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Minifabriken für die Produktion von Biokunststoff

Bakterien produzieren Bioplastik: ressourcenschonend und sehr umweltfreundlich

Lebende Zellen als Minifabriken, die nur aus Wasser, Sonnenlicht und Kohlenstoffdioxid Plastik herstellen, das auch noch zu 100 Prozent wieder abbaubar ist. Was sich fantastisch anhört, gelingt tatsächlich: Forschende der Universität Tübingen haben Cyanobakterien so gentechnisch verändert, dass sie ihre Zellen prall mit Polyhydroxybutyrat füllen. Die Entwicklung von Pilotanlagen, um den Biokunststoff in größerem Stil produzieren zu können, wird nun angegangen.

Ob in Verpackungen, Textilien, als Klebstoff oder in Fahrzeugteilen – Plastik ist aus unserem Alltag nicht mehr wegzudenken. Leider –, denn zur Herstellung von synthetischem Kunststoff werden fossile Ressourcen verbraucht. Außerdem sind diese Produkte nicht biologisch abbaubar und belasten damit die Umwelt, da sie sich zu einem Großteil in der Natur oder auf Deponien anlagern, statt sich zu zersetzen.1) So wird die Umweltverschmutzung zunehmend zum Problem: Bereits in allen großen Meeresbecken ist Plastikmüll allgegenwärtig; ebenso an vielen Stellen im Süßwasser und in den Lebensräumen an Land.

An nachhaltigeren Alternativen wird deshalb seit Jahren unter Hochdruck gearbeitet. Technologien gibt es zwar, um Bioplastik aus unterschiedlichen natürlichen Quellen wie Stärke, Cellulose oder Milchsäure herstellen zu können – auch schon im industriellen Maßstab. Dennoch machen diese bislang nur einen sehr kleinen Teil des insgesamt produzierten Kunststoffs aus: 2021 lediglich rund 6 Prozent.2) Und: obwohl wesentlich umweltfreundlicher als das petrochemische Pendant, so ist doch auch Bioplastik nicht immer zu 100 Prozent biologisch abbaubar. Der derzeit am häufigsten eingesetzte Biokunststoff PLA (Polylaktat) ist in Salzwasser beispielsweise fast gar nicht zersetzbar. Die bislang existierenden Lösungen sind also noch lange nicht zufriedenstellend.

Cyanobakterien: Plastikproduzenten, die kein Ackerland verbrauchen

Porträts der beiden Biologen vor grünem Hintergrund.
Prof. Dr. Karl Forchhammer (links) und Dr. Moritz Koch (rechts) haben den neuen Cyanobakterien-Stamm geschaffen, der in großen Mengen PHB produzieren kann. © Privat

Eine zukunftsträchtige Möglichkeit aus natürlichen Rohstoffen und auch noch wesentlich besser abbaubar sind Polyhydroxyalkanoate (PHAs). Ihre häufigste Variante, das Polyhydroxybutyrat (PHB), entsteht im natürlichen Stoffwechsel verschiedener Mikroorganismen – praktisch „von alleine“. PHB hat ähnliche Materialeigenschaften wie Polypropylen, einem häufig verwendeten konventionellen Kunststoff, und ist bei Wärme formbar. Die Herstellung mit heterotrophen Bakterien ist deshalb tatsächlich eine schon gut etablierte Methode, auch in größeren Anlagen. Allerdings brauchen die lebenden Plastikproduzenten Energie und müssen mit Nahrung in Form von Zucker gefüttert werden –, was Ressourcen bindet, die eigentlich für die menschliche Ernährung benötigt werden.

Unabhängig von der Nutzung von Ackerland sind dagegen phototrophe Organismen, die lediglich Licht als Energiequelle brauchen und so PHB völlig kohlenstoffneutral synthetisieren: Solche Lebewesen sind Cyanobakterien. „Diese ökologisch relevanten Mikroorganismen kann man biotechnologisch gut manipulieren, um in ihren Stoffwechsel einzugreifen“, erklärt Prof. Dr. Karl Forchhammer, der den Lehrstuhl für Mikrobiologie / Organismische Interaktionen an der Universität Tübingen leitet und sich schon seit drei Jahrzehnten mit Cyanobakterien beschäftigt. „Und, dass sie natürliche Produzenten von PHB sind, wissen wir schon lange. Wir haben uns aber zunächst einmal hauptsächlich damit beschäftigt, warum sie dies überhaupt tun. Nachdem wir das verstanden haben, ging unser Forschungsaspekt in den letzten zwei Jahren in Richtung Anwendung.“

