zu-den-treibhausgas#treibhausgas-emissionen-aus-der-landwirtschaft

3) Denkfabrik FYI: Landwirtschaft 5.0, Konsortium aus Hochschulen/Universitäten, wissenschaftlichen Instituten, Firmen, der Stadt Offenburg und Landwirten unter der Leitung der Hochschule Offenburg: https://fyi-landwirtschaft5.org/

4) Agri-Photovoltaik: Chance für Landwirtschaft und Energiewende. Ein Leitfaden für Deutschland. Stand April 2022. https://www.ise.fraunhofer.de/de/veroeffentlichungen/studien/agri-photovoltaik-chance-fuer-landwirtschaft-und-energiewende.html

5) Baden-Württemberg.de, Pressemitteilungen: Land fördert fünf Modellanlagen zur Agri-Photovoltaik. https://www.baden-wuerttemberg.de/de/service/presse/pressemitteilung/pid/land-foerdert-fuenf-modellanlagen-zur-agri-photovoltaik/ und Bau von Agri-Photovoltaik-Modellanlage in Bavendorf startet. https://www.baden-wuerttemberg.de/de/service/presse/pressemitteilung/pid/bau-von-agri-photovoltaik-modellanlage-in-bavendorf-startet/

6) Fraunhofer ISE: Agri-Photovoltaik: Chance für Landwirtschaft und Energiewende. https://agri-pv.org/de/

7) Fraunhofer ISE: Agri-Photovoltaik: bessere Chancen für kleinere Anlagen und hoch aufgeständerte Systeme. https://www.ise.fraunhofer.de/de/presse-und-medien/presseinformationen/2022/agri-photovoltaik-bessere-chancen-fuer-kleinere-anlagen-hoch-aufgestaenderte-systeme.html

8) HyPErFarm, Hochschule Offenburg. https://ines.hs-offenburg.de/forschung/photovoltaiktechnik-und-pflanzenkohle/hyperfarm

9) Carbonfuture. https://www.carbonfuture.earth/de/start

10) Schmidt, H.P. et al. (2021): Pflanzenkohle in der Landwirtschaft : Hintergründe zur Düngerzulassung und Potentialabklärung für die Schaffung von Kohlenstoff-Senken. Agroscope Science, 112,1-71. https://ira.agroscope.ch/de-CH/publication/46567

Seiten-Adresse: https://www.biooekonomie-bw.de/fachbeitrag/aktuell/landwirtschaft-50-mit-agri-photovoltaik-und-pflanzenkohle-gegen-die-klimakrise