Zellen prall gefüllt mit vollständig abbaubarem Kunststoff

Fünf vergrößerte Fotos der Cyanobakterien, drei davon als einzelne Zellen. Hier ist das produzierte PHB als großer, weißer Fleck gut zu erkennen.
Elektronenmikroskopische Darstellung der Bioplastikproduktion in der Mutante PPT1 des Cyanobakteriums Synechocystis sp.: Die Synechocystis-Zellen zeigen viele große Granula (A), deren Anfärbung mit Nilrot sie als PHB bestätigt (B). Manche Zellen enthalten mehrere Granula (C), andere nur ein einziges (D). In manchen Zellen kam es zum Aufplatzen der Zellhülle (E). © Universität Tübingen (Aufnahmen bereits veröffentlicht in: BIOspektrum 02.21, DOI: 10.1007/s12268-021-1541-4)

Die Forschenden gehen davon aus, dass Cyanobakterien das fettartige PHB als eine Art Speicherstoff verwenden. Allerdings in Mengen von lediglich etwa 15 Prozent pro Zelltrockengewicht (CDW) – zu gering, um überhaupt annähernd wirtschaftlich zu sein. So machte man sich in Tübingen daran, die Syntheseraten zu steigern.

Mit Erfolg: Forchhammer hat gemeinsam mit seinem ehemaligen Doktoranden Dr. Moritz Koch einen neuen Stamm geschaffen, der bis zu 81 Prozent pro CDW enthält.3) Das produzierte Polymer besteht aus reinem PHB, das hoch isotaktisch ist. Die Seitengruppen dieses Makromoleküls sind also regelmäßig angeordnet, was Voraussetzung für wichtige Eigenschaften eines Kunststoffes ist. „Das hätte ich niemals für möglich gehalten“, sagt er. „Diese Mengen sind die höchsten, die jemals bei einem bekannten Cyanobakterium erzielt wurden und die beste Basis, um ein nachhaltiges Produkt auf nachhaltige Weise herstellen zu können.“ Und das nicht nur, was die Ausgangsstoffe angeht: Das in Cyanobakterien produzierte Plastik ist innerhalb von sechs Monaten komplett wieder abgebaut. „Alles, was die Natur erschaffen hat, kann sie auch wieder abbauen, das ist ein Riesenvorteil“, fügt der Experte hinzu.

Infobox: Cyanobakterien – Stammesgeschichtlich alte Organismen für moderne Anwendungen

Abgesehen von der Größe natürlich, sind Cyanobakterien so eine Art lebende Dinosaurier, denn sie gehören zu den ältesten bekannten Lebensformen. Sie besiedelten schon vor rund 3 Mrd. Jahren unseren Planeten und waren wesentlich am Übergang zur sauerstoffhaltigen Erdatmosphäre beteiligt, denn im Gegensatz zu anderen Prokaryonten sind sie zur Photosynthese befähigt. Deshalb wurden diese grünen Mikroorganismen zunächst auch als „Blaualgen“ bezeichnet – obwohl sie keine Eukaryonten, damit auch keine Algen sind - und gar nicht zu den „richtigen“ Bakterien gezählt. Durch ihre Fähigkeit, Sauerstoff bilden zu können, sind sie auch aktuell noch von größter Bedeutung für unsere Umwelt. Sie kommen praktisch in allen Ökosystemen der Erde vor – auch und gerade in extremen Lebensräumen: im Süß- und im Salzwasser, auf Steinen, im Boden, heißen Quellen und sogar im antarktischen Eis. Die massenhafte Besiedlung eines Gewässers mit Cyanobakterien kann allerdings auch zum Problem werden.

Das Süßwasser-Cyanobakterium Synechocystis sp. PCC 6803, wie er auch an der Universität Tübingen verwendet wird, ist ein gut untersuchter Modellorganismus, der leicht im Labor und in Bioreaktoren kultiviert werden kann. Durch biotechnologische Veränderungen kann für verschiedene Anwendungen gezielt in den bakteriellen Stoffwechsel eingegriffen werden.

Plastikherstellung trägt aktiv zur CO2-Reduktion bei

Der erste Schritt zur Produktion des nachhaltigen Bioplastiks ist die Photosynthese, die die grünen Bakterien zur Synthese von Zellbausteinen aus CO2, Sonnenlicht und Wasser prinzipiell genauso wie die Pflanzen betreiben. Wird das Wachstum aus irgendeinem Grund eingeschränkt, so schalten die Bakterien auf den Überlebensmodus um: anstatt notwendige Zellbausteine herzustellen, produzieren sie nun Glykogen, das anschließend zu einem kleinen Teil in PHB umgewandelt wird.

In diesem Zusammenhang steht eine entscheidende Entdeckung, die die Tübinger Biologen machten: Sie fanden die Schaltstelle, die die Verteilung des fixierten Kohlenstoffs in der Zelle steuert. Sobald man diesen Schalter entfernt und die Zellen zudem unter Stickstoffmangel setzt, entsteht aus dem fixierten Kohlenstoff kein Glykogen mehr, sondern PHB. Dieses lässt sich anschließend leicht mithilfe von Lösungsmitteln aus den Zellen extrahieren und als Rohstoff für praktische Anwendungen einsetzen.

Vier Fotos von mikroskopisch vergrößerten Cyanobakterien, in der Zelleinschlüsse, und vor allem PHB zu erkennen sind.
Schematische Darstellung des PHB-Produktionsprozesses: Mikroskopische (A) bzw. elektronenmikroskopische (B) Aufnahme von Bakterien mit ausreichend Stickstoff im Medium. (C) Wird die Stickstoffquelle entfernt, startet die PHB-Biosynthese. (D) Mittels Metabolic Engineering konnten die Mengen deutlich gesteigert werden, wie im Stamm PPT1 gezeigt. © Universität Tübingen (Aufnahmen bereits veröffentlicht in: BIOspektrum 02.21, DOI: 10.1007/s12268-021-1541-4)

Damit aber des Guten noch nicht genug: Da bei der Photosynthese CO2 in nicht unbeträchtlichen Mengen verbraucht wird, ist die Bioplastikproduktion nicht nur ressourcenschonend, sondern kann auch noch aktiv zur Reduktion des Treibhausgases beitragen. Eine konkrete Verwendung des Verfahrens als CO2-Falle in Kombination mit Anlagen, die das Gas produzieren, soll getestet werden. „Dieser Zusatznutzen macht das Verfahren überhaupt erst rentabel“, so Forchhammer. Für ihr nachhaltiges Bioplastik wurden die Forschenden Ende 2021 mit dem 2. Platz beim Science2Start Ideenwettbewerb ausgezeichnet.

Upscaling bietet noch mehr Potenzial für Nachhaltigkeit

Nun steht der Transfer aus dem Labor in den großtechnischen Maßstab an. „Dieser Übergang verlangt nochmals viel neue Technologie“, erklärt Forchhammer, der diesen selbstverständlich weiterhin biowissenschaftlich begleitet. „Aber ich bin kein Anlagenbauer. Damit hatten wir eigentlich auch noch gar nicht gerechnet. Das Interesse nach dem Wettbewerb war jedoch so groß, dass wir bereits Kollaborationen geschlossen haben, um diese Entwicklungen in einem interdisziplinären Team konkret starten zu können.“

In einem ersten Upscaling soll die Kultivierung der lebenden Minifabriken in 500 Liter-Bassins getestet, dann die Produktivität modular gesteigert werden, eventuell auch in Flachbettreaktoren. Dabei sind eine Menge Parameter zu beachten, etwa die richtige Lichtdosierung oder die Wasserqualität. Gerade das eingesetzte Wasser birgt auch noch viel Potenzial für noch mehr Nachhaltigkeit: „Eventuell könnte man Abwasser oder auch sogar Salzwasser verwenden, das wären wahnsinnig günstige Quellen“, meint der Biologe.

Und auch an der Verwendung der restlichen Biomasse, die nach der PHB-Extraktion übrigbleibt, soll noch gearbeitet werden. Zum Beispiel wäre es denkbar, Pigmente daraus zu gewinnen. Ebenso wäre es natürlich theoretisch möglich, die Cyanobakterien zur Herstellung noch ganz anderer Rohstoffe zu nutzen. „An solchen Green-Cell-Factories wird weltweit intensiv gearbeitet – von Biokraftstoff bis hin zu Ethylen für die chemische Industrie -, da sind wir nicht die Einzigen“, so Forchhammer. „Aber beim Bioplastik sind wir auf jeden Fall ganz vorne dabei: Das endgültige Rennpferd haben wir noch nicht, aber einen gut funktionierenden Prototyp bestimmt.“

Literatur:

1) Geyer, R. et al. (2017): „Production, use, and fate of all plastics ever made“. Science Advances 3, 7: www.science.org/doi/10.1126/sciadv.1700782.

2) Institute for Bioplastics and Biocomposites IfBB: „Biopolymers – facts and statistics 2021“. www.ifbb-hannover.de/files/IfBB/downloads/faltblaetter_broschueren/f+s/Biopolymers-Facts-Statistics-einseitig-2021.pdf

3) Koch, M. et al. (2020): „Maximizing PHB content in Synechocystis sp. PCC 6803: an new metabolic engineering strategy based on the regulator PirC.“ Microb Cell Fact.19(1):231. https://microbialcellfactories.biomedcentral.com/articles/10.1186/s12934-020-01491-1.

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